Bundessozialgericht

Bundessozialgericht Urteil vom 17.09.2020, B 4 AS 13/20 R

Sozialgerichtliches Verfahren - Prozesshandlungen der Beteiligten - Auslegung - ausdrückliche Äußerung zur Nichtabgabe einer bestimmten Prozesserklärung (hier: Anerkenntnis) - keine Deutung weiterer Ausführungen des Beteiligten als entsprechende Erklärung - Rechtsschutz gegen (durch vorherige Erledigung) wirkungslose Entscheidungen

Leitsätze

Die ausdrückliche Äußerung eines Beteiligten, eine bestimmte Prozesserklärung (hier: Anerkenntnis) nicht abgeben zu wollen, schließt es aus, dessen weitere Ausführungen (hier: Mitteilung, den mit einer Untätigkeitsklage begehrten Bescheid erlassen zu haben) als eine solche Prozesserklärung zu deuten.

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 30. September 2019 aufgehoben. Die Berufungen der Kläger gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 14. Februar 2019 werden zurückgewiesen.

Die Kostenentscheidung im Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 14. Februar 2019 wird aufgehoben. Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten in allen Rechtszügen nicht zu erstatten.

Tatbestand

Dem Revisionsverfahren liegt eine Untätigkeitsklage zugrunde. Die Beteiligten streiten insbesondere darüber, ob der Rechtsstreit durch angenommenes Anerkenntnis erledigt ist.

Die Kläger erhoben - anwaltlich vertreten - Widersprüche gegen einen Verwaltungsakt des Beklagten. Der Beklagte half den Widersprüchen ab und verpflichtete sich dazu, die den Klägern im Widerspruchsverfahren entstandenen Kosten auf Antrag zu erstatten, soweit sie notwendig und nachgewiesen seien (Bescheid vom 30.11.2016). Der Bevollmächtigte der Kläger beantragte daraufhin am 6.12.2016 die Festsetzung und Erstattung der Kosten der Kläger in Höhe von 487,90 Euro.

Nachdem über diesen Antrag zunächst nicht entschieden worden war, haben die Kläger am 21.6.2017 Untätigkeitsklage erhoben mit dem Ziel der Verpflichtung des Beklagten, den Kostenfestsetzungsantrag vom 6.12.2016 zu bescheiden. Der Beklagte hat daraufhin dem SG mitgeteilt, dass er die von den Klägern geltend gemachten Kosten am 17.7.2017 zur Auszahlung angewiesen habe (Klageerwiderung vom 1.8.2017). Damit sei das Rechtsschutzbedürfnis für die Klage entfallen. Er sei bereit, die Hälfte der außergerichtlichen Kosten der Kläger zu erstatten. Die Kläger hätten es unterlassen, vor Erhebung der Untätigkeitsklage die begehrte Bescheidung anzumahnen. Damit hätten sie gegen ihre Schadensminderungspflicht verstoßen. Der Beklagte wies ausdrücklich darauf hin, dass er mit der Abgabe des Kostengrundanerkenntnisses kein Anerkenntnis in der Sache abgebe. Ein solches Anerkenntnis könne auch nicht entgegen seiner ausdrücklichen Erklärung im Wege der Auslegung konkludent angenommen werden.

Die Kläger haben durch ihren Bevollmächtigten mit Schreiben vom 21.2.2018 die Annahme des "Anerkenntnisses" des Beklagten erklärt, zugleich aber ausgeführt, dass sie das Verfahren nicht für erledigt erklären. Sofern ein Anerkenntnis des Beklagten nicht vorliegen sollte, solle der Rechtsstreit fortgesetzt werden.

Der Beklagte hat im weiteren Verlauf die zu erstattenden Kosten des ursprünglichen Vorverfahrens in beantragter Höhe festgesetzt (Kostenfestsetzungsbescheid vom 15.6.2018). Die Kläger haben mit Schreiben vom 13.8.2018 nochmals erklärt, das "Anerkenntnis" anzunehmen, und betont, dass nur die Annahme eines Anerkenntnisses gewollt sei und die Erklärung nicht umgedeutet werden solle.

