Bundessozialgericht

Bundessozialgericht Urteil vom 21.10.2021, B 5 R 11/20 R

Erfüllung der für eine Altersrente für besonders langjährig Versicherte erforderlichen 45-jährigen Wartezeit - Bezug von Arbeitslosengeld in den letzten zwei Jahren vor Rentenbeginn infolge eines Wechsels des Versicherten in eine Transfergesellschaft und der Beendigung des befristeten Transferarbeitsverhältnisses durch Zeitablauf - Insolvenz des früheren Arbeitgebers - insolvenzbedingter Arbeitslosengeldbezug

Leitsätze

Zur Erfüllung der Wartezeit einer Altersrente für besonders langjährig Versicherte kann der Bezug von Entgeltersatzleistungen der Arbeitsförderung auch dann durch eine Insolvenz des Arbeitgebers bedingt sein, wenn der Versicherte aus diesem Anlass in eine Transfergesellschaft wechselt und das Transferarbeitsverhältnis durch Fristablauf endet.

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Thüringer Landessozialgerichts vom 20. Mai 2020 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger die Kosten auch für das Revisionsverfahren zu erstatten.

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig ein Anspruch auf Gewährung einer Altersrente für besonders langjährig Versicherte.

Der Kläger ist als Ehemann Sonderrechtsnachfolger der im September 1952 geborenen und im Jahr 2018 verstorbenen Versicherten S. Diese war bis zum Juli 2012 bei der B GmbH beschäftigt, über deren Vermögen am 30.7.2012 durch Beschluss des Amtsgerichts E das Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Am 1.8.2012 schlossen die Versicherte, der Insolvenzverwalter und die R mbH (im Folgenden: Transfergesellschaft) einen Vertrag über die Beendigung des bisherigen Arbeitsverhältnisses zum 31.7.2012 und die gleichzeitige Begründung eines neuen, bis zum 28.2.2013 befristeten Arbeitsverhältnisses mit der Transfergesellschaft. Ab dem 1.3.2013 war die Versicherte arbeitslos und bezog bis zum 28.2.2015 Arbeitslosengeld.

Auf ihren Rentenantrag bewilligte die Beklagte der Versicherten ab dem 1.10.2015 eine Altersrente für langjährig Versicherte (Bescheid vom 29.10.2015). Wegen des vorzeitigen Rentenbezugs wurde diese Rente mit einem gekürzten Zugangsfaktor von 0,910 berechnet. Den Antrag auf Gewährung einer (höheren) Rente für besonders langjährig Versicherte lehnte die Beklagte mit der Begründung ab, die Wartezeit von 45 Jahren sei nicht erfüllt. Die Versicherte habe nur 529 von den erforderlichen 540 Monaten mit anrechenbaren Zeiten zurückgelegt. Zeiten des Bezugs von Entgeltersatzleistungen der Arbeitsförderung in den letzten zwei Jahren vor Rentenbeginn könnten nicht auf die Wartezeit angerechnet werden. Die gesetzliche Ausnahmeregelung dazu sei nicht erfüllt, weil der Arbeitslosengeldbezug nicht durch eine Insolvenz bedingt sei. Die Versicherte habe zuletzt einen Vertrag mit der Transfergesellschaft geschlossen. Die sich daran anschließende Arbeitslosigkeit sei nur aufgrund der Befristung dieses Transferarbeitsverhältnisses entstanden (Bescheid vom 31.7.2015; Widerspruchsbescheid vom 15.12.2015).

