Bundessozialgericht

Bundessozialgericht Urteil vom 08.05.2019, B 14 AS 6/18 R

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 11. Dezember 2017 aufgehoben, soweit das Urteil des Sozialgerichts Lüneburg vom 18. April 2017 und der Bescheid des Beklagten vom 15. Juli 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25. Juli 2016 geändert sowie der Beklagte verurteilt worden ist, an die Klägerin für Juli 2016 weitere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von 135,65 Euro zu zahlen, und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

Im Streit ist der Anspruch der Klägerin im Juli 2016 auf zuschussweise Leistungen nach dem SGB II zur Übernahme von Kosten für Schulbücher.

Die am 18.12.1998 geborene Klägerin lebte zusammen mit ihrer Mutter sowie zwei Geschwistern und bezog mit diesen im streitigen Monat vom beklagten Jobcenter Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II (Bescheid vom 26.2.2016). Der Beklagte leistete ihr für die Ausstattung mit persönlichem Schulbedarf 70 Euro zum 1.8.2016 und 30 Euro zum 1.2.2017. Die Klägerin besuchte ab dem Schuljahr 2016/2017 die 11. Klasse eines beruflichen Gymnasiums (Oberstufe). Sie beantragte im Juli 2016 die Übernahme der Kosten ua für die Beschaffung von Schulbüchern, die sie selbst kaufen müsse. Der Beklagte lehnte den Antrag ab, weil zB für diesen Bedarf habe angespart werden können oder der Erwerb gebrauchter Bücher zumutbar sei (Bescheid vom 15.7.2016; Widerspruchsbescheid vom 25.7.2016).

Das SG hat die Klage abgewiesen und die Berufung zugelassen (Urteil vom 18.4.2017). Das LSG hat das Urteil des SG geändert und den Beklagten verurteilt, der Klägerin für Juli 2016 weitere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von 135,65 Euro zu zahlen (Urteil vom 11.12.2017): Die Klägerin habe im Juli 2016 Anspruch auf die begehrten Leistungen für angeschaffte Schulbücher, weil der Regelbedarf zwar den Bedarf für Schulbücher umfasse, die mangels Lernmittelfreiheit in Niedersachsen anfallenden Kosten aber nicht abdecke. Die so entstehende evidente Bedarfsunterdeckung sei wegen der gebotenen verfassungskonformen Auslegung des SGB II durch eine analoge Anwendung des Härtefallmehrbedarfs nach § 21 Abs 6 SGB II zu beheben. Soweit die Klägerin die Übernahme anderer Kosten als für Schulbücher begehrt habe, sei sie auf die ihr geleistete Ausstattung mit persönlichem Schulbedarf zu verweisen und die Berufung zurückzuweisen.

Mit der vom LSG nur für den Beklagten zugelassenen Revision rügt dieser insbesondere eine Verletzung von § 21 Abs 6 SGB II. Dessen Voraussetzungen lägen nicht vor und eine analoge Anwendung scheide mangels planwidriger Regelungslücke aus. Vorrang habe vielmehr ein Darlehen nach § 24 Abs 1 SGB II. Im Übrigen rügt der Beklagte eine unzureichende Amtsermittlung durch das LSG zur Frage, ob der geltend gemachte Bedarf zumindest teilweise unter Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten der Klägerin, etwa durch den Erwerb gebrauchter Bücher, hätte gedeckt werden können.

Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 11. Dezember 2017 zu ändern und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Lüneburg vom 18. April 2017 insgesamt zurückzuweisen.

Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision des Beklagten ist im Sinne der Aufhebung des angefochtenen Urteils des LSG, soweit es der Klage stattgegeben hat, und Zurückverweisung der Sache an das LSG begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG). Zu Recht hat das LSG der Klägerin dem Grunde nach einen Anspruch auf Übernahme von Kosten für Schulbücher auf der Grundlage des Härtefallmehrbedarfs nach § 21 Abs 6 SGB II zugesprochen; über dessen Höhe ist dem Senat indes eine abschließende Entscheidung verwehrt.