Das SG hat die Klagen abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 26.9.2018). Die Untätigkeitsklagen seien nicht durch ein angenommenes Anerkenntnis erledigt worden, weil der Beklagte kein Anerkenntnis abgegeben habe. Das Verfahren sei auch nicht durch eine Erledigungserklärung der Kläger beendet worden. Vielmehr seien die Untätigkeitsklagen dadurch, dass der Beklagte dem Antrag der Kläger vom 6.12.2016 entsprochen habe, unzulässig geworden; es fehle nun das Rechtsschutzbedürfnis.

Die Kläger haben daraufhin beim SG mündliche Verhandlung beantragt. In der mündlichen Verhandlung haben sie (bei sachgerechter Auslegung) beantragt festzustellen, dass der Rechtsstreit durch ihre Erklärung vom 21.2.2018 beendet worden sei. Das SG hat die Klagen abgewiesen (Urteil vom 14.2.2019). Die auf Feststellung der Beendigung des gerichtlichen Verfahrens durch ein bestimmtes Ereignis - die Annahmeerklärung vom 21.2.2018 - gerichtete Klage sei unzulässig, weil die Kläger nicht verlangen könnten, dass das Gericht darüber entscheide, wodurch eine Erledigung des Rechtsstreites eingetreten sei. Die Feststellungsklage sei aber auch unbegründet. Denn das Verfahren sei nicht durch ein angenommenes Anerkenntnis beendet worden. Ein Anerkenntnis, welches durch die Kläger hätte angenommen werden können, habe der Beklagte weder ausdrücklich noch durch schlüssiges Verhalten abgegeben.

Das LSG hat auf die vom ihm zugelassenen Berufungen der Kläger das Urteil des SG aufgehoben und festgestellt, dass der Rechtsstreit S 35 AS 2133/17 durch die Erklärung der Kläger vom 21.2.2018 erledigt sei (Urteil vom 30.9.2019). Das erforderliche Feststellungsinteresse für die zulässig in eine Feststellungsklage geänderte Klage liege darin, dass gegen die Kläger eine klageabweisende Entscheidung ergangen sei, obwohl sie zuvor mit ihrer Erklärung vom 21.2.2018 aus ihrer Sicht das Erforderliche getan hätten, um den Rechtsstreit in der Hauptsache zu beenden und den Erlass einer solchen Entscheidung zu verhindern. Allein hieraus sowie aus dem ausdrücklichen Bestreiten des Beklagten, dass das zwischen ihm und den Klägern bestehende Rechtsverhältnis in Form der Klage durch deren Erklärung beendet worden sei, ergebe sich das rechtliche Interesse an der begehrten Feststellung. Die Feststellungsklage sei auch begründet. Der Beklagte habe ein Anerkenntnis abgegeben, welches die Kläger angenommen hätten. Hierdurch habe sich der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt. Der klageabweisende Gerichtsbescheid sowie das klageabweisende Urteil hätten nicht mehr ergehen dürfen.

Hiergegen richtet sich die vom LSG zugelassene Revision des Beklagten. Er ist der Ansicht, dass die Klage unzulässig und unbegründet sei. Er rügt zum einen eine Verletzung des § 55 Abs 1 Nr 1, Abs 2 SGG. Die Kläger hätten nicht das notwendige Interesse für die Feststellung, durch welches konkrete Ereignis die Erledigung des Rechtsstreites eingetreten sei. Auch hätten diese den Rechtsstreit nicht für erledigt erklärt. Zum anderen rügt der Beklagte eine Verletzung von § 88, § 101 Abs 2 SGG. Seine Erklärung im Schriftsatz vom 1.8.2017 stelle kein Anerkenntnis dar. Er habe vielmehr ausdrücklich erklärt, kein Anerkenntnis abgeben zu wollen.

Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 30. September 2019 aufzuheben und die Berufungen der Kläger zurückzuweisen.

Die Kläger beantragen,
die Revision des Beklagten zurückzuweisen.

Die Kläger sind der Ansicht, dass das erstinstanzliche Urteil nicht hätte ergehen dürfen, weil sie alles notwendige getan hätten, um den Rechtsstreit zu beenden. Sie hätten ein Rechtsschutzbedürfnis bezüglich der Feststellung, dass der Rechtsstreit erledigt sei. Der Beklagte habe ein konkludentes Anerkenntnis abgegeben.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision des Beklagten, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden konnte (§ 124 Abs 2 SGG), ist begründet (§ 170 Abs 2 Satz 1 SGG). Das LSG hat das Urteil des SG zu Unrecht aufgehoben und festgestellt, dass der Rechtsstreit S 35 AS 2133/17 durch die Erklärung der Kläger vom 21.2.2018 erledigt sei. Das SG hatte die Klagen im Ergebnis zu Recht durch Urteil abgewiesen.