Die Versicherte hat Klage erhoben und vorgetragen, sie wäre ohne die Insolvenz des früheren Arbeitgebers nicht in die Transfergesellschaft gewechselt. Wäre sie unmittelbar nach der Insolvenz arbeitslos geworden, hätte sie die Voraussetzungen für eine Altersrente für besonders langjährig Versicherte ohne Weiteres erfüllt. Das SG hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, der Arbeitslosengeldbezug sei nicht durch die Insolvenz, sondern durch das Ende des befristeten Arbeitsverhältnisses mit der Transfergesellschaft bedingt gewesen (Urteil vom 20.2.2017). Auf die Berufung der Versicherten hat das Thüringer LSG das Urteil des SG sowie die angefochtenen Bescheide aufgehoben und die Beklagte verurteilt, eine Altersrente für besonders langjährig Versicherte aus der Versicherung der am 8.9.2018 verstorbenen S nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen an den Kläger zu zahlen. Die Zeiten des Arbeitslosengeldbezugs in den letzten zwei Jahren vor Rentenbeginn seien zu berücksichtigen und die Wartezeit als erfüllt anzusehen. Die Insolvenz des früheren Arbeitgebers sei ursächlich für den Wechsel in die Transfergesellschaft und wesentliche Bedingung für den Arbeitslosengeldbezug gewesen. Ein missbräuchliches Vorgehen zu Lasten der Rentenversicherung sei "offenkundig" auszuschließen (Urteil vom 20.5.2020).

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung von § 51 Abs 3a Satz 1 Nr 3 Teilsatz 3 SGB VI. Der Arbeitslosengeldbezug der Versicherten in den letzten zwei Jahren vor Rentenbeginn sei nicht durch eine Insolvenz oder vollständige Geschäftsaufgabe des letzten Arbeitgebers bedingt. Zwar stelle die Beendigung der Tätigkeit bei der B GmbH das Ergebnis einer verfahrensrechtlich durch die Insolvenzordnung (InsO) gelenkten Tätigkeit dar. Letzter Arbeitgeber sei aber die Transfergesellschaft gewesen. Der Bezug von Arbeitslosengeld habe unmittelbar darauf beruht, dass das befristete Arbeitsverhältnis mit der Transfergesellschaft geendet habe.

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Thüringer Landessozialgerichts vom 20. Mai 2020 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Gotha vom 20. Februar 2017 zurückzuweisen.

Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Er ist der Auffassung, das LSG habe zutreffend entschieden.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision der Beklagten ist unbegründet (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG).

Das LSG hat zu Recht das Urteil des SG sowie den Bescheid vom 31.7.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.12.2015 (§ 95 SGG) aufgehoben und die Beklagte verurteilt, ab dem 1.10.2015 eine Altersrente für besonders langjährig Versicherte aus der Versicherung der verstorbenen S an den Kläger als deren Sonderrechtsnachfolger (§ 56 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB I) zu gewähren. Anspruchsgrundlage hierfür ist § 236b Abs 1 iVm Abs 2 Satz 1 SGB VI in der hier maßgeblichen Fassung des Gesetzes über Leistungsverbesserungen in der gesetzlichen Rentenversicherung (RV-Leistungsverbesserungsgesetz) vom 23.6.2014 (BGBl I 787).

A. Dem Anspruch auf Gewährung einer Altersrente für besonders langjährig Versicherte steht zunächst nicht entgegen, dass die Versicherte seit dem 1.10.2015 eine Altersrente für langjährig Versicherte (§ 236 SGB VI) bezog. Nach § 34 Abs 4 Nr 3 SGB VI ist nach bindender Bewilligung einer Rente wegen Alters oder für Zeiten des Bezugs einer solchen Rente der Wechsel in eine andere Rente wegen Alters ausgeschlossen. Diese Regelung betrifft nicht den Anspruch auf eine andere Altersrente, die - wie hier - vor oder gleichzeitig mit der bindend bewilligten oder bezogenen Altersrente beginnt (vgl zuletzt BSG Urteil vom 22.3.2021 - B 13 R 7/20 R - SozR 4-2600 § 51 Nr 5 RdNr 13 mwN).

