Bundessozialgericht

Bundessozialgericht Urteil vom 10.09.2020, B 3 P 2/19 R

Private Pflegeversicherung - Wohngruppenzuschlag - Erfordernis der "gemeinschaftlichen Beauftragung" einer für die Wohngruppe tätigen Person - Abgrenzung - ambulante Versorgungsform - vollstationäre Pflege

Leitsätze

Das Erfordernis der "gemeinschaftlichen Beauftragung" einer für die Wohngruppe tätigen Person im Sinne der Regelungen über den Wohngruppenzuschlag für Pflegebedürftige ist erfüllt, wenn an der formlos möglichen Beauftragung einschließlich der die Leistung begehrenden Person mindestens zwei weitere Pflegebedürftige mitwirken.

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 6. Juni 2019 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Gewährung von Wohngruppenzuschlag zugunsten seiner Ehefrau als Leistung der privaten Pflegeversicherung (PPV) für den nicht von der Beihilfe abgedeckten Teil (30 vH).

Der beihilfeberechtigte Kläger ist Ehemann und Betreuer seiner - ergänzend - über ihn in der PPV versicherten Ehefrau. Die beklagte Postbeamtenkrankenkasse (PBeaKK) führt kraft einer Vereinbarung (mit der "Gemeinschaft privater Versicherungsunternehmen zur Durchführung der privaten Pflegepflichtversicherung nach dem PflegeVG vom 26.5.1994 für die Mitglieder der PBeaKK und der Krankenversorgung der Bundesbahnbeamten" <GPV>) die PPV (Pflichtversicherung) zugunsten der Ehefrau durch; danach wickelt die Beklagte alle im Zusammenhang mit der PPV stehenden Aufgaben ab.

Die 1956 geborene Ehefrau leidet seit Mai 2014 an einer schweren Tetraparese und einem Locked-In-Syndrom nach Hirnstamminfarkt. Seit Juni 2014 erhält sie Pflegegeld nach Pflegestufe II bzw seit 1.1.2017 nach Pflegegrad 4, ferner häusliche Pflegehilfen und Betreuungsleistungen. Sie lebt seit September 2014 in einer ausschließlich von Schwerpflegebedürftigen genutzten Wohngemeinschaft. Die Räumlichkeiten - hergerichtet und zur Verfügung gestellt von der Pflege- und R. GmbH (im Folgenden: PuR GmbH) - bestehen aus sieben Einzel-Bewohnerzimmern, ferner aus mehreren Gemeinschaftsräumen mit Sanitäranlagen und Kochmöglichkeit.

Der Kläger schloss im August 2014 für seine Ehefrau mit der PuR GmbH einen Betreuungsvertrag, einen Krankenbeobachtungsvertrag und einen Pflegevertrag sowie - mit den Gesellschafterinnen der GmbH - einen Mietvertrag für die Unterkunft. In verschiedenen Mitgliederversammlungen der Wohngemeinschaft beschlossen die Bewohner (vertreten durch ihre Betreuer) in wechselnder Zusammensetzung und bei teilweise nicht vollständiger Anwesenheit aller Bewohner bzw Betreuer eine Gemeinschaftsordnung. Zudem beauftragten die Bewohner externe Personen mit Einzelaufgaben bzw individuellen Versorgungsaufträgen (zB Führen der Bar-Kasse) und wählten in diesem Zusammenhang ua eine Sozialarbeiterin (Frau H.) zur Sprecherin der Gemeinschaft. Um die individuell anfallende Wäsche und den Bedarf an Hygieneartikeln kümmern sich überwiegend die Angehörigen der Bewohner. Gemeinsame Feste werden von der PuR GmbH unter Mithilfe der Angehörigen organisiert.

Im September 2015 beantragte der Kläger bei der Beklagten für seine Ehefrau hinsichtlich des privatversicherungsrechtlich abgesicherten Teils die Gewährung von Wohngruppenzuschlag nach den einschlägigen versicherungsvertraglichen Vertragsklauseln (Allgemeine Versicherungsbedingungen, Musterbedingungen für die Private Pflegepflichtversicherung, AVB MB/PPV), die insoweit weitgehend den Regelungen für die soziale Pflegeversicherung in § 38a Abs 1 SGB XI entsprechen. Die Beklagte lehnte den Antrag ab, weil die PuR GmbH - entgegen den in § 4 Abs 7a AVB MB/PPV geregelten Anspruchsvoraussetzungen - nicht ambulante, sondern vollstationäre Pflegeleistungen anbiete (Schreiben vom 30.11.2015 und 22.3.2017).