1. Die Revision ist zulässig. Die notwendige formelle Beschwer (zum Zeitpunkt der Einlegung des Rechtsmittels) des Revisionsklägers liegt dann vor, wenn und soweit das Berufungsgericht der Berufung stattgegeben und das für ihn positive erstinstanzliche Urteil aufgehoben hat (May, Die Revision in den zivil- und verwaltungsgerichtlichen Verfahren, 2. Aufl 1997, Kapitel IV, RdNr 38). So liegt es hier, weil das LSG nicht dem Berufungsantrag des Beklagten auf Berufungszurückweisung gefolgt ist, sondern die klageabweisende Entscheidung des SG aufgehoben hat.

Davon zu unterscheiden (vgl auch Flint in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2017, § 169 RdNr 21) ist das Rechtsschutzbedürfnis (zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung), das trotz formeller Beschwer zu verneinen ist, wenn durch die angefochtene Entscheidung keine Rechte, rechtlichen Interessen oder sonstigen schutzwürdigen Belange des Revisionsklägers mehr betroffen sind und die weitere Rechtsverfolgung deshalb offensichtlich keinerlei rechtliche oder tatsächliche Vorteile bringen kann (BSG vom 8.5.2007 - B 2 U 3/06 R - SozR 4-2700 § 136 Nr 3 RdNr 13; Heinz in Roos/Wahrendorf, BeckOGK SGG, § 169 RdNr 19, Stand 1.9.2019). Auch ein Rechtsschutzbedürfnis des Beklagten liegt hier aber vor. Zwar wirkt sich der Tenor der Entscheidung des LSG in der Hauptsache nicht unmittelbar zu Lasten des Beklagten aus, denn das LSG hat im Tenor lediglich festgestellt, dass der Rechtsstreit S 35 AS 2133/17 durch die Erklärung der Kläger vom 21.2.2018 erledigt sei. Damit ist für den Beklagten keine unmittelbar nachteilige Rechtsfolge verbunden. Das LSG hat im Tenor keine Entscheidung darüber getroffen, ob die Erledigung durch Anerkenntnisannahme oder einseitige Erledigungserklärung eingetreten ist. Der Begründung des Urteils des LSG, in der die Auffassung des Berufungsgerichts zum Ausdruck kommt, dass die Erledigung durch Anerkenntnisannahme eingetreten sei, kommt keine Verbindlichkeit zu und führt ebenfalls keine unmittelbar nachteilige Rechtsfolge für den Beklagten herbei (vgl zur mangelnden Beschwer durch eine Urteilsbegründung BVerfG vom 15.7.2015 - 2 BvR 2292/13 - BVerfGE 140, 42, 54 RdNr 48; BVerfG <Kammer> vom 20.11.2018 - 1 BvR 1502/16 - juris RdNr 8). Unabhängig davon, ob die Revision zulässigerweise allein auf die den Beklagten belastende Kostenentscheidung im Urteil des LSG oder Folgewirkungen der Kostenentscheidung des SG gestützt werden könnte (vgl ablehnend BSG vom 8.1.1985 - 7 BAr 109/84 - SozR 1500 § 160 Nr 54 - juris RdNr 4; Hauck in Hennig, SGG, § 160 RdNr 49, Stand September 2018; Voelzke in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2017, § 160 RdNr 51), folgt ein Rechtsschutzbedürfnis des Beklagten aber jedenfalls daraus, dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass aus der Feststellung des LSG, dass der Rechtsstreit durch die Erklärung der Kläger vom 21.2.2018 erledigt worden sei, vollstreckungsrechtliche Folgen erwachsen könnten, nämlich der Versuch der Kläger, aus dem - vom LSG so ausgelegten - "Anerkenntnis" des Beklagten zu vollstrecken (vgl § 199 Abs 1 Nr 3 Variante 1 SGG).