B. Die Versicherte erfüllte am 1.10.2015 die Voraussetzungen für die Gewährung einer Altersrente für besonders langjährig Versicherte gemäß § 236b SGB VI. Ein solcher Anspruch besteht für Versicherte, die vor dem 1.1.1953 geboren sind, wenn sie das 63. Lebensjahr vollendet haben (§ 236b Abs 1 Nr 1 iVm Abs 2 Satz 1 SGB VI). Diese Voraussetzungen liegen vor. Auch hatte die Versicherte die Wartezeit von 45 Jahren erfüllt (§ 236b Abs 1 Nr 2 SGB VI).

Welche Zeiten auf die Wartezeit angerechnet werden, regelt § 51 Abs 3a Satz 1 SGB VI in der hier ebenfalls maßgeblichen Fassung des RV-Leistungsverbesserungsgesetzes vom 23.6.2014 (BGBl I 787). Danach werden auf die Wartezeit von 45 Jahren Kalendermonate angerechnet mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit (Nr 1), Berücksichtigungszeiten (Nr 2), Zeiten des Bezugs von Entgeltersatzleistungen der Arbeitsförderung (Nr 3 Buchst a), Leistungen bei Krankheit (Nr 3 Buchst b) und Übergangsgeld (Nr 3 Buchst c), soweit sie Pflichtbeitragszeiten oder Anrechnungszeiten sind (Teilsatz 1), wobei Zeiten nach Buchst a in den letzten zwei Jahren vor Rentenbeginn nicht berücksichtigt werden (Teilsatz 2), es sei denn, der Bezug von Entgeltersatzleistungen der Arbeitsförderung ist durch eine Insolvenz oder vollständige Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers bedingt (Teilsatz 3). Ferner werden auf die Wartezeit von 45 Jahren unter bestimmten Voraussetzungen Kalendermonate mit freiwilligen Beiträgen angerechnet (Nr 4).

Nach den bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) hat die Versicherte in der Zeit vom 1.9.1969 bis zum 28.2.2015 insgesamt 546 Monate an rentenrechtlichen Zeiten zurückgelegt. Vom 1.3.2013 bis zum 28.2.2015 handelte es sich ausschließlich um Pflichtbeitragszeiten während des Bezugs von Arbeitslosengeld als Entgeltersatzleistungen der Arbeitsförderung (§ 3 Abs 4 Nr 1 SGB III). Davon sind auch die in den letzten zwei Jahren vor Rentenbeginn zurückgelegten 17 Monate gemäß § 51 Abs 3a Satz 1 Nr 3 Teilsatz 2 und 3 SGB VI auf die Wartezeit von 45 Jahren (= 540 Monate) anzurechnen. In diesem Zeitraum war der Arbeitslosengeldbezug der Versicherten durch eine Insolvenz des Arbeitgebers bedingt.

Zwar lag keine Insolvenz des letzten Arbeitgebers der Versicherten vor. Die Beklagte hat insofern zutreffend darauf hingewiesen, dass die Versicherte hier zuletzt in einem Beschäftigungsverhältnis mit der Transfergesellschaft stand, das mit Ablauf der Befristung endete (zur Arbeitgebereigenschaft einer Transfergesellschaft vgl BSG Urteil vom 20.5.2020 - B 13 R 23/18 R - BSGE 130, 153 = SozR 4-2600 § 51 Nr 4, RdNr 18 und BAG Urteil vom 19.3.2014 - 5 AZR 299/13 (F) - juris RdNr 24). Die Versicherte wechselte hier aber nur aufgrund der Insolvenz ihres früheren Arbeitgebers in ein befristetes Transferarbeitsverhältnis. Die formale Begründung des neuen Arbeitsverhältnisses mit der rechtlich selbstständigen Transfergesellschaft lässt bei wertender Betrachtung den nach § 51 Abs 3a Satz 1 Nr 3 Teilsatz 3 SGB VI erforderlichen kausalen Zusammenhang mit der Insolvenz des vorherigen Arbeitgebers jedoch nicht entfallen. Dies folgt insbesondere aus systematischen Erwägungen sowie dem Sinn und Zweck der Regelungen des § 51 Abs 3a Satz 1 Nr 3 Teilsatz 2 und 3 SGB VI, wie sie auch in der bisherigen Rechtsprechung verstanden worden sind.