Im Jahr 2016 verpflichtete sich jeder Bewohner der Wohngemeinschaft, einen Versorgungsvertrag mit der PuR GmbH über Leistungen für einen Wohngruppenzuschlag abzuschließen sowie entsprechende Leistungen bei der jeweiligen Pflegekasse zu beantragen. Zudem schlossen die PuR GmbH und die beauftragte Sozialarbeiterin einen Versorgungsvertrag, der die organisatorischen, verwaltenden und unterstützenden Tätigkeiten des Pflegedienstes für die Gemeinschaft regelt. Bei der Mitgliederversammlung im November 2018 wurde ua beschlossen, dass die PuR GmbH weiterhin verbindlich für alle Mitglieder der Wohngemeinschaft, die zu diesem Zeitpunkt aus sieben Personen bestand, bis auf Widerruf mit dem Versorgungsvertrag beauftragt werde. Das Protokoll wurde von keinem der vier anwesenden Betreuer unterzeichnet.

Das SG hat die Klage auf den Wohngruppenzuschlag abgewiesen, ua weil nicht erkennbar sei, dass die Gemeinschaft als solche eine konkrete (natürliche) Person mit Hilfeleistungen beauftragt habe (Urteil vom 15.8.2018). Das LSG hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen: Zwar liege eine ambulante Wohngruppe iS der versicherungsvertraglichen Bestimmungen vor, allerdings habe diese nicht gemeinschaftlich eine Person beauftragt, die - wie erforderlich - unabhängig von der individuellen pflegerischen Versorgung allgemeine organisatorische, verwaltende, betreuende oder das Gemeinschaftsleben fördernde Tätigkeiten verrichten oder hauswirtschaftliche Unterstützung leisten solle. Obwohl auch die Beauftragung der PuR GmbH unter bestimmten Voraussetzungen für die begehrte Leistung ausreichen könne, fehle es hier an der "gemeinschaftlichen Beauftragung" durch die Mitglieder der Wohngruppe; denn aus den unterschiedlichen Verträgen und Protokollen der Mitgliederversammlungen sei kein entsprechender einheitlicher Willensbildungsprozess ersichtlich (Urteil vom 6.6.2019).

Mit seiner Revision rügt der Kläger einen Verstoß gegen § 38a Abs 1 Nr 3 SGB XI bzw § 4 Abs 7a Satz 1 Nr 3 AVB MB/PPV. Entgegen der Auffassung des LSG liege die "gemeinschaftliche Beauftragung" einer sog Präsenzkraft durch die Wohngruppe vor. Das Berufungsgericht lege die leistungsrechtlichen Tatbestandsmerkmale zu eng aus und schränke so die Wahl- und Handlungsfreiheit der Wohngruppe bzw ihrer Bewohner rechtswidrig ein.

Der Kläger beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 6. Juni 2019 und des Sozialgerichts Köln vom 15. August 2018 aufzuheben sowie die Beklagte zu verurteilen, ihm Wohngruppenzuschläge für die Zeit ab 1. September 2015 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Eine gemeinschaftliche Beauftragung iS des § 4 Abs 7a Satz 1 Nr 3 AVB MB/PPV liege nicht vor. Darüber hinaus würden entgegen der Auffassung des LSG in der Wohngemeinschaft Leistungen angeboten, die dem im Rahmenvertrag nach § 75 SGB XI für vollstationäre Pflege vereinbarten Leistungsumfang weitgehend entsprächen.

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist iS der Aufhebung des Berufungsurteils und Zurückverweisung der Sache an das LSG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG) begründet.

Die zulässige, der Sache nach auf Zahlung von Wohngruppenzuschlägen gerichtete Leistungsklage (dazu unter 1.) führt ausgehend von den einschlägigen Rechtsgrundlagen der PPV (dazu 2.) und unter Zugrundelegung der vom LSG getroffenen, für den Senat bindenden Feststellungen (vgl § 163 SGG) zur Aufhebung des Urteils des LSG. Entgegen dessen Ansicht fehlt es nicht bereits an der "gemeinschaftlichen Beauftragung" einer mit bestimmten Aufgaben betrauten Person durch die Mitglieder der Wohngruppe (iS von § 4 Abs 7a AVB MB/PPV, entspricht § 38a Abs 1 Satz 1 Nr 3 SGB XI; dazu 3.). Die Sache ist aber an das LSG zurückzuverweisen (dazu 4.). Auch wenn die weiteren Voraussetzungen für die Gewährung eines Wohngruppenzuschlags zumindest für einen Teil des streitigen Leistungszeitraums erfüllt sein dürften, fehlen für eine Verurteilung der Beklagten weitere nötige Feststellungen zu den Anspruchsvoraussetzungen des Wohngruppenzuschlags zugunsten der Ehefrau des Klägers.