1. Streitgegenstand des Revisionsverfahrens ist neben den vorinstanzlichen Entscheidungen der Bescheid des Beklagten vom 15.7.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.7.2016, durch den der Anspruch der Klägerin auf weitere zuschussweise Leistungen ua für Schulbücher im Juli 2016 und damit auf höhere Leistungen nach dem SGB II abgelehnt worden ist, als ihr für diesen Monat durch Bescheid vom 26.2.2016 bewilligt worden sind (vgl zur prozessualen Lage BSG vom 12.9.2018 - B 4 AS 33/17 R - SozR 4-4200 § 20 Nr 24 RdNr 10). Streitig sind Kosten für angeschaffte Schulbücher von 135,65 Euro aufgrund der Verurteilung des Beklagten durch das LSG zu deren Zahlung und der Revision nur des Beklagten, der die vollständige Zurückweisung der Berufung gegen das die Klage insgesamt abweisende Urteil des SG erstrebt.

Nicht Gegenstand des Verfahrens ist eine darlehensweise Leistungsgewährung (vgl § 24 Abs 1 SGB II), weil das Begehren der Klägerin sich ausschließlich auf eine zuschussweise Übernahme der Schulbuchkosten richtet, im Übrigen hat der Beklagte über ein solches Darlehen nicht entschieden (vgl zum Darlehen als aliud zur zuschussweisen Leistungsgewährung Kemper in Eicher/Luik, SGB II, 4. Aufl 2017, § 42a RdNr 49).

2. Verfahrensrechtliche Hindernisse stehen einer Sachentscheidung des Senats nicht entgegen. Insbesondere war die Berufung zulässig, nachdem das SG sie in seinem Urteil zugelassen hat (vgl § 144 SGG). Die Klägerin verfolgt ihr Leistungsbegehren zutreffend mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1, Abs 4 SGG).

3. Rechtsgrundlage für den Anspruch der Klägerin auf höhere Leistungen ist §§ 19 ff iVm §§ 7 ff SGB II in der Fassung, die das SGB II für den streitbefangenen Zeitraum zuletzt durch das Gesetz zur Förderung von Investitionen finanzschwacher Kommunen und zur Entlastung von Ländern und Kommunen bei der Aufnahme und Unterbringung von Asylbewerbern vom 24.6.2015 (BGBl I 974) erhalten hat, denn in Rechtsstreitigkeiten über abgeschlossene Bewilligungszeiträume ist das zum damaligen Zeitpunkt geltende Recht anzuwenden (Geltungszeitraumprinzip; vgl BSG vom 19.10.2016 - B 14 AS 53/15 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 78 RdNr 14 f), und hierbei ausgehend vom Leistungsbegehren der Klägerin der Härtefallmehrbedarf nach § 21 Abs 6 SGB II.

4. Die Klägerin erfüllte nach den Feststellungen des LSG im Juli 2016 die Leistungsvoraussetzungen des § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II; ein Ausschlusstatbestand lag nicht vor.

Zusätzlich zu dem ihr für diesen Monat bewilligten Regelbedarf nach § 20 Abs 2 Satz 2 Nr 1 SGB II und dem Kopfteil an den Bedarfen für Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II hat sie dem Grunde nach Anspruch auf Übernahme von Kosten für Schulbücher auf der Grundlage des Härtefallmehrbedarfs nach § 21 Abs 6 SGB II, dessen Leistungsvoraussetzungen bei deren verfassungskonformer Auslegung erfüllt sind (dazu 5.). Anderes folgt nicht aus der Kultushoheit der Länder (dazu 6.). Das LSG wird im wiedereröffneten Berufungsverfahren über die Höhe des Anspruchs zu entscheiden haben (dazu 7.).

5. Kosten für Schulbücher, die Schüler mangels Lernmittelfreiheit selbst kaufen müssen, sind durch das Jobcenter als Härtefallmehrbedarf nach § 21 Abs 6 SGB II zu übernehmen. Diese Rechtsgrundlage findet in dieser Sondersituation unmittelbare Anwendung, ohne dass es einer Analogie bedarf.