Der erkennende Senat hat in einer Entscheidung vom 17.8.2017 (B 5 R 8/16 R - BSGE 124, 58 = SozR 4-2600 § 51 Nr 1, RdNr 20 ff, anhängig am BVerfG: 1 BvR 323/18) ausgeführt, ein Bezug von Arbeitslosengeld sei nur insolvenzbedingt, wenn sich die Beendigung einer Beschäftigung - die ihrerseits Ursache der Arbeitslosigkeit als Voraussetzung für Arbeitslosengeld sei - als Ergebnis einer verfahrensrechtlich durch die InsO gelenkten Tätigkeit darstelle. Diese Voraussetzung lag im entschiedenen Fall nicht vor, weil ein Insolvenzverfahren zum Zeitpunkt der Kündigung noch nicht eingeleitet war. Der 13. Senat des BSG hat sich dieser Rechtsprechung angeschlossen (BSG Urteil vom 12.3.2019 - B 13 R 19/17 R - BSGE 127, 262 = SozR 4-2600 § 51 Nr 3, RdNr 18) und für den Fall eines Wechsels in eine Transfergesellschaft im Hinblick auf eine mögliche Insolvenz des Arbeitgebers die Voraussetzungen ebenfalls verneint. Erwogen hat der Senat allerdings, im Fall eines Wechsels in eine Transfergesellschaft aus Anlass der tatsächlich eingetretenen Insolvenz des vorherigen Arbeitgebers einen Rückausnahmetatbestand des § 51 Abs 3a Satz 1 Nr 3 Teilsatz 3 SGB VI anzunehmen (BSG aaO RdNr 21). Mit Urteilen vom 20.5.2020 und vom 22.3.2021 hat der 13. Senat sodann entschieden, dass für die Frage, ob der Leistungsbezug durch die Insolvenz oder vollständige Geschäftsaufgabe "des Arbeitgebers" bedingt ist, nicht nur auf den letzten Arbeitgeber vor dem Leistungsbezug abzustellen ist (B 13 R 23/18 R - BSGE 130, 153 = SozR 4-2600 § 51 Nr 4, RdNr 28 und B 13 R 7/20 R - SozR 4-2600 § 51 Nr 5 RdNr 35). In dem zuletzt entschiedenen Fall war die Klägerin nach einer vollständigen Geschäftsaufgabe zunächst arbeitslos, danach fünf Monate bei einem anderen Arbeitgeber beschäftigt und nach Kündigung in der Probezeit erneut arbeitslos. Auch die erneute Arbeitslosigkeit hat der Senat als wesentlich bedingt durch die Geschäftsaufgabe des vorletzten Arbeitgebers angesehen. Es kann dahingestellt bleiben, ob die Kausalität iS von § 51 Abs 3a Satz 1 Nr 3 Teilsatz 3 SGB VI ("bedingt") im Einzelfall nach der Lehre von der wesentlichen Bedingung zu bestimmen ist (vgl BSG Urteil vom 20.5.2020 - B 13 R 23/18 R - BSGE 130, 153 = SozR 4-2600 § 51 Nr 4, RdNr 20 f und BSG Urteil vom 22.3.2021 - B 13 R 7/20 R - SozR 4-2600 § 51 Nr 5 RdNr 33 ff). Jedenfalls bedarf es einer Auslegung der Vorschrift insbesondere anhand des Sinn und Zwecks der Ausnahmen und Rückausnahmen des § 51 Abs 3a Satz 1 Nr 3 Teilsatz 2 und 3 SGB VI (so im Ergebnis auch BSG Urteil vom 22.3.2021 - B 13 R 7/20 R - SozR 4-2600 § 51 Nr 5 RdNr 37).

