Bundessozialgericht

Bundessozialgericht Urteil vom 14.06.2018, B 9 V 3/17 R

Soziales Entschädigungsrecht - "Dritter" im Sinne des § 35 Absatz 2 Satz 1 BVG - entgeltliche Pflege durch einen Elternteil - Arbeitsvertrag - erhöhte Pflegezulage - unentgeltliche Pflege durch den anderen Elternteil - halbe pauschale Pflegezulage - familiäres Privileg - sozialgerichtliches Verfahren - Zulässigkeit einer Teilanfechtung - materielle Teilbarkeit des Bescheids - Bestandskraft des nicht angefochtenen Teils - erstmaliger Antrag auf Zinsen im Revisionsverfahren

Leitsätze

1. Ein Anspruch des Beschädigten auf erhöhte Pflegezulage kann auch bei entgeltlicher Pflege durch Ehegatten, Elternteile oder Lebenspartner aufgrund eines Arbeitsvertrags bestehen (Festhaltung an BSG vom 4.2.1998 - B 9 V 28/96 R = SozR 3-3100 § 35 Nr 8).

2. Die Gewährung der erhöhten Pflegezulage für die entgeltliche Pflege durch einen Elternteil schließt den Anspruch auf Zahlung der halben pauschalen Pflegezulage für die unentgeltliche Pflege durch den anderen Elternteil (familiäres Privileg) nicht aus.

Tenor

Auf die Revision des Klägers werden die Urteile des Landessozialgerichts für das Saarland vom 7. März 2017 und des Sozialgerichts für das Saarland vom 5. Juli 2012 aufgehoben.

Der Bescheid des Beklagten vom 11. August 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24. März 2011 wird geändert.

Der Beklagte wird verurteilt, dem Kläger ab Mai 2010 zusätzlich zur erhöhten Pflegezulage die hälftige pauschale Pflegezulage nach der Stufe V zu zahlen und die nachgezahlten Beträge nach den gesetzlichen Vorschriften zu verzinsen.

Der Beklagte hat die Kosten in allen Rechtszügen zu tragen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Auszahlung der halben pauschalen Pflegezulage für die Pflege des Klägers durch seinen Vater.

Bei dem 1996 geborenen Kläger ist ein epileptisches Anfallsleiden durch Hirnschädigung als Impfschaden anerkannt. Der Beklagte gewährt ihm deshalb als Versorgungsleistung ua eine pauschale Pflegezulage gemäß § 60 Abs 1 S 1 Infektionsschutzgesetz (IfSG) iVm § 35 Abs 1 Bundesversorgungsgesetz (BVG) nach Stufe V (Bescheid vom 25.3.2010).

Nachdem der Kläger den Wunsch geäußert hatte, einen entgeltlichen Pflegearbeitsvertrag mit seiner Mutter abzuschließen, erkannte der Beklagte dem Grunde nach die Voraussetzungen für eine Erhöhung der Pflegezulage gemäß § 35 Abs 2 S 1 BVG an (Bescheid vom 24.6.2010). Der Kläger und seine Mutter schlossen den Vertrag daraufhin ab. Der Beklagte verpflichtete sich, die dadurch entstehenden Kosten ab Mai 2010 als erhöhte Pflegezulage an den Kläger zu zahlen, allerdings unter Anrechnung der vollen pauschalen Pflegezulage nach Stufe V (Bescheid vom 11.8.2010).

Der Kläger widersprach und machte geltend, wegen der unentgeltlichen Pflege durch seinen Vater müsse ihm der Beklagte zusätzlich zu der erhöhten Pflegezulage die halbe pauschale Pflegezulage auszahlen.

Widerspruch, Klage und Berufung sind erfolglos geblieben (Widerspruchsbescheid vom 24.3.2011, Urteil des SG vom 5.7.2012, Urteil des LSG vom 7.3.2017). Das LSG hat sein Urteil darauf gestützt, der Kläger habe schon keinen Anspruch auf eine erhöhte Pflegezulage. Die dafür vorausgesetzte Betreuung durch "Dritte" erfolge bei der Pflege durch Ehegatten oder Elternteile nicht (Abweichung von BSG Urteil vom 4.2.1998 - B 9 V 28/96 R - SozR 3-3100 § 35 Nr 8).