a) Der Annahme eines Härtefallmehrbedarfs steht nicht bereits entgegen, dass die Klägerin für das Schuljahr 2016/2017 Leistungen nach § 28 Abs 3 SGB II erhalten hat. Zwar sind in § 28 SGB II neben dem Regelbedarf gesondert zu berücksichtigende Bedarfe für Bildung und Teilhabe bestimmt worden. Doch die nach § 28 Abs 3 SGB II zu leistende Pauschale für die Ausstattung mit persönlichem Schulbedarf erfasst nach der ihr zugrunde liegenden Regelungskonzeption des Gesetzgebers nicht die Ausstattung mit Schulbüchern (BT-Drucks 17/3404 S 104 f zu § 28 Abs 3), sondern für diese Bedarfslage verweisen die Gesetzesmaterialien auf den Regelbedarf (BT-Drucks 17/3404 S 104 zu § 28: "Die Leistungen für Bildung und Teilhabe ergänzen den Regelbedarf, der weitergehende typische Bedarfslagen im Zusammenhang mit dem Schulbesuch abdeckt. So ist insbesondere die Anschaffung von Schulbüchern vom Regelbedarf umfasst, soweit die Länder nicht ohnehin Lehrmittelfreiheit gewähren.").

b) Einem Härtefallmehrbedarf steht indes auch nicht entgegen, dass der Bedarf für Schulbücher bei der Ermittlung des Regelbedarfs der Art nach Berücksichtigung gefunden hat. Denn dieser Bedarf ist im Regelbedarf der Höhe nach strukturell unzutreffend erfasst für Schüler, die mangels Lernmittelfreiheit in ihrem Bundesland ihre Schulbücher selbst kaufen müssen.

Der aufgrund der Rechtsprechung des BVerfG zum Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (Art 1 Abs 1 iVm dem Sozialstaatsprinzip des Art 20 Abs 1 GG) in das SGB II eingeführte zusätzliche Anspruch auf einen Härtefallmehrbedarf soll ua Sondersituationen Rechnung tragen, in denen ein seiner Art oder Höhe nach auftretender Bedarf von der Statistik nicht aussagekräftig erfasst wird und sich der Regelbedarf als unzureichend erweist (BVerfG vom 9.2.2010 - 1 BvL 1/09 ua - BVerfGE 125, 175 = SozR 4-4200 § 20 Nr 12 RdNr 206 ff, 220; vgl aus der Rechtsprechung des Senats zuletzt BSG vom 28.11.2018 - B 14 AS 48/17 R - vorgesehen für BSGE und SozR 4, RdNr 13 ff und BSG vom 28.11.2018 - B 14 AS 47/17 R - vorgesehen für SozR 4 RdNr 14 ff). So liegt es hier.

aa) Mit dem Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 24.3.2011 (BGBl I 453) sind auf der Grundlage der Bedarfsermittlung für Familienhaushalte Regelbedarfe für Kinder und Jugendliche bestimmt worden (§ 6 RBEG 2011, § 20 Abs 2 Satz 2 Nr 1 und § 23 Nr 1 SGB II; zum Verfahren der Regelbedarfsermittlung vgl zuletzt BSG vom 12.9.2018 - B 4 AS 33/17 R - SozR 4-4200 § 20 Nr 24 RdNr 17 ff <Passbeschaffungskosten>). Den Gesetzesmaterialien hierzu (BT-Drucks 17/3404 S 85) und den Ausfüllhinweisen zur der Regelbedarfsermittlung zugrunde liegenden bundesweiten Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) 2008 (Statistisches Bundesamt, Wirtschaftsrechnungen, Fachserie 15 Heft 7, 2013, Anlage: Erhebungsunterlagen der EVS 2008 - Haushaltsbuch, S 50 f, 56, 60) ist zu entnehmen, dass bei der Regelbedarfsermittlung für Jugendliche von 14 bis unter 18 Jahren Kosten für die Anschaffung von Schulbüchern Berücksichtigung gefunden haben (Abteilung 09 - Freizeit, Unterhaltung, Kultur; hierin Code 0951 000 - Bücher und Broschüren mit einem - geklammerten - Wert von 2,82 Euro; hierin Schulbücher als eine Ausgabeposition von weiteren Positionen).