1. Die auch im Revisionsverfahren von Amts wegen zu beachtenden Sachurteilsvoraussetzungen für die erhobene Klage liegen vor.

a) Sie ist als reine Leistungsklage (§ 54 Abs 5 SGG) zulässig. Soweit die beklagte PBeaKK bei der Abwicklung der PPV kraft einer entsprechenden Vereinbarung an die Stelle der privaten Versicherungsunternehmen getreten ist, wird sie nicht als mit öffentlich-rechtlichen Befugnissen ausgestatteter Träger im Rahmen der Beihilfe tätig; sie erlässt daher - anders als vom LSG zugrunde gelegt und auch von Klägerseite zunächst noch im Revisionsverfahren angenommen - in Bezug auf die privatversicherungsrechtlichen Ansprüche der leistungsberechtigten Versicherungsnehmer keine Verwaltungsakte. Nach der Leistungsablehnung durch die Beklagte (Schreiben vom 30.11.2015 und vom 22.3.2017) ist Rechtsschutz gleichwohl durch Beschreiten des Rechtswegs zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit unter Anwendung des in diesem Gerichtszweig einschlägigen Klagesystems und Prozessrechts zu gewähren (vgl § 51 Abs 1 Nr 2, Abs 2 Satz 2 SGG; dazu näher zB Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 51 RdNr 25 ff; allgemein bereits BSG Urteil vom 17.5.2000 - B 3 P 8/99 R - SozR 3-3300 § 39 Nr 2 S 4; BSG Urteil vom 13.5.2004 - B 3 P 7/03 R - SozR 4-3300 § 23 Nr 2 RdNr 6 ff).

b) Der Kläger ist für die geltend gemachte Forderung aktivlegitimiert. Anspruchsinhaber für Leistungen der PPV ist gemäß § 6 Abs 1 AVB MB/PPV der Versicherungsnehmer. Grundsätzlich kann nur dieser und nicht die (mit-)versicherte Person - hier die Ehefrau - die Leistung verlangen (§ 6 Abs 5 AVB MB/PPV).

c) Die Klage richtet sich zu Recht gegen die Beklagte, obgleich diese selbst nicht materiell-rechtlich Verpflichtete für die vom Kläger geltend gemachten Ansprüche ist, sondern lediglich aufgrund von Vereinbarungen mit Versicherungsunternehmen für deren Versicherungsnehmer die PPV durchführt. Die beklagte PBeaKK ist zwar eine bundesunmittelbare rechtsfähige Körperschaft des öffentlichen Rechts. Sie wurde aber geschlossen und wird nun mit dem Ziel der Abwicklung für die Bundesanstalt für Post und Telekommunikation Deutsche Bundespost und für die Postnachfolgeunternehmen weitergeführt. Die Beklagte schuldet nicht selbst als Versicherer iS von § 192 Abs 6 Satz 3 VVG (idF des Gesetzes zur Reform des Versicherungsvertragsrechts vom 23.11.2007, BGBl I 2631, in Kraft ab 1.1.2008) iVm § 23 Abs 3 Satz 2 SGB XI (idF des Gesetzes zur Neuausrichtung der Pflegeversicherung <PNG> vom 23.10.2012, BGBl I 2246, in Kraft ab 1.11.2012) die für den Fall der Pflegebedürftigkeit vereinbarten Leistungen. Soweit die GPV der Beklagten insoweit im Rahmen der übertragenen Durchführung der PPV auch das Recht zur Prozessführung eingeräumt hat, handelt es sich um einen Fall der gewillkürten Prozessstandschaft. Diese ist zulässig, weil neben der Ermächtigung des Rechtsträgers ein eigenes schutzwürdiges Interesse des Prozessstandschafters, das fremde Recht im eigenen Namen geltend zu machen, vorliegt und entgegenstehende schutzwürdige Belange des Prozessgegners fehlen (vgl bereits BSG Urteil vom 30.3.2000 - B 3 P 21/99 R - BSGE 86, 94, 96 f = SozR 3-3300 § 77 Nr 3 S 20 f mwN).