Mit seiner Revision rügt der Kläger eine Verletzung von § 77 SGG und § 35 Abs 2 BVG. Der Anspruch auf die erhöhte Pflegezulage folge schon aus der Bestandskraft der ergangenen Bescheide. Er ergebe sich zudem aus der BSG-Rechtsprechung, der weiter zu folgen sei. Zusätzlich stehe ihm die Hälfte der pauschalen Pflegezulage zu, weil sein Vater ihn unentgeltlich pflege.

Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts für das Saarland vom 7. März 2017 und das Urteil des Sozialgerichts für das Saarland vom 5. Juli 2012 aufzuheben sowie den Bescheid des Beklagten vom 11. August 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24. März 2011 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, ihm ab Mai 2010 zusätzlich zur erhöhten Pflegezulage die hälftige pauschale Pflegezulage der Stufe V zu zahlen und die nachgezahlten Beträge nach den gesetzlichen Vorschriften zu verzinsen.

Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Er verweist auf die seiner Ansicht nach zutreffenden Ausführungen des angegriffenen Urteils.

Die Beigeladene hat sich nicht geäußert und keinen Antrag gestellt.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision des Klägers ist begründet (§ 170 Abs 2 S 1 SGG).

1. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist der vom Kläger geltend gemachte Anspruch auf Zahlung der hälftigen pauschalen Pflegezulage nach § 60 Abs 1 S 1 IfSG iVm § 35 Abs 2 S 2 BVG zusätzlich zur bereits gewährten erhöhten Pflegezulage nach § 35 Abs 2 S 1 BVG. Der Bescheid des Beklagten vom 11.8.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24.3.2011 (§ 95 SGG) ist nur insoweit Streitgegenstand geworden, als er diesen Anspruch abgelehnt und der Kläger den Bescheid deshalb angefochten hat. Eine solche Teilanfechtung war zulässig, weil der Bescheid nach seinem materiell-rechtlichen Gehalt sowie der Regelungsabsicht des Beklagten in begünstigende und belastende Regelungsinhalte teilbar war (vgl BSG Urteil vom 23.2.2005 - B 6 KA 77/03 R - SozR 4-1500 § 92 Nr 2 RdNr 7 f mwN; s dazu 3b). Der Bescheid enthält zwei eigenständige Regelungsgegenstände. Mit dem ersten hat der Beklagte das ob und wie der Kostenerstattung für die bezahlte Pflege des Klägers durch seine Mutter positiv beschieden und sich verpflichtet, die im festgelegten Rahmen tatsächlich anfallenden Kosten gegen Nachweis zu tragen. Gegen diesen Teil des Bescheids, der ihn lediglich begünstigt, hat der Kläger keinen Rechtsbehelf eingelegt, so dass dieser nicht angefochtene Teil bestandskräftig geworden ist (§ 77 SGG). Vielmehr hat er zulässigerweise allein die im Bescheid als zweiten eigenständigen Regelungsgegenstand enthaltene Weigerung des Beklagten angegriffen, ihm zusätzlich zur erhöhten Pflegepauschale die halbe pauschale Pflegezulage für die unentgeltliche Pflege durch seinen Vater auszuzahlen (sog familiäres Privileg).

2. Seinen Anspruch auf Zahlung einer höheren Pflegezulage verfolgt der Kläger zutreffend mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§§ 54 Abs 1 S 1 und Abs 4, 56 SGG). Wie die gesetzliche Aufzählung in § 9 Abs 1 Nr 3 BVG zeigt, kann die Pflegezulage als selbstständige Leistung neben der Beschädigtenrente gesondert geltend gemacht werden (vgl Heinz, WzS 2012, 75, 76). Das Klagebegehren ist auch zulässigerweise auf den Erlass eines Grundurteils (§ 130 Abs 1 S 1 SGG) gerichtet. Denn der Kläger hat die von ihm beanspruchte (Geld-)Leistung genau bezeichnet. Unerheblich ist, dass er im Klageantrag nur deren Beginn und nicht die konkrete Höhe und das Leistungsende der als Rechtsanspruch ausgestalteten hälftigen pauschalen Pflegezulage benannt hat.