Sind danach Kosten für Schulbücher vom RBEG 2011, das im streitigen Juli 2016 noch anzuwenden war, durch statistische Berechnung auf der Grundlage der bundesweiten EVS 2008 der Art nach erfasst, ist der Bedarf für Schulbücher grundsätzlich vom Regelbedarf umfasst. Dies folgt aus dem Konzept des Regelbedarfs als monatlicher Pauschalbetrag zur Sicherung des Lebensunterhalts und der Ermittlung des Regelbedarfs aufgrund des durchschnittlichen Verbrauchsverhaltens der maßgeblichen Referenzgruppe (vgl BSG vom 12.9.2018 - B 4 AS 33/17 R - SozR 4-4200 § 20 Nr 24 RdNr 16, 36 <Passbeschaffungskosten>).

bb) Der Bedarf für Schulbücher ist im Regelbedarf aufgrund der Lernmittelfreiheit in der Mehrzahl der Bundesländer strukturell nicht realitätsgerecht und der Höhe nach zu niedrig erfasst, wenn keine Lernmittelfreiheit besteht.

In der Mehrzahl der Länder sehen deren schulrechtliche Bestimmungen eine vollständige Lernmittelfreiheit durch unentgeltliche Ausleihe von Schulbüchern vor (zur Lehr- und Lernmittelfreiheit mit Nachweisen vgl letztens Deutscher Bundestag, Wissenschaftliche Dienste, WD 8 - 3000 - 141/18 vom 7.1.2019). Soweit Länder für Schulbücher eine entgeltliche Ausleihe vorsehen, regeln zudem einige von diesen eine (teilweise) Befreiung von den Kosten bei Hilfebedürftigkeit. In die statistische Berechnung des Regelbedarfs aufgrund der bundesweiten EVS haben auch Haushalte dieser Länder Eingang gefunden, in denen Ausgaben für Schulbücher nicht oder zumindest in signifikant geringerer Höhe anfallen. Die Ermittlung des Regelbedarfs aufgrund des bundesweiten durchschnittlichen Verbrauchsverhaltens ist insoweit strukturell unzutreffend für Haushalte in den Ländern, in denen keine Lernmittelfreiheit besteht. Das Ergebnis der Regelbedarfsermittlung für Schulbücher ist folglich nicht auf Schüler übertragbar, soweit für diese anders als in den meisten Bundesländern keine Lernmittelfreiheit gilt.

Diese strukturell unzutreffende Erfassung des Bedarfs für Schulbücher im Rahmen der bundesweiten EVS schließt es aus, dass dieser Bedarf in einer den verfassungsrechtlichen Vorgaben genügenden Weise vom Regelbedarf umfasst ist, wenn keine Lernmittelfreiheit besteht. Insoweit unterscheidet sich die Regelbedarfsermittlung für die Anschaffung von Schulbüchern von der für Passbeschaffungskosten, die auch für ausländische Alg II-Bezieher grundsätzlich vom Regelbedarf umfasst sind (BSG vom 12.9.2018 - B 4 AS 33/17 R - SozR 4-4200 § 20 Nr 24). Die Gruppe von Schülerinnen und Schülern, in deren Ländern keine Lernmittelfreiheit besteht, ist hierüber von vornherein bestimmt definiert, während die Gruppe von Ausländerinnen und Ausländern, deren Bedarf für die Beschaffung eines ausländischen Passes mit der Bemessung nach den Kosten eines deutschen Personalausweises unzureichend erfasst ist, einzelfallabhängig und vielgestaltig ist und unbestimmt bleibt. Insoweit kommen zusätzliche Ansprüche oder die verfassungskonforme Auslegung bestehender Regelungen nur im Einzelfall bei extrem hohen Kosten in Betracht (BSG, ebenda, RdNr 35 ff, insbesondere RdNr 40).

cc) Zur Deckung des Bedarfs für Schulbücher kann danach weder auf den Regelbedarf nach § 20 SGB II und die mit ihm verbundene Ansparkonzeption verwiesen werden noch auf ein Darlehen nach § 24 Abs 1 SGB II, denn auch die Verweisung hierauf setzt voraus, dass ein Bedarf bei der Ermittlung des Regelbedarfs in strukturell realitätsgerechter Weise zutreffend erfasst worden ist und nicht bloß ein individuell vom Regelbedarf abweichender Bedarf im Streit steht. Hieran fehlt es aufgrund der aufgezeigten strukturell zu niedrigen Regelbedarfsermittlung für Schulbücher bei fehlender Lernmittelfreiheit.

c) Für eine solche Sondersituation sieht das SGB II zur Bedarfsdeckung den Härtefallmehrbedarf nach § 21 Abs 6 SGB II vor, dessen Voraussetzungen bei verfassungskonformer Auslegung dem Grunde nach erfüllt sind.

