Bundessozialgericht

Bundessozialgericht Urteil vom 20.03.2018, B 2 U 5/16 R

Gesetzliche Unfallversicherung - Berufskrankheit gemäß Anlage 1 Nummer 2112 BKV - Gonarthrose - Versicherungsfall - Knieerkrankung - beidseitige Erkrankung - Stichtag - Übergangsrecht

Leitsätze

1. Die Berufskrankheit Gonarthrose liegt vor, sobald ihre Diagnosekriterien an einem Knie vorliegen.

2. Erkrankt der Versicherte später auch an dem anderen Knie, so tritt im Regelfall kein zusätzlicher Versicherungsfall ein.

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 4. November 2015 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger Anspruch auf Feststellung einer Gonarthrose des linken Knies als Berufskrankheit nach Nr 2112 der Anl 1 zur BKV (in Zukunft: BK 2112) ab dem 30.1.2004 hat.

Der im Juli 1947 geborene Kläger war während des Arbeitslebens bis Anfang September 2002 Kniebelastungen mit einer kumulativen Einwirkungsdauer von 14 840 Stunden ausgesetzt. Im September 2002 lagen bei ihm ua nach der Klassifikation von Kellgren eine lateral betonte Gonarthrose Grad III des rechten Knies sowie Retropatellararthrosen Grad III bis IV beiderseits vor. Chronische Kniegelenksbeschwerden oder Funktionsstörungen des linken Knies ließen sich erst nach dem 30.9.2002 nachweisen. Im Jahre 2010 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Feststellung einer BK 2112.

Die Beklagte lehnte die Gewährung von Leistungen ab, ua weil die Gonarthrose bereits vor dem Stichtag (30.9.2002) vorgelegen habe (Bescheid vom 11.1.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24.8.2011). Das SG hat beide Bescheide aufgehoben und festgestellt, dass der Kläger seit dem 30.1.2004 an einer BK 2112 am linken Kniegelenk leide (Urteil vom 27.8.2013).

Auf die Berufung der Beklagten hat das LSG das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 4.11.2015). Am rechten Kniegelenk sei eine Gonarthrose bereits vor dem 1.10.2002 sowohl in röntgenologischer als auch in klinischer Hinsicht gesichert. Dieser Erkrankungsbeginn wirke auch auf das linke Knie, obgleich Beschwerden und Funktionsstörungen dort erst nach dem 30.9.2002 belegt seien. Nach der Rechtsprechung des BSG handele es sich um eine einheitliche BK, wenn gleichartige Gesundheitsschäden an verschiedenen Organen auf dieselbe gefährdende Tätigkeit zurückzuführen seien. Führe eine einheitliche berufliche Belastung (Exposition), die sich gleichermaßen auf mehrere Zielorgane auswirke, zu einem Erkrankungsbeginn an einem Zielorgan vor dem Stichtag, sei die Annahme eines "Versicherungsfalls" nach dem Stichtag ausgeschlossen. Für diese Auffassung spreche auch, dass bei Feststellung einer BK 2112 aufgrund zunächst einseitig bestehender Symptomatik und späterem Hinzutreten einer klinischen und röntgenologischen Symptomatik am anderen Kniegelenk auch keine weitere BK anzuerkennen. Es wäre dann aufgrund einer wesentlichen Änderung nach § 48 SGB X lediglich eine weitere Folge des Versicherungsfalls anzuerkennen (und allenfalls eine ggf gewährte Verletztenrente zu erhöhen). Nur in Ausnahmefällen sei es zu rechtfertigen, das Vorliegen einer weiteren, gleichen BK festzustellen, etwa wenn nach dem Eintritt der Erkrankung an einem Zielorgan noch zusätzliche berufliche Einwirkungen im Sinne der entsprechenden BK erfolgten und dann im weiteren Verlauf an einem anderen Zielorgan eine entsprechende Erkrankung auftrete.

