Bundessozialgericht

Verhandlung B 14 AS 41/18 R

Verhandlungstermin 30.01.2019 09:30 Uhr

Terminvorschau

E. B. ./. Jobcenter Kreis Segeberg
Umstritten ist die Höhe des anzuerkennenden Bedarfs für die Unterkunft von März bis August 2013.

Die Klägerin bewohnt allein eine Wohnung in Bad Segeberg (Kreis Segeberg), für die monatlich zu zahlen waren 340 Euro Nettokaltmiete, 47,50 Euro Betriebskostenvorauszahlung und 62,50 Euro Heizkostenvorauszahlung, insgesamt 450 Euro. Nachdem das beklagte Jobcenter die Klägerin auf die Unangemessenheit ihrer Kosten hingewiesen hatte, bewilligte es ihr für die strittige Zeit Alg II nur noch unter Anerkennung einer als angemessen angesehenen Bruttokaltmiete von 339 Euro sowie der tatsächlichen Heizkosten.

Das SG hat den Beklagten verurteilt, der Klägerin Alg II unter Berücksichtigung der tatsächlichen Kosten der Unterkunft und Heizung zu gewähren. Die Anforderungen an ein für eine Kostensenkung notwendiges schlüssiges Konzept zur Ermittlung der angemessenen Bruttokaltmiete seien aufgrund der Unterteilung des Vergleichsraums in regionale Wohnungsmarkttypen nicht erfüllt. Das LSG hat das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Es sei nicht zu beanstanden, dass der Beklagte das gesamte Kreisgebiet als einheitlichen Vergleichsraum zugrunde gelegt, aber in fünf Wohnungsmarkttypen untergliedert habe, um einer Differenzierung der Preisstruktur innerhalb des Vergleichsraums Rechnung zu tragen und eine Binnenwanderung zu vermeiden.

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin eine Verletzung von § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II. Die zu Großstädten entwickelte Rechtsprechung des BSG zum Vergleichsraum sei auf Flächenlandkreise nicht zu übertragen. Die an Hamburg grenzende Stadt Norderstedt habe keinerlei Bezug zu dem eher ländlich/dörflich orientierten nordöstlichen Teil des Kreises Segeberg.

Vorinstanzen:
Sozialgericht Lübeck - S 40 AS 346/13, 23.10.2013
Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht - L 3 AS 198/13, 15.12.2017

Terminbericht

Umstritten in dem Verfahren war insbesondere die Höhe des von dem beklagten Jobcenter anzuerkennenden Bedarfs für die Unterkunft nach § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II. Der Senat hat die bisherige Rechtsprechung des BSG zu diesem Bedarf unter Einbeziehung der Rechtsentwicklung wie folgt zusammengefasst und konkretisiert:

Die Ermittlung der Grenze für die abstrakt angemessenen Kosten der Unterkunft, bestehend aus Nettokaltmiete und kalten Betriebskosten, für eine nach Größe und Wohnungsstandard angemessene Wohnung hat in dem maßgeblichen örtlichen Vergleichsraum nach einem schlüssigen Konzept zu erfolgen.

Der Vergleichsraum ist der Raum, innerhalb dessen einer leistungsberechtigten Person ein Umzug zur Kostensenkung grundsätzlich zumutbar ist und ein nicht erforderlicher Umzug nach § 22 Abs 1 Satz 2 SGB II zu einer Deckelung der Kosten auf die bisherigen führt. Der Vergleichsraum ist ein ausgehend vom Wohnort der leistungsberechtigten Person bestimmter ausreichend großer Raum der Wohnbebauung, der aufgrund räumlicher Nähe, Infrastruktur und insbesondere verkehrstechnischer Verbundenheit einen insgesamt betrachtet homogenen Lebens- und Wohnbereich bildet. Im Zuständigkeitsgebiet eines Jobcenters kann es mehr als einen Vergleichsraum geben (vgl § 22b Abs 1 Satz 4 SGB II).