2. Die Revision ist auch begründet. Das LSG hat das Urteil des SG zu Unrecht aufgehoben und festgestellt, dass der Rechtsstreit S 35 AS 2133/17 durch die Erklärung der Kläger vom 21.2.2018 erledigt sei. Die Berufungen waren zwar zulässig, aber unbegründet.

a) Die Berufungen der Kläger waren trotz § 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG zulässig, nachdem das LSG die Berufungen zugelassen hatte. Die Kläger verfügten für ihre Berufungen auch über ein Rechtsschutzbedürfnis. Dies beruht darauf, dass ihnen gegenüber mit dem Urteil des SG eine klageabweisende Entscheidung ergangen war. Wäre der Rechtsstreit vorher schon (durch die Erklärungen der Kläger in ihren Schriftsätzen vom 21.2.2018 oder 13.8.2018) beendet gewesen, wäre das Urteil des SG wirkungslos. Dies gilt gemäß § 202 Satz 1 SGG iVm § 269 Abs 3 Satz 1 Halbsatz 2 ZPO, wenn der Rechtshängigkeit der Klage nach Erlass der erstinstanzlichen Entscheidung (etwa durch Klagerücknahme oder in gerichtskostenfreien Verfahren einseitige Erledigungserklärung) die Grundlage entzogen wird (vgl BSG vom 27.10.2016 - B 13 R 337/15 B - juris RdNr 10; BSG vom 30.10.2019 - B 6 KA 40/18 B - juris RdNr 8; Burkiczak in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2017, § 102 RdNr 46), aber auch dann, wenn das Urteil in Unkenntnis oder aufgrund fehlerhafter Beurteilung hinsichtlich der bereits eingetretenen Erledigung des Rechtsstreites ergeht (vgl BVerwG vom 6.12.1996 - 8 C 33/95 - Buchholz 310 § 126 VwGO Nr 3 - juris RdNr 9; LSG Hamburg vom 30.1.2019 - L 2 AL 45/18 - juris RdNr 15; Clausing in Schoch/ Schneider/Bier, VwGO, § 92 RdNr 35 <Oktober 2014>). Um den Rechtsschein, der durch das wirkungslose Urteil erzeugt wird, zu beseitigen, steht den Beteiligten das Rechtsmittel zu, das auch ansonsten gegen die gerichtliche Entscheidung statthaft wäre (vgl BVerwG vom 10.4.2002 - 4 BN 12/02 ua - Buchholz 310 § 92 VwGO Nr 15 - juris RdNr 3 ff; Wolff in Posser/ Wolff, BeckOK VwGO, 54. Edition, April 2020, § 92 RdNr 27).

Entgegen der Auffassung des LSG stellt allerdings nicht § 55 SGG für das Begehren der Kläger auf Feststellung, dass der Rechtsstreit bereits durch ihre Erklärungen vom 21.2.2018 beendet worden sei, die Rechtsgrundlage dar. § 55 SGG ist nicht sedes materiae für einen Antrag auf Feststellung eines bestimmten prozessualen Zustandes, sondern nur prozessuale Grundlage für die Feststellung materieller Rechtsverhältnisse. Auch liegt kein Fall einer Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 131 Abs 1 Satz 3 SGG vor, denn den Klägern ging und geht es nicht um die Feststellung, dass die Untätigkeitsklage ursprünglich zulässig und begründet gewesen wäre (so die Konstellation bei BSG vom 8.12.1993 - 14a RKa 1/93 - BSGE 73, 244, 245 f = SozR 3-1500 § 88 Nr 1 S 2 f, juris RdNr 13 ff); es kann daher dahinstehen, ob § 131 Abs 1 Satz 3 SGG in Bezug auf Untätigkeitsklagen anwendbar ist. Die Zulässigkeit des hier allein zu beurteilenden Antrages der Kläger auf Feststellung, dass der Rechtsstreit bereits durch ihre Erklärungen vom 21.2.2018 beendet worden sei, beruht darauf, dass ihnen gegenüber mit dem Urteil des SG eine klageabweisende Entscheidung ergangen war: Wäre der Rechtsstreit vorher schon beendet gewesen, würde es sich um ein "Nichturteil" handeln, das keine Rechtsfolgen entfaltet. Die Beteiligten können mit den Rechtsmitteln, die gegen ein Urteil statthaft wären, die Beseitigung des Anscheins einer Entscheidung erstreiten. Insofern liegt auch keine Klageänderung im engeren Sinne gegenüber der ursprünglichen Klage (hier: Untätigkeitsklage) vor, sondern ein prozessualer Antrag sui generis; die Kläger verfolgen kein materielles Begehren mehr.