Ebenso zulässig ist der erstmals in der Revisionsinstanz erhobene Antrag auf Zinsen. Darin liegt keine im Revisionsverfahren unzulässige Klageänderung iS des § 168 S 1 SGG, sondern eine gemäß § 99 Abs 3 Nr 2 Alt 2 SGG zulässige Erweiterung des Klageantrags in Bezug auf Nebenforderungen (BSG Urteil vom 6.2.2003 - B 7 AL 72/01 R - SozR 4-4100 § 119 Nr 1 RdNr 6).

3. Das LSG hat die Berufung zu Unrecht zurückgewiesen, indem es dem Kläger einen Anspruch auf erhöhte Pflegezulage insgesamt abgesprochen hat. Auch der Bescheid vom 11.8.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24.3.2011 (§ 95 SGG) ist teilweise rechtswidrig und beschwert den Kläger in seinen Rechten (§ 54 Abs 2 SGG), soweit der Beklagte damit seinen Anspruch auf die Zahlung der hälftigen pauschalen Pflegezulage zusätzlich zur erhöhten Pflegezulage abgelehnt hat.

Der Kläger hat einen Anspruch auf eine höhere Pflegezulage, zusammengesetzt aus dem Teilbetrag für die pauschale Pflegezulage (dazu a) und demjenigen auf eine erhöhte Pflegezulage in Höhe der angemessenen Kosten für die entgeltliche Pflege durch seine Mutter, soweit sie die pauschale Pflegezulage übersteigen (dazu b). Dabei ist ihm wegen der unentgeltlichen Pflege durch seinen Vater die Hälfte der pauschalen Pflegezulage nach Stufe V zu belassen (dazu c).

a) Der Kläger erfüllt die Voraussetzungen für die Gewährung einer Pflegezulage nach § 60 Abs 1 S 1 IfSG iVm § 35 Abs 1 BVG. Wie zwischen den Beteiligten aufgrund des LSG-Urteils vom 27.5.2008 und den zu seiner Ausführung ergangenen Bescheiden feststeht, hat der Beklagte dem Kläger wegen seiner schweren gesundheitlichen Dauerschäden durch eine Impfung gemäß § 60 Abs 1 S 1 IfSG Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG zu leisten. Auf dieser Rechtsgrundlage zahlt der Beklagte dem Kläger - entsprechend dem Grad seiner schädigungsbedingten Hilflosigkeit - eine pauschale Pflegezulage nach Stufe V.

b) Zusätzlich hat der Kläger ab Mai 2010 nach § 60 Abs 1 S 1 IfSG iVm § 35 Abs 2 S 1 BVG Anspruch auf eine über die pauschale Pflegezulage hinausgehende erhöhte Pflegezulage für die entgeltliche Pflege durch seine Mutter, die sie in Erfüllung des mit ihm geschlossenen Pflegearbeitsvertrags gegen Entgelt erbringt. Dieser Anspruch besteht in Höhe der für diese entgeltliche Pflege tatsächlich aufzuwendenden angemessenen Kosten. Dies steht zwischen den Beteiligten nach § 77 SGG schon aufgrund des Bescheids vom 11.8.2010 fest, den der Kläger insoweit nicht angefochten hat und der deshalb teilweise bestandskräftig geworden ist (vgl BSG Urteil vom 23.2.2005 - B 6 KA 77/03 R - SozR 4-1500 § 92 Nr 2 RdNr 7 mwN; s oben dazu unter 1.). Die vom LSG dennoch aufgeworfene und verneinte materiell-rechtliche Frage, ob dem Kläger die erhöhte Pflegezulage nach § 35 Abs 2 S 1 BVG zustand, stellte sich daher aufgrund der im Bescheid vom 11.8.2010 getroffenen und in Bestandskraft erwachsenden Entscheidung der Beklagten im Verhältnis zum Kläger nicht mehr.