Der Kläger rügt mit seiner Revision die Verletzung des § 9 Abs 1 S 1, Abs 5 SGB VII iVm § 6 BKV. Das Wesen paariger Gelenke sei es eben, nicht eins zu sein. Selbst wenn in der Regel davon auszugehen sei, dass bei beidseitigem Knien und vergleichbarer Kniebelastung eine Gonarthrose beidseitig auftrete, sei auch eine ungleiche Betroffenheit möglich und schließe nicht per se die Anerkennung der BK 2112 im Einzelfall aus. Daher sei die Manifestation des Beschwerdebildes am rechten Kniegelenk vor dem 1.10.2002 nicht als einheitliche Erkrankung beider Kniegelenke vor dem Stichtag aufzufassen, sodass der unstreitig nicht anerkennungsfähige Schaden rechts nicht zum Ausschluss bzw "Verbrauch" des erst nach dem Stichtag eingetretenen Schadens links führe.

Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 4. November 2015 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 27. August 2013 zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision des Klägers ist nicht begründet. Zu Recht hat das LSG das Urteil des SG aufgehoben und entschieden, dass keine BK 2112 des linken Kniegelenks ab dem 30.1.2004 festzustellen ist. Der Versicherungsfall der Gonarthrose ist beim Kläger am rechten Knie bereits vor dem 1.10.2002 eingetreten, sodass eine Anerkennung der Gonarthrose am linken Knie nach der Übergangsvorschrift des § 6 BKV nicht mehr möglich ist.

Maßgeblich ist hier die Rückwirkungsklausel des § 6 Abs 3 S 1 BKV idF der Vierten Verordnung zur Änderung der Berufskrankheiten-Verordnung (4. BKVÄndVO) vom 10.7.2017 (BGBl I 2299), die während des Revisionsverfahrens am 1.8.2017 (Art 2 aaO) in Kraft trat und § 6 Abs 2 S 1 BKV idF der 3. BKVÄndVO vom 22.12.2014 (BGBl I 2397) ersetzte, der noch im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung der Tatsacheninstanz gegolten hatte. Treten - wie hier - Rechtsänderungen nach der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz ein, so sind sie in der Revisionsinstanz zu berücksichtigen, wenn das neue Gesetz nach seinem zeitlichen Geltungswillen das streitige Rechtsverhältnis erfassen will (stRspr, vgl Senatsurteil vom 27.10.1976 - 2 RU 127/74 - BSGE 43, 1,5 = SozR 1500 § 131 Nr 4 sowie BSG vom 18.2.2016 - B 3 P 2/14 R - SozR 4-3300 § 42 Nr 1 mwN). Das ist vorliegend der Fall. Denn mit Art 1 Nr 1 Buchst b der 4. BKVÄndVO verschob die Verordnungsgeberin den bisherigen § 6 Abs 2 S 1 BKV ohne geltungserhaltende Übergangsregelung wortidentisch in den § 6 Abs 3 S 1 BKV, der seitdem alle streitigen Rechtsverhältnisse, soweit sie BKen nach Nr 2112 betreffen, regelt.

§ 6 Abs 3 S 1 BKV idF der 4. BKVÄndVO lautet: "Leiden Versicherte am 1. Juli 2009 an einer Krankheit nach Nummer 2112, 4114 oder 4115 der Anlage 1, ist diese auf Antrag als Berufskrankheit anzuerkennen, wenn der Versicherungsfall nach dem 30. September 2002 eingetreten ist." Bei dem Kläger lag der Versicherungsfall der BK 2112 bereits im September 2002 - und damit vor dem Stichtag des § 6 Abs 3 S 1 BKV - vor, weil zu diesem Zeitpunkt eine Gonarthrose am rechten Knie bereits voll ausgeprägt war (vgl hierzu unter 1.). Damit kommt im vorliegenden Fall eine Anerkennung eines (weiteren) Versicherungsfalls der Gonarthrose zum 30.1.2004 bezogen nur auf das linke Knie nicht mehr in Betracht (hierzu unter 2.).