b) Die Berufungen der Kläger sind aber unbegründet, da das SG die Klage im Ergebnis zu Recht durch Urteil abgewiesen hat, nachdem die Kläger nach Erlass des Gerichtsbescheides mündliche Verhandlung beantragt haben.

aa) Die ursprünglich erhobene Untätigkeitsklage ist jedenfalls durch den Erlass des Bescheides vom 15.6.2018 unzulässig geworden. Eine Untätigkeitsklage kann nach § 88 SGG zulässigerweise nur auf die Verurteilung der beklagten Behörde gerichtet sein, über einen Antrag oder einen Widerspruch zu entscheiden (vgl dazu BSG vom 18.5.2011 - B 3 P 5/10 R - SozR 4-3300 § 71 Nr 2 RdNr 23; BSG vom 16.10.2014 - B 13 R 282/14 B - juris RdNr 6 mwN; BSG vom 28.10.2015 - B 6 KA 20/15 B - juris RdNr 5). Erlässt die Behörde nach Erhebung einer Untätigkeitsklage einen entsprechenden Bescheid, hat sich das Klagebegehren objektiv erledigt, es bedarf zur Beendigung des Rechtsstreites aber gemäß § 88 Abs 1 Satz 3 SGG der Erledigungserklärung (oder Klagerücknahmeerklärung) durch den Kläger. Erfolgt eine solche Erklärung nicht, ist die Klage mangels Rechtsschutzbedürfnisses als unzulässig abzuweisen (BSG vom 8.12.1993 - 14a RKa 1/93 - BSGE 73, 244, 245 = SozR 3-1500 § 88 Nr 1 S 2, juris RdNr 13; Jaritz in Roos/Wahrendorf, BeckOGK SGG, Stand 1.9.2019, § 88 RdNr 87; Schmidt in Meyer-Ladewig/ Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 88 RdNr 11).

bb) Dem Erlass des Urteils des SG hat nicht entgegengestanden, dass der Rechtsstreit bereits durch die Erklärungen der Kläger vom 21.2.2018 oder vom 13.8.2018 in der Hauptsache erledigt gewesen ist. Denn die Erklärung der Kläger, ein Anerkenntnis des Beklagten anzunehmen, konnte die Rechtsfolge des § 101 Abs 2 SGG nicht herbeiführen, da der Beklagte kein Anerkenntnis abgegeben hat.