Das schlüssige Konzept soll die Gewähr dafür bieten, dass die aktuellen Verhältnisse des Mietwohnungsmarktes im Vergleichsraum der Angemessenheitsgrenze zugrunde liegen. Schlüssig ist ein Konzept, wenn es neben rechtlichen auch bestimmte methodische Voraussetzungen erfüllt und nachvollziehbar ist. Dies erfordert bei Methodenvielfalt insbesondere
• eine Definition der untersuchten Wohnungen nach Größe und Standard,
• Angaben über die Art und Weise der Datenerhebung,
• Angaben über den Zeitraum, auf den sich die Datenerhebung bezieht,
• Repräsentativität und Validität der Datenerhebung,
• Einhaltung anerkannter mathematisch-statistischer Grundsätze bei der Datenauswertung,
• Vermeidung von "Brennpunkten" durch soziale Segregation,
• eine Begründung, in der die Ermittlung der Angemessenheitswerte aus den Daten dargelegt wird
(vgl auch § 22a Abs 3, § 22b Abs 1, 2, § 22c Abs 1 SGB II).

Ausgehend von diesen Voraussetzungen kann es verschiedene Methoden geben, um ein schlüssiges Konzept zu erstellen und den damit unmittelbar zusammenhängenden Vergleichsraum oder ggf mehrere Vergleichsräume zu bilden.

Nicht zulässig ist es jedoch, wenn ein Jobcenter, das den gesamten Landkreis als einen Vergleichsraum ansieht, innerhalb dieses Vergleichsraums die Städte und Gemeinden in mehrere Wohnungsmarkttypen mit unterschiedlichen Angemessenheitsgrenzen aufteilt. Denn für diese Aufteilung gibt es keine rechtliche Begründung, insbesondere können durch die Bildung von Wohnungsmarkttypen die Voraussetzungen für die Bildung und die Rechtsfolgen eines Vergleichsraums nicht geändert werden. Zudem mangelt es in dem vorliegenden Verfahren für die einzelnen Wohnungsmarkttypen an einer sie rechtfertigenden sachlichen Herleitung.

Da das entscheidende Tatbestandsmerkmal „Angemessenheit“ ein unbestimmter Rechtsbegriff ist, sind die Bildung des Vergleichsraums und die Erstellung des schlüssigen Konzepts des Jobcenters gerichtlich voll überprüfbar.

Auf eine entsprechende Klage hin ist es Aufgabe des Gerichts, die Rechtmäßigkeit der vom Jobcenter ermittelten Angemessenheitsgrenze zu überprüfen. Ist diese rechtlich zu beanstanden, so ist dem jeweiligen Jobcenter zunächst Gelegenheit zu geben, die Beanstandungen durch Stellungnahmen, ggf nach weiteren Ermittlungen, auszuräumen.

Ist dies nicht möglich, ist das Gericht zur Herstellung der Spruchreife der Sache nicht befugt, seinerseits - ggf mit Hilfe von Sachverständigen - eine eigene Vergleichsraumbildung vorzunehmen oder ein schlüssiges Konzept zu erstellen. Die Bildung des Vergleichsraums kann nicht von der Erstellung des Konzepts getrennt werden, einschließlich der anzuwendenden Methode. Das Gericht hat zur Herstellung der Spruchreife, wenn ein qualifizierter Mietspiegel vorhanden ist, auf diesen zurückgreifen. Andernfalls sind mangels in rechtlich zulässiger Weise bestimmter Angemessenheitsgrenze die tatsächlichen Aufwendungen für die Unterkunft diesem Bedarf zugrunde zu legen, begrenzt durch die Werte nach dem WoGG plus einen Zuschlag von 10%.

Verfahrensrechtlich ist darauf hinzuweisen, dass auch hinsichtlich der anzuerkennenden Bedarfe für Unterkunft und Heizung ein Grundurteil im Höhenstreit zulässig ist.

Ausgehend von diesen Grundsätzen ist wie folgt entschieden worden:

Das Urteil des LSG ist aufgehoben worden, weil das LSG die Entscheidung des beklagten Jobcenters als rechtmäßig angesehen hat, das gesamte Kreisgebiet als einen einheitlichen Vergleichsraum zugrunde zu legen, aber in fünf Wohnungsmarkttypen mit unterschiedlichen Angemessenheitsgrenzen für die Bruttokaltmiete zu untergliedern.

Die Sache ist zurückverwiesen worden, damit das LSG dem Beklagten Gelegenheit geben kann, Nachermittlungen zur Vergleichsraumbildung und Erstellung eines schlüssigen Konzepts vorzulegen.

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