Bereits der Wortlaut des Gesetzes spricht gegen das von der Beklagten vertretene enge Verständnis des § 51 Abs 3a Satz 1 Nr 3 Teilsatz 3 SGB VI. Danach muss eine "Insolvenz oder vollständige Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers", nicht aber "des letzten Arbeitgebers" vorliegen (vgl auch BSG Urteil vom 22.3.2021 - B 13 R 7/20 R - SozR 4-2600 § 51 Nr 5 RdNr 35). Es ist damit nicht zwingend geboten, nur den letzten Arbeitgeber in den Blick zu nehmen.

Dem Gesetzgebungsverfahren lassen sich Hinweise nur insoweit entnehmen, als Transferarbeitsverhältnisse dort bereits Gegenstand der Erörterungen waren. Im Entwurf zum RV-Leistungsverbesserungsgesetz wurde das Transferkurzarbeitergeld ausdrücklich als ein Beispiel für Entgeltersatzleistungen der Arbeitsförderung iS des späteren § 51 Abs 3a Satz 1 Nr 3 Buchst a SGB VI genannt (vgl Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucks 18/909 S 20 f). Den in den Anhörungen formulierten Erwägungen, unter Einbeziehung von Transferkurzarbeit könne die Beendigung der Erwerbstätigkeit sogar schon ab Vollendung des 60. Lebensjahres erfolgen und nach sich anschließenden zwei Jahren Arbeitslosengeldbezug mit Vollendung des 63. Lebensjahres eine abschlagsfreie Altersrente bezogen werden (vgl Stellungnahme des Deutschen Anwaltvereins (DAV), Ausschussdrucks 18(11)82 S 78 unter II.1.d.), ist der Gesetzgeber nicht gefolgt. Letztlich wurde den in das Gesetzgebungsverfahren eingebrachten Bedenken hinsichtlich eines Zusammenwirkens von Arbeitgebern und Arbeitnehmern mit dem Ziel der Frühverrentung (vgl zB Stellungnahme der Bundesagentur für Arbeit, Ausschussdrucks 18(11)82 S 33) Rechnung getragen und zur Vermeidung von Fehlanreizen die auf die Wartezeit anrechenbaren Zeiten in § 51 Abs 3a Satz 1 Nr 3 Teilsatz 2 SGB VI eingegrenzt. Um Härtefälle zu vermeiden, wurde sodann der Teilsatz 3 angefügt (vgl Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales, BT-Drucks 18/1489 S 26). Weitere Korrekturen der Wartezeitregelungen erfolgten nicht. Der Gesetzgeber hat mithin Fallgestaltungen mit einer Beteiligung von Transfergesellschaften im Blick gehabt, aber keine besondere Regelung hierfür getroffen.