Unabhängig davon geben die Argumente des LSG keinen Anlass, die bisherige Senatsrechtsprechung zur Gewährung der erhöhten Pflegezulage für die bezahlte Pflege hilfloser Beschädigter durch Ehegatten oder Eltern aufzugeben. Wie der Senat entschieden hat, begründet auch die aufgrund eines Arbeitsvertrags geleistete Pflege durch Ehegatten oder Eltern einen Anspruch auf Gewährung der erhöhten Pflegezulage im Umfang angemessener Kosten (Senatsurteile vom 4.2.1998 - B 9 V 28/96 R - SozR 3-3100 § 35 Nr 8 S 20 und vom 2.12.2010 - B 9 V 2/10 R - SozR 4-3100 § 35 Nr 5 RdNr 44). Dieser Anspruch folgt aus § 35 Abs 2 S 1 BVG. Danach wird die Pflegezulage um den übersteigenden Betrag erhöht, wenn fremde Hilfe iS des Abs 1 von Dritten aufgrund eines Arbeitsvertrags geleistet wird und die dafür aufzuwendenden angemessenen Kosten den Betrag der pauschalen Pflegezulage nach Abs 1 übersteigen. Dritte iS dieser Vorschrift können auch Ehegatten oder Eltern sein. Die vom LSG zur Begründung seiner abweichenden Rechtsansicht wiederholten, bereits bekannten Gegenargumente sprechen nach wie vor nicht entscheidend gegen dieses Normverständnis. Der Wortlaut der Anspruchsnorm hat sich nicht geändert. § 35 Abs 2 S 1 BVG spricht weiterhin von fremder Hilfe durch Dritte, während nachfolgend in § 35 Abs 2 S 2 BVG von Ehegatten, Lebenspartnern oder einem Elternteil die Rede ist. Dieser Sprachgebrauch schließt aber letztere schon nach dem Wortlaut nicht aus dem Anwendungsbereich des § 35 Abs 1 S 1 BVG aus. "Fremd" ist eine Hilfe immer schon dann, wenn sie von einer anderen Person erbracht wird (vgl Heinz, ZFSH/SGB 2018, 197, 205). Aus der Sonderregelung in § 35 Abs 2 S 2 BVG kann nicht abgeleitet werden, dass nur solche Personen Dritte sein können, die § 35 Abs 2 S 2 BVG nicht nennt. Vielmehr ist diese Regelung nur deshalb auf einen besonderen Personenkreis hin formuliert, weil die vollständige Anrechnung der pauschalen Pflegezulage auf die erhöhte Pflegezulage in diesen Konstellationen zu Härten führen würde (Gelhausen, Soziales Entschädigungsrecht, 2. Aufl 1998, RdNr 455). Wegen des immensen Pflegebedarfs bei schwerbeschädigten Personen wie dem Kläger muss zudem regelmäßig davon ausgegangen werden, dass trotz des Abschlusses eines entgeltlichen Pflegevertrags weiterhin Pflege durch Elternteile oder andere Angehörige geleistet wird (vgl Gesetzentwurf der Bundesregierung zum KOV-Strukturgesetz 1990, BT-Drucks 11/5831 S 14). Es wäre unverständlich und widersprüchlich, wenn die Pflege insbesondere durch Elternteile, die vor dem Abschluss eines entgeltlichen Pflegevertrags ohne jeden Nachweis zum Umfang solcher Pflege durch eine pauschale Pflegezulage abgegolten wird, bei einem durch den Vertragsabschluss dokumentierten Pflegenachweis nicht mehr finanziell anerkannt würde. Gerade wegen der Vermeidung dieses Ergebnisses und der anzunehmenden Sonderstellung von Eltern und Ehegatten, die neben einer bezahlten Arbeitskraft unentgeltlich Pflegeleistungen erbringen, spricht der Gesetzgeber in § 35 Abs 2 S 1 BVG von "Dritten". Deshalb kann § 35 Abs 2 S 1 BVG kein Verbot der arbeitsvertraglich vereinbarten Pflege gegen Entgelt durch die Eltern entnommen werden. Ebenso wenig gebietet die Norm, entgeltliche Hilfe durch nicht familiär verbundene "Dritte" so umfangreich in Anspruch zu nehmen, dass weitere - eine pauschale Pflegezulage begründende - unentgeltliche Pflege durch die Eltern nicht mehr notwendig ist. Dass die soziale Absicherung pflegender Angehöriger durch Regelungen im BVG für die Hinterbliebenenversorgung erfolgt und durch Regelungen im SGB XII verbessert wurde, wie vom LSG im Einzelnen dargelegt, ist kein stichhaltiges Argument für die einschränkende Auslegung der gesetzlichen Anspruchsnorm des § 35 Abs 2 S 1 BVG, die diesen Personenkreis begünstigen soll.