1. Bei dem Kläger lag bereits im September 2002 der Versicherungsfall der Gonarthrose am rechten Knie vor.

Rechtsgrundlage für die Anerkennung einer BK ist § 9 Abs 1 SGB VII iVm BK 2112. Nach § 9 Abs 1 S 1 SGB VII sind BKen nur diejenigen Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als solche bezeichnet hat (sog Listen-BK) und die der Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleidet. Nach ständiger Senatsrechtsprechung ist für die Feststellung einer Listen-BK (Versicherungsfall) erforderlich, dass die Verrichtung einer grundsätzlich versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder ähnlichem auf den Körper geführt hat (Einwirkungskausalität) und diese Einwirkungen eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität). Dabei müssen die "versicherte Tätigkeit", die "Verrichtung", die "Einwirkungen" und die "Krankheit" im Sinne des Vollbeweises - also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit - vorliegen. Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt indes die hinreichende Wahrscheinlichkeit, allerdings nicht die bloße Möglichkeit (BSG vom 17.12.2015 - B 2 U 11/14 R - BSGE 120, 230 = SozR 4-2700 § 9 Nr 26, RdNr 10 und vom 23.4.2015 - B 2 U 6/13 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 7 RdNr 10 und - B 2 U 10/14 R - BSGE 118, 255 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 6 RdNr 11 sowie - B 2 U 20/14 R - BSGE 118, 267 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 8, RdNr 10 jeweils mwN). Der Beweisgrad der hinreichenden Wahrscheinlichkeit ist erfüllt, wenn mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang spricht (BSG vom 15.5.2012 - B 2 U 31/11 R - NZS 2012, 909, Juris RdNr 34 mwN) und ernste Zweifel ausscheiden (BSG vom 18.1.2011 - B 2 U 5/10 R - SozR 4-2700 § 200 Nr 3 RdNr 20). Dass die berufsbedingte Erkrankung ggf den Leistungsfall auslösende Folgen nach sich zieht (haftungsausfüllende Kausalität), ist keine Voraussetzung einer Listen-BK, wohl aber für eine Leistung (Leistungsfall).

Der Versicherungsfall einer Listen-BK setzt somit voraus, dass die Bundesregierung als Verordnungsgeberin die Krankheit als BK in der Anl 1 der BKV bezeichnet hat und sämtliche Merkmale dieses Tatbestandes erfüllt sind (vgl BSG vom 17.5.2011 - B 2 U 19/10 R - SozR 4-5671 § 6 Nr 5 RdNr 11 und vom 12.1.2010 - B 2 U 5/08 R - SozR 4-2700 § 9 Nr 17 RdNr 12). Die Bundesregierung hat die BK 2112 mit Art 1 Nr 3 Buchst c der Zweiten Verordnung zur Änderung der Berufskrankheiten-Verordnung (2. BKVÄndVO) vom 11.6.2009 (BGBl I 1273) mit Wirkung zum 1.7.2009 (Art 2 aaO) in die Anl 1 der BKV eingefügt. Die BK 2112 hat folgenden Wortlaut: "Gonarthrose durch eine Tätigkeit im Knien oder vergleichbare Kniebelastung mit einer kumulativen Einwirkungsdauer während des Arbeitslebens von mindestens 13 000 Stunden und einer Mindesteinwirkungsdauer von insgesamt einer Stunde pro Schicht".

Eine Gonarthrose iS der BK 2112 iVm § 6 Abs 3 S 1 BKV lag nach dem Gesamtzusammenhang der den Senat gemäß § 163 SGG bindenden, weil nicht mit Verfahrensrügen angefochtenen Feststellungen des LSG bereits im September 2002 und damit vor dem maßgeblichen Stichtag 30.9.2002 vor.