2. Ausgangspunkt für die ab September 2015 begehrten Leistungen ist § 192 Abs 6 Satz 3 VVG iVm § 23 Abs 3 Satz 2 SGB XI und iVm dem zwischen dem Kläger und der GPV geschlossenen Vertrag über eine PPV sowie den diesem zugrunde liegenden allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB MB/PPV), ferner iVm dem Tarif PVB (Versicherte Personen mit Anspruch auf Beihilfe oder Heilfürsorge bei Pflegebedürftigkeit) für die PPV. Speziell für den begehrten Wohngruppenzuschlag kommt es entscheidend auf die zum Inhalt des Versicherungsvertrags gewordene Regelung des § 4 Abs 7a AVB MB/PPV an, die § 38a SGB XI inhaltlich entspricht. Für den Zeitraum vom 1.9.2015 bis 8.9.2016 ist § 4 Abs 7a AVB MB/PPV idF vom 1.4.2015 maßgebend, für den Zeitraum danach idF der AVB MB/PPV 2017 und ab 1.5.2019 idF der Änderungen der AVB/MB PPV 2019. Im vorliegenden Rechtsstreit liegt der einzige wesentliche Unterschied in den jeweiligen Fassungen in der Erhöhung des monatlichen Wohngruppenzuschlags von monatlich 205 Euro auf 214 Euro mit Wirkung ab 9.9.2016 gemäß Nr 13 der Tarifbedingungen für den Tarif PVB. Die - nachfolgend dargestellte - Fassung der AVB MB/PPV 2019 hat im Hinblick auf die hier streitigen Voraussetzungen zu keiner entscheidungserheblichen Rechtsänderung geführt.

Nach § 4 Abs 7a Satz 1 AVB MB/PPV 2019 haben versicherte pflegebedürftige Personen einen Anspruch auf einen pauschalen Zuschlag gemäß Nr 13 des Tarifs PV, wenn

- sie mit mindestens zwei und höchstens elf weiteren Personen in einer ambulant betreuten Wohngruppe in einer gemeinsamen Wohnung zum Zweck der gemeinschaftlich organisierten pflegerischen Versorgung leben und davon mindestens zwei weitere pflegebedürftig sind (Nr 1),

- sie Leistungen nach den Absätzen 1, 2, 5, 16 oder 17 beziehen; pflegebedürftige Personen in Pflegegrad 1 müssen diese Voraussetzung nicht erfüllen (Nr 2),

- in der ambulant betreuten Wohngruppe eine Person durch die Mitglieder der Wohngruppe gemeinschaftlich beauftragt ist, unabhängig von der individuellen pflegerischen Versorgung allgemeine organisatorische, verwaltende, betreuende oder das Gemeinschaftsleben fördernde Tätigkeiten zu verrichten oder die Wohngruppenmitglieder bei der Haushaltsführung zu unterstützen (Nr 3), und

- keine Versorgungsform einschließlich teilstationärer Pflege vorliegt, in der ein Anbieter der Wohngruppe oder ein Dritter den Pflegebedürftigen Leistungen anbietet oder gewährleistet, die dem im jeweiligen Rahmenvertrag nach § 75 Abs 1 SGB XI für vollstationäre Pflege vereinbarten Leistungsumfang weitgehend entsprechen (Nr 4).

3. Anders als vom LSG angenommen scheitert der Anspruch des Klägers für seine Ehefrau nach § 4 Abs 7a AVB MB/PPV (in der jeweils maßgebenden Fassung) jedenfalls nicht am Fehlen der "gemeinschaftlichen Beauftragung" einer oder mehrerer (ggf juristischer) Personen für die geforderte Aufgabenerfüllung iS von Nr 3 der Regelung. Wie das Merkmal der "gemeinschaftlichen Beauftragung" in § 4 Abs 7a Satz 1 Nr 3 AVB MB/PPV (entspricht § 38a Abs 1 Satz 1 Nr 3 SGB XI) auszulegen ist und ob dessen Voraussetzungen vorliegen, ist nach den allgemein geltenden Auslegungsmethoden zu ermitteln.