Bei Prozesserklärungen hat das Revisionsgericht - anders als bei materiell-rechtlichen Erklärungen - die Auslegung der fraglichen Erklärung durch die Instanzgerichte in vollem Umfang zu überprüfen, also das wirklich Gewollte, das in der Äußerung erkennbar ist, zu ermitteln (BSG vom 15.6.2016 - B 4 AS 651/15 B - juris RdNr 7; BSG vom 23.2.2017 - B 11 AL 2/16 R - juris RdNr 15). Bei der Auslegung von Erklärungen ist nicht am Wortlaut zu haften, sondern der wirkliche Wille des Erklärenden zu erforschen (BSG vom 15.6.2016 - B 4 AS 651/15 B - juris RdNr 7 mwN; BSG vom 23.2.2017 - B 11 AL 2/16 R - juris RdNr 15 mwN). Auch die Begleitumstände einer Erklärung sind von Bedeutung (vgl BSG vom 25.6.2002 - B 11 AL 23/02 R - juris RdNr 21; BSG vom 23.2.2017 - B 11 AL 2/16 R - juris RdNr 15). Ist eine Erklärung aber eindeutig, ist für eine Auslegung kein Raum (BSG vom 28.3.1963 - 9 RV 898/59 - juris RdNr 11; BSG vom 16.6.2020 - B 10 ÜG 1/20 R - juris RdNr 4). Insbesondere schließt die ausdrückliche Äußerung eines Beteiligten, eine bestimmte Prozesserklärung nicht abgeben zu wollen, es aus, dessen gleichzeitige Äußerung gleichwohl als solche Prozesserklärung zu deuten. Nur dies stellt die Wahrung der Autonomie der Beteiligten und insbesondere der Dispositionsfreiheit auf klägerischer Seite (vgl etwa BSG vom 6.4.2011 - B 4 AS 3/10 R - SozR 4-4200 § 21 Nr 11 RdNr 13) sicher. Ähnlich wie bei der Auslegung einer Norm unter anderem deren Wortlaut die Auslegungsgrenze bildet (etwa BVerfG vom 16.12.2014 - 1 BvR 2142/11 - BVerfGE 138, 64, 93 ff = juris RdNr 86, 93 mwN; BVerfG vom 14.1.2020 - 2 BvR 1333/17 - juris RdNr 118 - zur Veröffentlichung in BVerfGE vorgesehen), bildet auch bei der Auslegung einer Prozesserklärung deren Wortlaut die Grenze. Dies folgt auch daraus, dass Prozesserklärungen klar und eindeutig sein müssen (BSG vom 19.3.2020 - B 4 AS 54/20 B - juris RdNr 6 mwN); an dieser Eindeutigkeit fehlt es konkludentem Handeln, wenn der Erklärende ausdrücklich bekundet, eine entsprechende Erklärung nicht abgeben zu wollen. Zwar sind die Gerichte gehalten, auf sachdienliche Anträge hinzuwirken (§ 106 Abs 1 SGG) und Prozesserklärungen beteiligtenfreundlich auszulegen (vgl zum sog Grundsatz der Meistbegünstigung etwa BSG vom 22.3.2010 - B 4 AS 62/09 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 38; Harks, NZS 2018, 49 <54>), insbesondere wenn diese nicht rechtskundig vertreten sind. Das "letzte Wort" haben aber die Beteiligten, deren Erklärungen nicht gegen den ausdrücklich bekundeten Willen ausgelegt werden dürfen, selbst wenn diese für sie aus objektiver Sicht nachteilig wären (vgl etwa BSG vom 6.4.2011 - B 4 AS 3/10 R - SozR 4-4200 § 21 Nr 11 RdNr 13). Dies findet seinen Ausdruck etwa darin, dass es den Gerichten auch verwehrt ist, einem Kläger mehr zuzusprechen als er beantragt ("ne ultra petita"; BSG vom 27.5.2014 - B 5 RE 6/14 R - SozR 4-2600 § 106 Nr 4 RdNr 19 f; BSG vom 23.4.2015 - B 5 RE 23/14 R - BSGE 118, 294 = SozR 4-2600 § 2 Nr 20, juris RdNr 11; Giesbert in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2017, § 123 RdNr 23 mwN). Zudem ist namentlich der Auslegung von Prozesserklärungen von Rechtsanwälten oder vergleichbar qualifizierten Prozessbevollmächtigten in der Regel davon auszugehen, dass dieser das Gewollte richtig wiedergibt (BSG vom 12.12.2019 - B 10 EG 3/19 B - RdNr 9).

Ausgehend von diesen Maßstäben kommt es schon deswegen nicht in Betracht, den erstinstanzlichen Schriftsatz des Beklagten vom 1.8.2017 als Anerkenntnis iS von § 101 Abs 2 SGG anzusehen, weil der Beklagte zugleich ausdrücklich erklärt hat, dass es sich nicht um ein Anerkenntnis handele. Unabhängig davon handelt es sich aber auch bei der Mitteilung des Beklagten an das SG, die von den Klägern geltend gemachten Kosten zur Auszahlung angewiesen zu haben, ohnehin nicht um ein (konkludentes) Anerkenntnis, also die nach ihrer Annahme zumindest in Leistungs- und Verpflichtungskonstellationen grundsätzlich vollstreckungsfähige (§ 199 Abs 1 Nr 3 Variante 1 SGG) und insofern gleichsam urteilsersetzende Erklärung, den mit der Klage geltend gemachten Anspruch (hier: auf Bescheiderteilung) erfüllen zu wollen. Es handelt sich vielmehr um die bloße Mitteilung, dass man die Auszahlung angewiesen habe (vgl BSG vom 9.4.2019 - B 1 KR 5/19 R - RdNr 10 - BSGE 128, 65 - auch zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen; Müller in Roos/Wahrendorf, BeckOGK SGG, Stand 1.9.2019, § 101 RdNr 37). Auch in dem Bescheid vom 15.6.2018 liegt kein Anerkenntnis, weil damit der geltend gemachte Anspruch (auf Bescheiderteilung) bereits erfüllt wird, damit aber denknotwendigerweise nicht zugleich die Verpflichtung ausgesprochen werden kann, den geltend gemachten Anspruch noch erfüllen zu wollen (im Ergebnis ebenso Hauck in Hennig, SGG, § 101 RdNr 46, Stand September 2016; T. Lange, NZS 2017, 893, 894 ff; Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 88 RdNr 11, § 101 RdNr 21; Stäbler in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2017, § 101 RdNr 28, 34; aA Hanke NZS 2016, 821, 822 ff). Abgesehen davon bietet auch der Erlass des Bescheides vom 15.6.2018 keinen Anhaltspunkt dafür, dass der Beklagte von seiner Erklärung vom 1.8.2017, kein Anerkenntnis abgeben zu wollen, abrücken wollte.