Dem steht nicht entgegen, dass § 6 Abs 3 S 1 BKV von einem "Versicherungsfall nach dem 30.9.2002" spricht. Denn die Verordnungsgeberin verwendet den Begriff des Versicherungsfalls nicht iSd gesetzlichen Bedeutung des § 7 Abs 1 SGB VII, sondern untechnisch und gleichbedeutend mit "Erkrankung" (BSG vom 17.5.2011- B 2 U 19/10 R - SozR 4-5671 § 6 Nr 5 RdNr 15). Der Versicherungsfall einer BK kann erst dann eintreten, wenn die BK durch Aufnahme in die Anl 1 zur BKV überhaupt rechtlich existent geworden ist. Die BK 2112 ist aber erst mit Wirkung zum 1.7.2009 (Art 2 der 2. BKVÄndVO) in die Anl 1 zur BKV aufgenommen worden und damit in Kraft getreten, sodass ein davor eingetretener Versicherungsfall ausscheidet. Folglich kann bei wirkungserhaltender Auslegung (vgl dazu zB Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, 2. Aufl 1991, S 444; Kramer, Juristische Methodenlehre, 5. Aufl 2016, S 109; Möllers, Juristische Methodenlehre, 2017, § 5 RdNr 53; Reimer, Juristische Methodenlehre, 2016, RdNr 327) des § 6 Abs 3 S 1 BKV mit dem dort verwendeten Begriff des Versicherungsfalls nur der "Erkrankungsfall" gemeint sein (BSG vom 17.5.2011 - B 2 U 19/10 R - SozR 4-5671 § 6 Nr 5 RdNr 15).

Der Erkrankungsfall der "Gonarthrose" tritt ein, sobald ein Kniegelenk die diagnostischen Kriterien dieser Krankheit erfüllt, weil es sich bei den Verschleißerscheinungen an den Kniegelenken um einen einheitlichen Erkrankungsfall handelt. Der Versicherungsfall der Gonarthrose setzt mithin nicht voraus, dass an beiden Knien eine Erkrankung vorliegt. Dafür spricht bereits, dass der Tatbestand der BK 2112 knieübergreifend von einer "Gonarthrose" spricht, ohne dabei zwischen den beiden Kniegelenken zu differenzieren, und gleichzeitig für die Verschleißerkrankung beider Kniegelenke dieselbe Krankheitsbezeichnung verwendet. Zudem entspricht es der Systematik der GUV, mehrere Gesundheitsstörungen - selbst wenn es sich um medizinisch voneinander unabhängige Gesundheitsschäden handelt - als eine einheitliche BK und damit auch als einheitlichen Erkrankungsfall zu behandeln, wenn sie auf derselben Ursache bzw wesentlichen Bedingung beruhen, dh auf ein und dieselbe gefährdende Tätigkeit zurückzuführen sind (BSG vom 18.12.1990 - 8 RKnU 2/90 - SozR 3-2200 § 592 Nr 1 und vom 24.8.1978 - 5 RKnU 6/77 - SozR 5677 Anl 1 Nr 42 Nr 1).

Der Erkrankungsfall der BK 2112 - die "Gonarthrose" - lag betreffend das rechte Knie im September 2002 vor, was letztlich auch vom Kläger selbst nicht in Frage gestellt wird. Hierfür müssen die Kriterien vorliegen, die nach den aktuellen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft die Diagnose sichern. Das Recht knüpft damit an den medizinischen Diagnosebegriff und die dazu entwickelten Kriterien an (s BSG vom 27.6.2017 - B 2 U 17/15 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 3102 Nr 1 sowie vom 23.4.2015 - B 2 U 6/13 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 7 RdNr 22, vom 27.6.2006 - B 2 U 20/04 R - BSGE 96, 291 = SozR 4-2700 § 9 Nr 7, RdNr 20 und vom 18.8.2004 - B 8 KN 1/03 U R - BSGE 93, 149 = SozR 4-5670 Anl 1 Nr 2402 Nr 1, RdNr 15 zum Kehlkopfkarzinom nach ionisierenden Strahlen). Dabei sind zur Ermittlung des aktuellen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisstands und als Interpretationshilfe die Merkblätter heranzuziehen (BSG vom 23.4.2015 - B 2 U 20/14 R - BSGE 118, 267 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 8 RdNr 15, vom 12.4.2005 - B 2 U 6/04 R - SozR 4-2700 § 9 Nr 5 RdNr 8 vom 2.5.2001 - B 2 U 16/00 R - SozR 3-2200 § 551 Nr 16 S 85; BSG vom 18.8.2004 - B 8 KN 1/03 U R - BSGE 93, 149 = SozR 4-5670 Anl 1 Nr 2402 Nr 1, RdNr 17 mwN), auch wenn sie weder verbindliche Konkretisierungen der Tatbestandsvoraussetzungen der BK noch antizipierte Sachverständigengutachten oder eine Dokumentation des Standes der einschlägigen Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft sind (BSG vom 27.6.2017 - B 2 U 17/15 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 3102 Nr 1 sowie vom 11.8.1998 - B 2 U 261/97 B - HVBG-INFO 1999, 1373).

