Bundessozialgericht

Cannabis auf Rezept?

Ausgabejahr 2022
Nummer 39
Datum 02.11.2022

Im März 2017 hat der Gesetzgeber einen Anspruch auf Versorgung mit Cannabis geschaffen. Patienten mit schwerwiegenden Erkrankungen sollen bei fehlenden Therapiealternativen Cannabis als Kassenleistung erhalten. In der Praxis sind hierzu viele Fragen offen. Wann liegt eine schwerwiegende Erkrankung vor? Wie viele erfolglose Therapieversuche sind Patienten zumutbar? Welche Anforderungen müssen die behandelnden Ärzte erfüllen? Wie streng dürfen die Krankenkassen die ärztliche Therapieentscheidung kontrollieren?
Der 1. Senat des Bundessozialgerichts wird hierüber am 10. November 2022 ab 10.00 Uhr im Elisabeth-Selbert-Saal entscheiden (Aktenzeichen B 1 KR 21/21 R, B 1 KR 28/21 R, B 1 KR 9/22 R, B 1 KR 19/22 R).

Einer der Kläger leidet unter Epilepsie, seine Krankenkasse verweist ihn auf neue Medikamente. Ein anderer Kläger mildert mit Cannabis seine ADHS-Erkrankung, ein weiterer Kläger seine Schmerzen sowie psychische Erkrankungen. Letzterer hat sich Cannabis für über 15.000 Euro auf Privatrezept selbst beschafft und verlangt von der Krankenkasse die Erstattung. Die Krankenkassen verweigern die Cannabistherapie mit dem Hinweis darauf, dass eine Cannabisabhängigkeit bestehe. Eine Klägerin leidet schließlich unter einer Vielzahl von Erkrankungen und möchte Cannabis statt vieler Medikamente. Die Krankenkasse hält die Begründung ihres Arztes nicht für ausreichend.
Sämtliche Klagen waren vor den Sozial- und Landessozialgerichten erfolglos. Mit den Revisionen wird unter anderem geltend gemacht, die Krankenkassen würden die Therapiefreiheit der behandelnden Ärzte missachten und überhöhte Anforderungen an die ärztliche Einschätzung stellen. Ein vorheriger Cannabiskonsum sei kein Ausschlusskriterium.

Hinweise zur Medienöffentlichkeit:

Der Senat hat in allen Verfahren die Medienöffentlichkeit der Entscheidungsverkündung durch Beschluss nach § 169 Absatz 3 Satz 1 Gerichtsverfassungsgesetz unter Auflagen zugelassen. Soweit Pressevertreterinnen und Pressevertreter hiervon Gebrauch machen wollen, werden sie um vorherige Meldung bei der Pressestelle des Bundessozialgerichts gebeten.

Hinweise zur Rechtslage:
Sozialgesetzbuch (SGB) Fünftes Buch (V) - Gesetzliche Krankenversicherung (idF des Gesetzs vom 11.7.2021)

§ 31 Arznei- und Verbandmittel, Verordnungsermächtigung
(6) 1Versicherte mit einer schwerwiegenden Erkrankung haben Anspruch auf Versorgung mit Cannabis in Form von getrockneten Blüten oder Extrakten in standardisierter Qualität und auf Versorgung mit Arzneimitteln mit den Wirkstoffen Dronabinol oder Nabilon, wenn

1. eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung
a)nicht zur Verfügung steht oder
b)im Einzelfall nach der begründeten Einschätzung der behandelnden Vertragsärztin oder des behandelnden Vertragsarztes unter Abwägung der zu erwartenden Nebenwirkungen und unter Berücksichtigung des Krankheitszustandes der oder des Versicherten nicht zur Anwendung kommen kann,

2. eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome besteht.
2Die Leistung bedarf bei der ersten Verordnung für eine Versicherte oder einen Versicherten der nur in begründeten Ausnahmefällen abzulehnenden Genehmigung der Krankenkasse, die vor Beginn der Leistung zu erteilen ist. … 4Leistungen, die auf der Grundlage einer Verordnung einer Vertragsärztin oder eines Vertragsarztes zu erbringen sind, bei denen allein die Dosierung eines Arzneimittels nach Satz 1 angepasst wird oder die einen Wechsel zu anderen getrockneten Blüten oder zu anderen Extrakten in standardisierter Qualität anordnen, bedürfen keiner erneuten Genehmigung nach Satz 2.

Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln (Betäubungsmittelgesetz - in der Fassung des Gesetzes vom 8.11.2021)

§ 13 Verschreibung und Abgabe auf Verschreibung

(1) Die in Anlage III bezeichneten Betäubungsmittel dürfen nur von Ärzten… und nur dann verschrieben oder im Rahmen einer ärztlichen… Behandlung einschließlich der ärztlichen Behandlung einer Betäubungsmittelabhängigkeit verabreicht oder einem anderen zum unmittelbaren Verbrauch … überlassen werden, wenn ihre Anwendung am oder im menschlichen … Körper begründet ist. Die Anwendung ist insbesondere dann nicht begründet, wenn der beabsichtigte Zweck auf andere Weise erreicht werden kann. Die in Anlagen I und II bezeichneten Betäubungsmittel dürfen nicht verschrieben, verabreicht oder einem anderen zum unmittelbaren Verbrauch … überlassen werden. ...

Anlage III (zu § 1 Abs. 1)
verkehrsfähige und verschreibungsfähige Betäubungsmittel

-... Cannabis (Marihuana, Pflanzen und Pflanzenteile der zur Gattung Cannabis gehörenden Pflanzen), – nur aus einem Anbau, der zu medizinischen Zwecken unter staatlicher Kontrolle gemäß den Artikeln 23 und 28 Absatz 1 des Einheits-Übereinkommens von 1961 über Suchtstoffe erfolgt, sowie in Zubereitungen, die als Fertigarzneimittel zugelassen sind – …
-Dronabinol, …
-Nabilon, …

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