a) Zunächst ist bei der Auslegung des § 4 Abs 7a AVB MB/PPV zu beachten, dass diese im Gleichklang mit der entsprechenden Regelung des § 38a SGB XI zu erfolgen hat, weil der in der PPV gewährte Leistungsumfang nach § 23 Abs 1 Satz 2 SGB XI demjenigen des Vierten Kapitels des SGB XI entsprechen muss. Folglich muss insbesondere der Sinn und Zweck des § 38a SGB XI in den Blick genommen werden, dessen Wertungen auf § 4 Abs 7a AVB MB/PPV zu übertragen sind. Danach ist es Ziel des Wohngruppenzuschlags, die Wünsche der Pflegebedürftigen berücksichtigend die Rahmenbedingungen für neue Wohn- und Betreuungsformen im ambulanten Bereich - auch in finanzieller Hinsicht - deutlich zu verbessern (Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Neuausrichtung der Pflegeversicherung <PNG>, BT-Drucks 17/9369, zu Art 1 Nr 13 § 38a SGB XI, S 20 zu Nr 6; vgl zu dieser Zielsetzung auch die Anschubfinanzierung nach § 45e SGB XI). Mit seinem experimentellen Charakter soll der Wohngruppenzuschlag gemessen an dem Grundsatz der Selbstbestimmung in § 2 SGB XI individuelle Versorgungsformen unter Förderung der ambulanten Form ermöglichen und Wohnmöglichkeiten außerhalb der (typischerweise kostenintensiveren) stationären pflegerischen Versorgung begünstigen (vgl dazu Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit zum 5. SGB XI-ÄndG, 2015 umbenannt in Erstes Pflegestärkungsgesetz <PSG I>, vgl BT-Drucks 18/2909 S 41 zu Nr 8). Der Senat hat bereits mit Urteil vom 18.2.2016 - B 3 P 5/14 R (BSGE 120, 271 = SozR 4-3300 § 38a Nr 1, RdNr 21 ff) entschieden, dass die gemeinschaftliche Beauftragung der Personen eine zentrale Voraussetzung für die Gewährung von Wohngruppenzuschlag ist. Der Wohngruppenzuschlag soll nämlich keine pauschale Aufstockung der den Mitgliedern gewährten Leistungen bewirken, sondern in Bezug auf die Aufwendungen für eine gemeinsame Organisation und pflegerische Versorgung innerhalb der einzelnen Wohngruppe finanziell unterstützen (vgl bereits Senat ebenda RdNr 23). Ambulant betreute Wohngruppen können dabei sowohl in der Grundform der selbstorganisierten Wohngruppe existieren, aber auch als fremd organisierte Wohngruppe, hinter der ein Initiator oder ein Vermieter steht (vgl bereits Senat ebenda RdNr 18).

b) Vor diesem Hintergrund scheitert der Anspruch nicht daran, dass nach den Feststellungen des LSG bei den Mitgliederversammlungen der Wohngruppe, in denen Personen mit unter § 4 Abs 7a Satz 1 Nr 3 AVB MB/PPV fallenden Tätigkeiten beauftragt worden sein könnten, nicht alle Wohngruppenmitglieder selbst anwesend oder rechtswirksam über ihre Betreuer vertreten waren und die gemeinschaftliche Beauftragung nicht durch einen "formalen Mehrheitsbeschluss" zustande kam. Die gemeinschaftliche Beauftragung ist nicht erkennbar an besondere Formvorschriften geknüpft. Für den Anspruch auf Wohngruppenzuschlag reicht es vielmehr aus, wenn - entsprechend dem Mindesterfordernis von § 4 Abs 7a Satz 1 Nr 1 AVB MB/PPV und § 38a Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB XI - einschließlich der die Leistung begehrenden pflegebedürftigen Person mindestens zwei weitere pflegebedürftige Mitglieder der Wohngemeinschaft an der gemeinschaftlichen Beauftragung auch in der Form der (nachträglichen) Genehmigung rechtswirksam mitwirken und - zB im Falle eines Wechsels von Mitgliedern - diese Beauftragung formlos oder durch ihr schlüssiges Verhalten aufrechterhalten.