Fehlt es aufgrund der Berechnung des Regelbedarfs an einer Deckung existenzsichernder Bedarfe, sind die einschlägigen Regelungen über gesondert neben dem Regelbedarf zu erbringende Leistungen, zu denen § 21 Abs 6 SGB II gehört, verfassungskonform auszulegen (BVerfG vom 23.7.2014 - 1 BvL 10/12 ua - BVerfGE 137, 34 = SozR 4-4200 § 20 Nr 20, RdNr 116, 125).

Bei Leistungsberechtigten wird nach § 21 Abs 6 Satz 1 SGB II ein Mehrbedarf anerkannt, soweit im Einzelfall ein unabweisbarer, laufender, nicht nur einmaliger besonderer Bedarf besteht. Der Mehrbedarf ist nach § 21 Abs 6 Satz 2 SGB II unabweisbar, wenn er insbesondere nicht durch die Zuwendungen Dritter sowie unter Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten der Leistungsberechtigten gedeckt ist und seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht.

Der Bedarf für Schulbücher ist ein besonderer Bedarf, denn er ist zwar der Art nach, aber der Höhe nach strukturell unzutreffend vom Regelbedarf erfasst, wenn keine Lernmittelfreiheit besteht (dazu oben RdNr 16 ff). Nach den vom Beklagten nicht angegriffenen und revisionsrechtlich nicht zu beanstandenden Feststellungen des LSG zum einschlägigen Landesrecht besteht für die von der Klägerin besuchte gymnasiale Oberstufe keine Lernmittelfreiheit; an diese Auslegung ist der Senat gebunden (zur Bindung des Revisionsgerichts an die vom Berufungsgericht vorgenommene Auslegung von Landesrecht, dessen Geltungsbereich sich nicht über den Bezirk des Berufungsgerichts hinaus erstreckt, vgl letztens BSG vom 12.9.2018 - B 14 AS 36/17 R - SozR 4-4200 § 11b Nr 11 RdNr 23).

Der Bedarf für Schulbücher ist bei verfassungskonformer Auslegung ein existenznotwendiger Bedarf und als solcher auch grundsätzlich unabweisbar, weil er seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht, wenn keine Lernmittelfreiheit besteht (zur Existenznotwendigkeit von Bildungsbedarfen vgl nur BVerfG vom 9.2.2010 - 1 BvL 1/09 ua - BVerfGE 125, 175 = SozR 4-4200 § 20 Nr 12 RdNr 192). Dass dieser Mehrbedarf vorliegend nicht durch Zuwendungen Dritter gedeckt werden konnte, ist den Feststellungen des LSG zu entnehmen. Ob der Mehrbedarf auch in voller Höhe unabweisbar war, dh nicht zumindest teilweise unter Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten der Klägerin gedeckt werden konnte, kann der Senat auf der Grundlage der Feststellungen des LSG nicht abschließend entscheiden .

Der Bedarf für Schulbücher ist zudem bei verfassungskonformer Auslegung prognostisch typischerweise ein laufender, nicht nur einmaliger Bedarf. Maßgeblich ist in dieser Perspektive nicht, ob der Bedarf erstmals geltend gemacht wird, und auch nicht, ob er retrospektiv nur einmal geltend gemacht worden ist, sondern ob der geltend gemachte Mehrbedarf prognostisch typischerweise nicht nur ein einmaliger Bedarf ist (vgl zu Anhaltspunkten hierfür bei Umgangskosten bereits BSG vom 11.2.2015 - B 4 AS 27/14 R - BSGE 118, 82 = SozR 4-4200 § 21 Nr 21, RdNr 19). Dies trifft auf den Bedarf für Schulbücher zu, die bei fehlender Lernmittelfreiheit typischerweise nicht nur überhaupt einmalig und auch nicht nur einmalig in einem Schuljahr anzuschaffen sind, sondern prognostisch laufend während des Schulbesuchs und je nach dessen Verlauf. Dies ist selbst dann der Fall, wenn der Mehrbedarf erstmals gegen Ende des Schulbesuchs einmalig geltend gemacht wird, etwa weil zuvor keine Hilfebedürftigkeit bestand; die konkrete Einzelfallgestaltung nimmt dem Bedarf nicht seine Gestalt, die er prognostisch typischerweise hat, und die für die Einordnung als laufender Bedarf maßgeblich ist (vgl zur Abgrenzung BSG vom 12.9.2018 - B 4 AS 33/17 R - SozR 4-4200 § 20 Nr 24 RdNr 38 <Passbeschaffungskosten>: Bedarf hinsichtlich der Kosten des Passes nur im Zeitpunkt seiner Beschaffung).