Systematische Erwägungen sprechen dafür, dass der Bezug von Arbeitslosengeld auch dann durch eine Insolvenz des Arbeitgebers bedingt ist, wenn im Anschluss an die Insolvenz zunächst ein Arbeitsverhältnis mit einer selbstständigen Transfergesellschaft begründet wird. Zwar ist § 51 Abs 3a Satz 1 Nr 3 Teilsatz 3 SGB VI als Ausnahmevorschrift grundsätzlich eng auszulegen (vgl BSG Urteil vom 11.3.2021 - B 5 RE 2/20 R - SozR 4-2600 § 6 Nr 21 vorgesehen = juris RdNr 28 mwN; Möllers, Juristische Methodenlehre, 4. Aufl 2021, § 4 RdNr 123 und § 6 RdNr 32 ff). Der Übergang in eine Transfergesellschaft ist jedoch eine typische Folge einer Insolvenz oder einer grundlegenden betrieblichen Veränderung (zur Bedeutung von Transfergesellschaften im Insolvenzverfahren vgl Staufenbiel, ZInsO 2010, 497; Kampshoff/Urban-Crell in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, Insolvenzrecht, 4. Aufl 2020, Anhang VII RdNr 565 ff). Die Einrichtung von Transfergesellschaften ist ein arbeitsmarktpolitisches Instrument, um den Eintritt von Arbeitslosigkeit von Beschäftigten zu vermeiden, deren Arbeitsplätze infolge betrieblicher Umstrukturierungen wegfallen. Aufgabe der Transfergesellschaften ist es, die Betroffenen bei der Suche nach einer Anschlussbeschäftigung auch durch Maßnahmen zur Verbesserung ihrer Beschäftigungsfähigkeit zu unterstützen (vgl Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion der FDP vom 20.10.2020 - BT-Drucks 19/23804 S 10 f). Dementsprechend fördert das SGB III Arbeitnehmer, die von Arbeitslosigkeit bedroht sind, bei Teilnahme an sog Transfermaßnahmen (§ 110 SGB III) und sieht die Leistung von Transferkurzarbeitergeld vor (§ 111 SGB III). Durch Maßnahmen der Vermittlungsunterstützung und beruflichen Qualifizierung sollen die Chancen erhöht werden, schnellstmöglich wieder in den ersten Arbeitsmarkt eingegliedert zu werden. Mit der Einführung des Transferkurzarbeitergelds und der Verkürzung der Höchstbezugsdauer auf zwölf Monate sollte der "Nutzung des Instrumentes zur Frühverrentung auf Kosten der Beitragszahler … effektiv ein Riegel vorgeschoben" und "die Beschäftigungschancen Älterer" verbessert werden, "wenn diese nicht mehr systematisch in den Vorruhestand gedrängt werden" (vgl Gesetzentwurf der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen, BT-Drucks 15/1515 S 93 zu § 216b Abs 8).

Dem entspricht es, dass der bisherige Arbeitgeber in die Maßnahmen der Transfergesellschaft in verschiedener Hinsicht eingebunden ist. Er muss sich an der Finanzierung aller Maßnahmen zur Eingliederung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in den Arbeitsmarkt (Transfermaßnahmen) angemessen beteiligen (§ 110 Abs 1 Satz 2 SGB III, vgl Apidopoulos in Heinz/Schmidt-De Caluwe/Scholz, SGB III, 7. Aufl 2021, § 110 RdNr 18, 25). Die Agentur für Arbeit leistet dazu nur einen Zuschuss (§ 110 Abs 2 SGB III). Auch sind für die Gewährung von Transferkurzarbeitergeld betriebliche Voraussetzungen zu erfüllen (§ 111 Abs 3 SGB III), wobei insbesondere gewährleistet sein muss, dass die Organisation und Mittelausstattung den angestrebten Integrationserfolg erwarten lassen (vgl § 111 Abs 3 Satz 1 Nr 3 SGB III). Hier verdeutlicht den besonderen Zusammenhang von Insolvenz und Übernahme der Beschäftigten des insolventen Unternehmens durch die Transfergesellschaft die dreiseitige Vereinbarung vom 1.8.2012. Daran beteiligt war für die B GmbH der vom Insolvenzgericht ernannte Insolvenzverwalter (§ 27 Abs 1 Satz 1 InsO), der in die Arbeitgeberstellung der weiter fortbestehenden Arbeitsverhältnisse (§ 108 Abs 1 Satz 1 InsO) eintrat (zur verfahrensrechtlich durch die InsO gelenkten Tätigkeit vgl BSG Urteil vom 17.8.2017 - B 5 R 8/16 R - BSGE 126, 128 = SozR 4-2600 § 51 Nr 1, RdNr 20 ff). Mit dem Vertrag wurde das bisherige Arbeitsverhältnis beendet und gleichzeitig das sich daran anschließende Transferarbeitsverhältnis begründet.