Das mit dem PSG I eingeführte Erfordernis einer "gemeinschaftlichen Beauftragung" zur Erfüllung zumindest einer der alternativ im Gesetz genannten Aufgaben stellt die nach außen sichtbare freie Wählbarkeit der Pflege- und Betreuungsleistungen dar und sollte rein anbieterorientierte Wohngruppen und die bloße missbräuchliche Umdeklarierung stationärer Versorgungsformen verhindern (vgl Stellungnahme des Bundesrats zum 5. SGB XI-ÄndG, BT-Drucks 18/2379, zu Art 1 Nr 8 § 38a SGB XI, S 6 zu Nr 2 und Gesetzentwurf der Bundesregierung zum PSG II, BT-Drucks 18/5926, zu Art 2 § 38a SGB XI, S 125 zu Nr 20). Besondere Anforderungen an die Form oder das Zustandekommen dieses gemeinschaftlichen Willensbildungsprozesses werden weder in den Gesetzesmaterialien angesprochen noch kommen sie im späteren Gesetzestext zum Ausdruck. Das ist auch konsequent, denn die gewollte zu fördernde individuelle Vielfalt der möglichen Wohngruppen bedingt den Verzicht auf zwingende Vorgaben für das Zustandekommen der Beauftragung. Aufgrund der typischerweise wechselnden Zusammensetzung der Gemeinschaften mit Bewohnern, deren Gesundheitszustand sich kurzfristig verändern und schnelles Reagieren iS einer bedarfsgerechten Änderung der Aufenthaltssituation nötig machen kann, entspricht es praktischen Bedürfnissen, dass eine gemeinschaftliche Beauftragung sowohl in separat abgeschlossenen Vereinbarungen erfolgen kann als auch durch nachträgliche Billigung durch schlüssiges Verhalten. Es ist nach den Gesetzesmaterialien erkennbar nicht gewollt, für jede Änderung der personellen Zusammensetzung der Wohngruppe einen vollständig neuen formell zu dokumentierenden Willensbildungsprozess der Betroffenen zu fordern.

c) Zudem setzt § 4 Abs 7a Satz 1 Nr 3 AVB MB/PPV - ebenso wie § 38a Abs 1 Satz 1 Nr 3 SGB XI - nicht voraus, dass sämtliche Mitglieder der Wohngemeinschaft an der gemeinschaftlichen Beauftragung mitwirken. Nach der Gesetzessystematik ist die "ambulant betreute Wohngruppe" nicht identisch mit der (gesamten) Wohngemeinschaft in der gemeinsamen Wohnung. Die Begrenzung der Mitgliederzahl von mindestens zwei bis höchstens elf weiteren Personen bezieht sich sowohl auf die ambulant betreute Wohngruppe als auch auf die Wohngemeinschaft. Wohngruppe und Wohngemeinschaft können zwar denselben Personenkreis umfassen, müssen dies aber nicht; denn eine Wohngemeinschaft kann auch aus mehreren ambulant betreuten Wohngruppen bestehen. Die ambulant betreute Wohngruppe, an die das Gesetz entscheidend anknüpft, umfasst hingegen nur die leistungsberechtigte Person sowie mindestens zwei und höchstens elf weitere pflegebedürftige Personen. Nur deren Mitglieder müssen auch jeweils an der gemeinschaftlichen Beauftragung mitwirken. Für den Anspruch auf Wohngruppenzuschlag reicht es daher gleichermaßen aus, wenn neben der die Leistung begehrenden pflegebedürftigen Person mindestens zwei weitere pflegebedürftige Mitglieder der Wohngemeinschaft als Wohngruppe an der gemeinschaftlichen Beauftragung mitwirken bzw diese Beauftragung - zB im Falle eines Wechsels von Mitgliedern - aufrechterhalten. Wertungsmäßig kann in Bezug auf die Anforderungen an die Konstituierung als Wohngruppe und die Zuschlagsberechtigung allgemein nichts anderes gelten als für die Beauftragung.

Diese Auslegung ist einerseits deshalb geboten, weil andere Wohngemeinschaftsmitglieder, insbesondere wenn sie selbst nicht pflegebedürftig sind, nicht notwendigerweise ein eigenes Interesse an der Mitwirkung bei einer Beauftragung haben. Andererseits würde das Erfordernis der Mitwirkung "aller" Mitglieder dazu führen, dass eine gemeinschaftliche Beauftragung mit zunehmender Größe der Wohngemeinschaft und hiermit oftmals einhergehender höherer Fluktuation zunehmend erschwert und bisweilen sogar ausgeschlossen wäre. Diese Betrachtungsweise hat zur Folge, dass es durchaus zu mehreren Beauftragungen seitens verschiedener Wohngruppen parallel nebeneinander innerhalb der größeren Einheit "Wohngemeinschaft" kommen kann. Dies ist, ebenso wie die verschiedenen Tätigkeiten, die der Gesetzgeber iS der geförderten Individualität zulässt, wiederum nur der Erfüllung des gesetzlichen Ziels geschuldet. Dass nach den Gesetzesmaterialien mit der Einführung des Kriteriums der "gemeinschaftlichen Beauftragung" die Erwartung verbunden wird, bei Neueinzügen werde regelmäßig eine nachvollziehbare Information zur bisherigen Verwendung der Mittel erfolgen und dass die Möglichkeit einer veränderten Beauftragung geschaffen werden solle (vgl Stellungnahme des Bundesrats, BT-Drucks 18/2379 aaO S 7), steht dem nicht entgegen. Bei einem Neueinzug wird die einziehende Person sich typischerweise entweder einer bereits bestehenden Beauftragung anschließen, um Wohngruppenzuschlag zu erhalten, oder sie wird auf eine neue Beauftragung hinwirken müssen. Bereits in der Wohngemeinschaft bestehende Auftragsverhältnisse stehen hingegen nur dann zur Disposition, wenn durch den Bewohnerwechsel die Anzahl der mitwirkenden Wohngruppenmitglieder auf unter drei fällt.