6. Aus der Kultushoheit der Länder folgt nichts anderes. Der Bundesgesetzgeber hat durch das SGB II von seiner Gesetzgebungskompetenz nach Art 74 Abs 1 Nr 7 GG abschließend Gebrauch gemacht und trägt dementsprechend die Verantwortung für die Sicherstellung des gesamten menschenwürdigen Existenzminimums, wozu auch notwendige Aufwendungen für Schulbücher gehören (BVerfG vom 9.2.2010 - 1 BvL 1/09 ua - BVerfGE 125, 175 = SozR 4-4200 § 20 Nr 12 RdNr 181 f, 192, 197). Mögliche Konflikte zwischen Bund und Ländern hinsichtlich der Finanzierung der Schulbildung von Schülern, die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II erhalten, dürfen nach den aufgezeigten verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht auf dem Rücken der Schüler ausgetragen werden.

Soweit das BSG in seiner früheren Rechtsprechung sich ablehnend oder zweifelnd zur Übernahme von Bedarfen für die Schulbildung im Rahmen des SGB II geäußert hat, lag den Entscheidungen zunächst die Rechtslage vor Einführung des § 21 Abs 6 SGB II zugrunde (BSG vom 19.8.2010 - B 14 AS 47/09 R - SozR 4-3500 § 73 Nr 2 RdNr 12 ff; BSG vom 10.5.2011 - B 4 AS 11/10 R - SozR 4-4200 § 44 Nr 2 RdNr 17) und sodann allgemein die Sorge vor der Rolle der Jobcenter als Ausfallbürgen für über §§ 20 und 28 SGB II hinausgehende Bildungsbedarfe (BSG vom 10.9.2013 - B 4 AS 12/13 R - SozR 4-4200 § 28 Nr 8 RdNr 27). In der Sondersituation des vom Regelbedarf nicht zutreffend erfassten Bedarfs für Schulbücher, wenn keine Lernmittelfreiheit besteht, sind indes die Kosten durch die Jobcenter auf der Grundlage des § 21 Abs 6 SGB II bei dessen verfassungskonformer Auslegung zu übernehmen. Den Jobcentern kommt (auch) insoweit die Stellung als "Ausfallbürgen" zu (vgl dazu bereits BSG vom 25.4.2018 - B 4 AS 19/17 R - SozR 4-4200 § 28 Nr 11 RdNr 22; vgl zuvor schon auf den Bund als Ausfallbürgen für das schulbezogene Existenzminimum hinweisend: Rixen, SGb 2010, 240, 244).

7. Die Klägerin hat danach im Juli 2016 neben den ihr bereits erbrachten Leistungen nach dem SGB II dem Grunde nach zusätzlich Anspruch auf die Übernahme von Kosten für Schulbücher als Härtefallmehrbedarf nach § 21 Abs 6 SGB II. Einer gesonderten vorherigen Antragstellung bedurfte es insoweit nach § 37 Abs 1 SGB II nicht.

Über die Höhe des Anspruchs ist dem Senat eine abschließende Entscheidung verwehrt, nachdem der Beklagte die Unabweisbarkeit des Anspruchs auf Übernahme der Kosten für die von der Klägerin beschafften Schulbücher der Höhe nach bestritten und insoweit eine unzureichende Amtsermittlung durch das LSG gerügt hat sowie die Feststellungen des LSG für eine Entscheidung des Senats über die Höhe des Anspruchs der Klägerin nicht ausreichen. Das LSG wird im wiedereröffneten Berufungsverfahren zu entscheiden haben, ob der geltend gemachte Bedarf zumindest teilweise unter Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten der Klägerin, etwa durch den Erwerb gebrauchter Bücher, gedeckt werden konnte.

Über die Kosten des Revisionsverfahrens wird das LSG ebenfalls zu entscheiden haben.

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