Auch der Sinn und Zweck der Regelungen des § 51 Abs 3a Satz 1 Nr 3 SGB VI sprechen dafür, in Konstellationen wie hier eine kausale Verknüpfung des Bezugs von Entgeltersatzleistungen mit der Insolvenz des vorletzten Arbeitgebers anzunehmen. Dass Zeiten des Bezugs von Entgeltersatzleistungen der Arbeitsförderung in den letzten zwei Jahren vor Rentenbeginn nicht auf die Wartezeit von 45 Jahren angerechnet werden (§ 51 Abs 3a Satz 1 Nr 3 Teilsatz 2 SGB VI), soll Fehlanreize vermeiden, über den Arbeitslosengeldbezug in die abschlagsfreie Altersrente für besonders langjährig Versicherte zu wechseln. Verhindert werden soll eine Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses im Zusammenwirken von Arbeitgeber und Arbeitnehmer zwecks Frühverrentung des Versicherten (vgl auch BSG Urteil vom 17.8.2017 - B 5 R 8/16 R - BSGE 126, 128 = SozR 4-2600 § 51 Nr 1, RdNr 24 ff und BSG Urteil vom 12.3.2019 - B 13 R 19/17 R - BSGE 127, 262 = SozR 4-2600 § 51 Nr 3, RdNr 28 mwN). Die zur Vermeidung von Härtefällen eingefügten Rückausnahmetatbestände des § 51 Abs 3a Satz 1 Nr 3 Teilsatz 3 SGB VI schließen dies weitgehend aus. In den Fällen der Insolvenz oder der vollständigen Geschäftsaufgabe ist dem Arbeitgeber regelmäßig die freie Entscheidung über die Fortführung bestimmter Arbeitsverhältnisse entzogen (vgl BSG Urteil vom 22.3.2021 - B 13 R 7/20 R - SozR 4-2600 § 51 Nr 5 RdNr 31; zur Insolvenz ausführlich BSG Urteil vom 17.8.2017 - B 5 R 8/16 R - BSGE 126, 128 = SozR 4-2600 § 51 Nr 1, RdNr 28 ff).

Der Fall einer befristeten Übernahme in eine Transfergesellschaft nach einer Insolvenz des Arbeitgebers stellt sich nicht wesentlich anders dar. Auch in einer solchen Konstellation ist ein kollusives Zusammenwirken mit dem Ziel der Frühverrentung nicht anzunehmen (vgl BSG Urteil vom 12.3.2019 - B 13 R 19/17 R - BSGE 127, 262 = SozR 4-2600 § 51 Nr 3, RdNr 28). Wie bereits ausgeführt, haben Transfergesellschaften nach dem SGB III die Funktion, die Beschäftigten weiterzuqualifizieren und in reguläre Arbeitsverhältnisse zu vermitteln. Insofern wird mit dem Instrument der Transfergesellschaft die gleiche Intention verfolgt wie mit der Ausschlussvorschrift des § 51 Abs 3a Satz 1 Nr 3 Teilsatz 2 SGB VI, nämlich Frühverrentungen zu verhindern. Ließe man diese besonderen Zusammenhänge außer Acht und würde man wegen der Begründung des befristeten Arbeitsverhältnisses mit der Transfergesellschaft den erforderliche Kausalzusammenhang verneinen, würde dies der arbeitsmarktpolitischen Zielsetzung einer Verbesserung der Beschäftigungschancen zuwiderlaufen. Gerade ältere Arbeitnehmer würden auf den Wechsel in eine solche Transfergesellschaft verzichten, um sich die Möglichkeit einer Altersrente für besonders langjährig Versicherte auch unter Berücksichtigung des Bezugs von Arbeitslosengeld zu erhalten. Ob das vom Gesetzgeber mit den Transfergesellschaften verfolgte arbeitsmarktpolitische Ziel in der Praxis auch in allen Fällen erreicht wird (kritisch vgl BSG Urteil vom 12.3.2019 - B 13 R 19/17 R - BSGE 127, 262 = SozR 4-2600 § 51 Nr 3, RdNr 28), ist für die Auslegung hier ohne Bedeutung.

C.Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Düring                    Gasser                    Körner

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