Nach dem Merkblatt zur BK 2112 (Bekanntmachung des BMGS vom 30.12.2009, GMBl 2010, 98) hat die Diagnose einer Gonarthrose folgende Voraussetzungen, die kumulativ vorliegen müssen:
- chronische Kniegelenksbeschwerden,
- Funktionsstörungen bei der orthopädischen Untersuchung in Form einer eingeschränkten Streckung oder Beugung im Kniegelenk und
- die röntgenologische Diagnose einer Gonarthrose entsprechend Grad 2 - 4 der Klassifikation von Kellgren ua.

Auf der Grundlage der Feststellungen des LSG wurden diese Diagnosekriterien am Stichtag (30.9.2002) erfüllt, auch wenn das LSG seine "Subsumtion" nicht in allen Nuancen im Urteil wiedergegeben hat.

2. Dass beim Kläger später - zum 30.1.2004 - auch am linken Knie ein voll ausgeprägtes Krankheitsbild der Gonarthrose auftrat, vermag nichts daran zu ändern, dass der Versicherungsfall der Gonarthrose iS des § 6 Abs 3 S 1 BKV bezogen auf das rechte Knie bereits vor dem Stichtag vorlag, weshalb eine Anerkennung einer BK 2112 nur des linken Knies zu diesem späteren Zeitpunkt nicht mehr möglich ist. Zum Zustand des linken Knies am Stichtag hat das LSG bindend festgestellt, dass "zeitnah zum röntgenologischen Nachweis einer entsprechenden Arthrose im September 2002 keine funktionellen Beeinträchtigungen in Form von chronischen Kniegelenksbeschwerden oder Funktionsstörungen aktenkundig" sind und der Vollbeweis einer Gonarthrose links am 30.9.2002 somit nicht erbracht ist.