d) Das unter a) dargestellte Ziel des § 38a Abs 1 Satz 1 Nr 3 SGB XI ermöglicht im Übrigen die (gemeinschaftliche) Beauftragung natürlicher, auch mehrerer, wie auch juristischer Personen in Kombination oder in einem gestuften Verhältnis. Weder der Wortlaut des Gesetzes noch seine Historie (vgl Gesetzentwurf der Bundesregierung zum PNG aaO BT-Drucks 17/9369, zu Art 1 Nr 13 § 38a SGB XI, S 40) sprechen gegen eine solche Auslegung, vielmehr erfordern Sinn und Zweck des Gesetzes weitgehende Beauftragungsmöglichkeiten (in diesem Sinne bereits der erkennende Senat mit der Bemerkung, dass in der Wohngruppe "mindestens eine Pflegekraft" tätig sein muss, BSG Urteil vom 18.2.2016 - B 3 P 5/14 R - aaO RdNr 23). Letztlich wurde mit dem zum 1.1.2015 eingeführten PSG I (vgl Ausschussempfehlung und -bericht, BT-Drucks 18/2909, aaO, S 42 zu Nr 3) die Beschränkung auf eine natürliche Person (vgl noch die Begründung des Regierungsentwurfs zur Ursprungsfassung des § 38a SGB XI, BT-Drucks 17/9369 aaO S 40 zu Nr 13) aufgegeben zugunsten des Erfordernisses einer "gemeinschaftlichen Beauftragung" zur Erfüllung zumindest einer der alternativ im Gesetz genannten Aufgaben (vgl hierzu näher das Senatsurteil - ebenfalls aus der Sitzung vom 10.9.2020 - B 3 P 3/19 R - zur Veröffentlichung vorgesehen). Wohngruppenzuschlag ist danach nur für den Fall ausgeschlossen, dass die freie Wählbarkeit der Pflege- und Betreuungsleistungen im Rahmen der gemeinschaftlichen Beauftragung rechtlich oder tatsächlich eingeschränkt wäre. Der Anspruch scheitert folglich nicht daran, dass es sich bei einer der in Betracht kommenden Beauftragten iS des § 4 Abs 7a Satz 1 Nr 3 AVB MB/PPV um die PuR GmbH, also um eine juristische Person, handelt.

e) Die Voraussetzungen einer "gemeinschaftlichen Beauftragung" waren ausgehend von den Feststellungen des LSG zumindest bei Frau H. als Sprecherin der Gemeinschaft erfüllt. Danach hatte Frau H. auch verwaltende organisatorische Tätigkeiten iS des § 4 Abs 7a Satz 1 Nr 3 AVB MB/PPV übernommen, so dass ein Anspruch des Klägers für seine Ehefrau auf Gewährung von Wohngruppenzuschlag dem Grunde nach entstand. Unschädlich ist in diesem Zusammenhang, dass möglicherweise noch weitere Personen mit Tätigkeiten iS des § 4 Abs 7a Satz 1 Nr 3 AVB MB/PPV beauftragt wurden (vgl hierzu auch das Urteil vom 10.9.2020 - B 3 P 3/19 R). Es kommt auch nicht darauf an, welchen zeitlichen Umfang die Tätigkeiten von Frau H. einnehmen und ob diese (teilweise) außerhalb der Räumlichkeiten der Wohngemeinschaft ausgeübt werden. Ob dies bei der wechselseitigen Verpflichtung der Wohngemeinschaftsmitglieder zum Abschluss eines Versorgungsvertrags mit der PuR GmbH gilt, kann anhand der Feststellungen des LSG allerdings nicht beurteilt werden, da unklar ist, ob sowohl die Ehefrau als auch durchgehend mindestens zwei weitere pflegebedürftige Wohngemeinschaftsmitglieder bei der Beauftragung mitwirkten.

f) Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass (mit der Auffassung des LSG) die der Ehefrau des Klägers zuteil gewordene Versorgungsform nicht zu einem Anspruchsausschluss führt, weil es sich (anders als von der Beklagten angenommen) nicht um eine mit einem stationären Leistungsumfang vergleichbare Versorgungsform iS von § 4 Abs 7a Satz 1 Nr 4 AVB MB/PPV handelt.