Auch die Vorarbeiten des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales zu einem Gesetz zur Regelung des Sozialen Entschädigungsrechts in Gestalt eines "Ersten Arbeitsentwurfs eines Gesetzes zur Regelung des Sozialen Entschädigungsrechts" (Stand: 10.1.2017) sprechen dafür, dass nach geltendem Recht entgeltliche Pflege durch Eltern einen Anspruch auf erhöhte Pflegezulage begründen kann. Erst das zukünftige Recht wird möglicherweise insbesondere Eltern von dem vorgesehenen Arbeitgebermodell für die Pflege ausschließen (§ 57 Abs 4 S 4 SGB XIII des Entwurfs) mit der Begründung, eine Abgrenzung zwischen familienrechtlichen Beistandspflichten und arbeitsrechtlichen Verpflichtungen sei hierbei nicht sinnvoll möglich (vgl Entwurfsbegründung S 126). Hingegen sollen die Aufwendungen aus bereits bestehenden Pflegearbeitsverträgen mit Eltern aus Gründen des Vertrauensschutzes weiter anerkannt werden (§ 108 Abs 3 S 3 SGB XIII des Entwurfs).

c) Über die erhöhte Pflegezulage hinaus kann der Kläger schließlich noch beanspruchen, dass ihm für die unentgeltliche Pflege durch seinen Vater die hälftige pauschale Pflegezulage gemäß § 60 Abs 1 S 1 IfSG iVm § 35 Abs 2 S 2 BVG verbleibt. Liegen die Voraussetzungen für eine erhöhte Pflegezulage wie beim Kläger vor, sind nach § 35 Abs 2 S 1 BVG die erhöhte Pflegezulage und die pauschale Pflegezulage grundsätzlich nicht nebeneinander zu gewähren. Ausgezahlt wird dann nur noch die erhöhte Pflegezulage in Höhe der angemessenen Pflegekosten. Sie enthält gleichzeitig die pauschale Pflegezulage, die damit vollständig für die Deckung der Kosten entgeltlicher Pflege einzusetzen ist. Leben indes Beschädigte mit ihren Ehegatten, Lebenspartnern oder - wie hier - einem Elternteil in häuslicher Gemeinschaft und pflegt sie dieser Angehörige ebenfalls (§ 35 Abs 2 S 5 BVG), sieht § 35 Abs 2 S 2 BVG (in der seit 21.12.2007 gültigen Fassung durch das Gesetz zur Änderung des Bundesversorgungsgesetzes und anderer Vorschriften des Sozialen Entschädigungsrechts vom 13.12.2007, BGBl I 2904) als Ausnahme vor, die Pflegezulage so zu erhöhen, dass dem Beschädigten mindestens die Hälfte der pauschalen Pflegezulage verbleibt. Entgegen der Rechtsauffassung des Beklagten gilt dies auch dann, wenn die entgeltliche Pflege, für welche die erhöhte Pflegezulage gezahlt wird, vom anderen Elternteil geleistet wird (wie hier Fehl, ZfS 1992, 161, 163; Heinz, ZFSH/SGB 2018, 197, 206 mwN).

Nach dem Wortlaut der Norm genügt es für die Begründung eines Anspruchs auf die zusätzliche Auszahlung der hälftigen pauschalen Pflegezulage, wenn der Beschädigte mit einem Elternteil in häuslicher Gemeinschaft lebt und von ihm unentgeltlich gepflegt wird, wie es beim Kläger und seinem Vater der Fall ist.