Dies ändert freilich nichts daran, dass bezogen auf das rechte Knie der Erkrankungsfall der Gonarthrose vor dem Stichtag bindend festgestellt ist (s soeben unter 1.) und damit die "Erkrankung Gonarthrose" iS der BK 2112 insgesamt bereits vor dem Stichtag vorlag. Wie ausgeführt, setzt die BK 2112 nicht zwingend voraus, dass beide Knie gleichzeitig erkranken. Die Frage, ob bei einer sukzessiven Erkrankung beider Knie versicherungsrechtlich ein einheitlicher Erkrankungsfall vorliegt, kann nur mit Blick auf die gefährdende Tätigkeit (die schädigenden Einwirkungen) beantwortet werden (BSG vom 18.12.1990 - 8 RKnU 2/90 - SozR 3-2200 § 592 Nr 1 und vom 24.8.1978 - 5 RKnU 6/77 - SozR 5677 Anl 1 Nr 42 Nr 1). Es kommt mithin darauf an, ob die Gonarthrose des einen Knies auf denselben oder aber auf anderen, davon unabhängigen Belastungen als die Gonarthrose des anderen Knies beruht. Auch wenn faktisch und in aller Regel nur die gesamte Kniebelastung während des Arbeitslebens zu "einer kumulativen Einwirkungsdauer … von mindestens 13 000 Stunden und einer Mindesteinwirkungsdauer von insgesamt einer Stunde pro Schicht" führen wird, ist - jedenfalls theoretisch - nicht völlig auszuschließen, dass sich in besonders gelagerten Einzelfällen feststellen lässt, dass die Schäden an den einzelnen Knien auf voneinander unabhängige Einwirkungen zurückzuführen sind, sodass sie ausnahmsweise als selbständige Erkrankungsfälle anzusehen wären. So erwähnt auch das Merkblatt zur BK 2112 in der Bekanntmachung des BMGS vom 30.12.2009, GMBl 2010, 98, zB überwiegend einseitige Kniebelastungen (ebenso zutreffend SG München vom 23.9.2015 - S 33 U 572/12). Im vorliegenden Fall trifft das jedoch nicht zu. Die vom Kläger ausgeübten gefährdenden Tätigkeiten bilden eine Einheit und können nur insgesamt sowohl für die Gonarthrose rechts als auch links ursächlich sein, weil die kumulative Einwirkungsdauer von mindestens 13 000 Stunden nach den unangefochtenen und damit bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) lediglich um 1840 Stunden überschritten ist und der Kläger nach dem Jahre 2002 seine Tätigkeit offenbar vollständig aufgegeben hat. Eine erneute nur das linke Knie schädigende Exposition nach der Gonarthrose am rechten Knie scheidet daher aus. Eine damit nur in Frage kommende Belastungsdosis von 1840 Stunden genügt indes nicht, um überhaupt denkbar einen eigenständigen Erkrankungsfall nach dem 1.10.2002 isoliert herbeizuführen. Wären die Gonarthrosen an beiden Knien hier sukzessive, aber beide nach dem Stichtag eingetreten, so wäre für das linke Knie nur eine Erhöhung der MdE gemäß § 48 Abs 1 SGB X als Folge der bereits anerkannten Gonarthrose rechts in Betracht gekommen und gerade keine Anerkennung einer zweiten, neuen BK 2112, weil es insofern an der hinreichenden Kniebelastung (Exposition) gefehlt hätte.

Der Senat hat im Übrigen keine Bedenken hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der Übergangsvorschrift des § 6 Abs 3 S 1 BKV. Bei der Einführung neuer BKen darf der Verordnungsgeber die Anerkennung von Erkrankungen, die vor einem Stichtag liegen, grundsätzlich ausschließen (BSG vom 24.2.2000 - B 2 U 43/98 - SozR 3-2200 § 551 Nr 14). Das BVerfG hat (Beschluss vom 9.10.2000 - 1 BvR 791/95 - SozR 3-2200 § 551 Nr 15) die Vereinbarkeit solcher Stichtagsregelungen mit dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG grundsätzlich bestätigt (vgl BVerfG vom 9.10.2000 - 1 BvR 791/95 - SozR 3-2200 § 551 Nr 15; vgl auch BVerfG vom 23.6.2005 - 1 BvR 235/00 - SozR 4-1100 Art 3 Nr 32 sowie Senatsurteil vom 27.6.2006 - B 2 U 5/05 R - BSGE 96, 297 = SozR 4-5671 § 6 Nr 2). Anhaltspunkte dafür, dass der hier gewählte Stichtag nicht sachgemäß sein könnte, sind nicht ersichtlich; der Kläger hat hierzu auch nichts vorgetragen. Vielmehr erscheint dieser Stichtag schon wegen der schwierigen Feststellung medizinischer Sachverhalte "im Nachhinein" sachgerecht. Dies zeigt auch die vorliegende Fallgestaltung, denn das rechte Knie des Klägers wurde bereits 2003 vollständig prothetisch versorgt und weitere medizinische Unterlagen waren nicht mehr vorhanden.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 Abs 1 SGG.

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