Ausgehend von den Feststellungen des LSG liegt bei der Wohngruppe der Ehefrau des Klägers keine Versorgungsform vor, in der ein Anbieter der Wohngruppe oder ein Dritter den Pflegebedürftigen Leistungen anbietet oder gewährleistet, die dem im jeweiligen Rahmenvertrag nach § 75 Abs 1 SGB XI für vollstationäre Pflege vereinbarten Leistungsumfang weitgehend entsprechen. Als zentrales Abgrenzungsmerkmal zur ambulanten Versorgung kommt es dabei nicht (mehr) auf heimrechtliche, sondern auf leistungsrechtliche Kriterien an. Das LSG ist entsprechend den Materialien zum 5. SGB XI-ÄndG insoweit zutreffend davon ausgegangen, dass es für die Abgrenzung von einem der vollstationären Pflege weitgehend entsprechenden Leistungsumfang darauf ankommt, ob nach der Konstruktion der Wohngemeinschaft die Möglichkeit besteht, dass die Bewohner oder ihr soziales Umfeld sich mit eigenen Beiträgen in die Versorgung einbringen können (vgl die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Gesundheit zum später in PSG I umbenannten Gesetz, BT-Drucks 18/2909 S 42 zu Nr 8). Eine ambulante Versorgungsform liegt folglich vor, wenn keine vollständige Übertragung der Verantwortung ohne freie Wählbarkeit der Pflege- und Betreuungsleistungen erfolgt, sondern wenn die Versorgung auf die Übernahme von Aufgaben durch Dritte angelegt ist, unabhängig davon, ob auch tatsächlich davon in bestimmter Weise Gebrauch gemacht wird. Die vom LSG festgestellten zahlreichen Aufgaben, die durch Bewohner und deren Angehörige in der Wohngruppe wahrgenommen werden, widerlegen eine einer vollstationären Pflege weitgehend entsprechende Situation.

4. Nach alledem kann der Senat gleichwohl nicht abschließend über den Anspruch des Klägers für seine Ehefrau entscheiden, weil es an Feststellungen dazu fehlt, für welchen Zeitraum die Voraussetzungen des § 4 Abs 7a Satz 1 Nr 3 AVB MB/PPV erfüllt waren und ob dies auch noch bis zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung beim LSG der Fall war. Ein zwischenzeitlicher Wegfall der Anspruchsvoraussetzungen kommt insbesondere dann in Betracht, wenn das gemeinschaftliche Auftragsverhältnis durch die Wohngruppe beendet oder wenn die Anzahl der pflegebedürftigen Personen, die gemeinschaftliche Auftraggeber von Frau H. geworden sind, zu einem bestimmten Zeitpunkt unter drei gefallen sein sollte. In einem solchen Fall wäre allerdings vom LSG zu prüfen, ob ein anderes gemeinschaftliches Auftragsverhältnis unter Mitwirkung der Ehefrau des Klägers und unter Wahrung der weiteren Voraussetzungen des § 4 Abs 7a Satz 1 Nr 3 AVB MB/PPV über diesen Zeitpunkt hinaus fortbestand. Denn ausgehend von den weiteren für den Senat bindenden Feststellungen durch das LSG (vgl § 163 SGG) erfüllt die Ehefrau des Klägers die übrigen Voraussetzungen des § 4 Abs 7a Satz 1 Nr 1 AVB MB/PPV. Sie ist pflegebedürftig und bezieht seit 1.6.2014 auch Leistungen nach § 4 Abs 7a Satz 1 Nr 2 AVB MB/PPV in der jeweils maßgebenden Fassung, wohnte seit ihrem Einzug in ihre Wohngemeinschaft - jedenfalls zunächst - mit mindestens vier weiteren pflegebedürftigen Mitbewohnern in einer gemeinsamen Wohnung und bildete mit mindestens zwei dieser Personen jedenfalls zeitweise eine ambulant betreute Wohngruppe zum Zweck der gemeinschaftlich organisierten pflegerischen Versorgung.

5. Die Kostenentscheidung bleibt der Entscheidung des LSG im wiedereröffneten Berufungsverfahren vorbehalten.

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