Die systematische Betrachtung sowie Sinn und Zweck bestätigen dieses Ergebnis. § 35 Abs 2 S 3 bis 5 BVG bilden ein abgestuftes System für den teilweisen Ersatz der Kosten unentgeltlicher Pflege durch Angehörige, die zusätzlich zu bezahlter Pflege erfolgt. Der Grundtatbestand des § 35 Abs 2 S 2 BVG sieht vor, dem Beschädigten im Fall zusätzlicher unentgeltlicher Pflege durch die dort benannten Angehörigen die Hälfte der pauschalen Pflegezulage zu belassen. Nach S 3 kann der Anteil der zu belassenden pauschalen Pflegezulage bis zum vollen Betrag erhöht werden, wenn die Angehörigen neben Dritten in außergewöhnlichem Umfang zusätzliche Hilfe leisten. Dagegen entfällt der Anspruch gemäß S 5 der Vorschrift, wenn die Angehörigen nicht nur vorübergehend überhaupt keine Pflegeleistungen mehr erbringen. Wie dieses Normgefüge zeigt, soll die Pflegepauschale die finanziellen Aufwendungen einer Betreuung durch andere Personen ersetzen. Bei einer Pflege durch Angehörige wird sie in der Regel als fester Pauschbetrag gewährt, weil nicht im Einzelnen nachgewiesen werden kann, was der Beschädigte außerhalb eines Arbeitsvertrags für seine Angehörigen aufgewendet oder für zusätzliche Pflegeleistungen familienfremder Pflegekräfte bezahlt (Senatsurteil vom 2.7.1997 - 9 RV 7/96 - SozR 3-3100 § 35 Nr 7 S 15 = Juris RdNr 17). In diesem Zusammenhang zielt das familiäre Privileg darauf ab, den oft überobligatorischen persönlichen Einsatz von Angehörigen bei der Pflege zu honorieren, den auch eine arbeitsvertragliche Pflege in der Regel nicht entbehrlich macht. Es soll damit einen finanziellen Anreiz für unentgeltliche, neben einer bezahlten Arbeitskraft geleistete Pflege setzen (BSG Urteil vom 10.12.2003 - B 9 V 7/03 R - BSGE 92, 42, 45 = SozR 4-3100 § 35 Nr 3 S 20). Dies verkennt der Beklagte mit seinem Hinweis auf die sittlichen Beistandspflichten des Vaters des Klägers.

Pflegen daher Ehegatten oder Eltern den Beschädigten aufgrund eines Arbeitsvertrags, greift das familiäre Privileg nicht für die bezahlte Pflegeperson (Senatsurteil vom 10.12.2003 - B 9 V 7/03 R - BSGE 92, 42, 45 = SozR 4-3100 § 35 Nr 3 S 20). Denn wer als Arbeitnehmer gegen Entgelt pflegt, kann nicht gleichzeitig unentgeltlich pflegender Familienangehöriger sein. Er bedarf keines weiteren finanziellen Anreizes für seinen Einsatz bei der Pflege, der bereits mit seiner arbeitsvertraglichen Bezahlung abgegolten wird.

Pflegt andererseits nur der eine Elternteil einen hilflosen Beschädigten gegen Entgelt, so bleibt Anlass und Raum für zusätzliche unentgeltliche Pflege durch den anderen Elternteil. Der vom Gesetz bezweckte finanzielle Anreiz für diese unentgeltliche Pflege kann hier in vergleichbarer Weise wirken wie bei gleichzeitiger unentgeltlicher Pflege durch einen Elternteil und entgeltlicher Pflege durch eine nicht verwandte Pflegekraft.

Nicht zu überzeugen vermag demgegenüber das Argument des Beklagten, das Entgelt für die bezahlte Pflege verbleibe der Familiengemeinschaft, was dem familiären Privileg entgegenstehe. Der pflegende Elternteil muss wegen seines bezahlten Einsatzes in der Pflege seines Kindes regelmäßig auf andere - möglicherweise auch einträglichere - Erwerbsmöglichkeiten verzichten. Ein finanzieller Vorteil der Familie durch die erhöhte Pflegezulage kann daher nicht als gesetzlicher Regelfall unterstellt werden. Zudem darf es dem Beschädigten und dem unentgeltlich pflegenden Elternteil nicht zum Nachteil gereichen, wenn schon die angestellte Pflegekraft sich im Rahmen ihres Arbeitsverhältnisses und nach allgemeiner Lebenserfahrung auch darüber hinaus bei der Pflege überobligatorisch engagiert, weil sie mit dem Beschädigten verwandt ist. Dieser hohe persönliche Einsatz pflegender Angehöriger entlastet zugleich das System der staatlichen Fürsorge.

4. Der Anspruch des Klägers gegen den Beklagten, die ab Mai 2010 monatlich nachzuzahlende halbe pauschale Pflegezulage zu verzinsen, folgt aus § 44 SGB I.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Die Kosten trägt allein der Beklagte. Die Beigeladene trifft keine Kostenlast, weil sie im Verfahren keinen Sachantrag gestellt hat. Insoweit ist auch im Rahmen des § 193 SGG der Rechtsgedanke des § 154 Abs 3 VwGO heranzuziehen (vgl Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl 2017, § 193 RdNr 11).

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