Etwas anderes folgt auch nicht aus der Überlegung, dass es eine beklagte Behörde auf diesem Wege in der Hand hätte, das Entstehen der Terminsgebühr nach Ziffer 3106 Nr 3 der Anlage 1 (Vergütungsverzeichnis) zum RVG zu vermeiden (hierzu auch T. Lange, NZS 2017, 893, 895). Nach dieser Ziffer entsteht eine Terminsgebühr, wenn das Verfahren vor dem SG, für das mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist, nach angenommenem Anerkenntnis ohne mündliche Verhandlung endet. Es steht den Beteiligten aber frei, auf welche Weise sie - im Rahmen der prozessrechtlichen Regelungen des SGG - eine Prozessbeendigung herbeiführen; sie müssen sich dabei nicht an den gebührenrelevanten Erledigungstatbeständen orientieren. Zudem können für die Beurteilung von Prozesserklärungen nicht unterschiedliche Maßstäbe in Abhängigkeit davon angewandt werden, ob hierdurch Kostentatbestände verwirklicht oder vermieden werden können. Eine andere Sichtweise würde auch dem Kosteninteresse des Rechtsanwaltes Vorrang vor dem Sachinteresse des jeweiligen Klägers einräumen: Der Kläger hat ein Interesse allein an der Verwirklichung seines materiellen Begehrens, nicht aber an der Verwirklichung von Kostentatbeständen. Seinem Interesse ist - auch in der zeitlichen Perspektive - eher gedient, wenn die beklagte Behörde etwa einen geltend gemachten Zahlungsanspruch in der Hauptsache zeitnah erfüllt, anstatt zunächst nur ein Anerkenntnis abzugeben, das der weiteren Umsetzung bedarf.

cc) Der Rechtsstreit ist auch nicht durch eine einseitige Erledigungserklärung der Kläger beendet worden. Eine solche einseitige Erledigungserklärung hat in einem gerichtskostenfreien Verfahren, wie es hier vorliegt, die gleiche Wirkung wie eine Klagerücknahme nach § 102 Abs 1 SGG (BSG vom 29.12.2005 - B 7a AL 192/05 B - juris RdNr 7; Burkiczak in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2017, § 102 RdNr 30). Sofern ein Anerkenntnis vorliegt, kommt auch die Erklärung eines Klägers, dieses Anerkenntnis anzunehmen, in ihrer prozessualen Wirkung einer einseitigen Erledigungserklärung gleich (vgl BSG vom 20.12.1995 - 6 RKa 18/95 - juris RdNr 11). Ausgehend von den oben dargestellten Maßstäben für die Auslegung von Prozesshandlungen steht hier der Deutung der Erklärungen der Kläger im Schriftsatz vom 21.2.2018 (und im Schriftsatz vom 13.8.2018) als einseitiger Erledigungserklärungen aber entgegen, dass sie hierin ausdrücklich erklärt haben, keine Erledigungserklärungen abgeben zu wollen.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 Satz 1, Abs 4 SGG. Dabei hat der Senat sein Ermessen dahingehend ausgeübt, den Beklagten auch nicht zur teilweisen Kostenerstattung zu verpflichten, wobei offenbleiben kann, ob die Untätigkeitsklagen anfänglich zulässig und begründet waren. Gegen eine auch teilweise Kostenerstattung streitet jedenfalls, dass die Kläger die Untätigkeitsklagen nach Erlass des Bescheides vom 15.6.2018 entgegen § 88 Abs 1 Satz 3 SGG nicht unverzüglich für erledigt erklärt und damit den Abschluss des Rechtsstreites hinausgezögert haben (vgl zu diesem Gesichtspunkt BSG vom 3.5.2018 - B 8 SO 44/17 B - juris RdNr 4).

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