Bundessozialgericht

Verhandlung B 2 U 4/16 R

Verhandlungstermin 23.01.2018 12:00 Uhr

Terminvorschau

Dr. R. M. ./. Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau als landwirtschaftliche BG
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit eines Beitragsbescheids sowie darüber, ob der Kläger überhaupt versicherungs- und beitragspflichtiges Mitglied der beklagten Berufsgenossenschaft ist.
Der Kläger erwarb im Jahr 1994 gemeinsam mit seiner Ehefrau ein 4705 qm großes, mit einem Einfamilienhaus bebautes Grundstück. Am 6.9.1995 nahm die Beklagte den Kläger als Unternehmer mit dem Unternehmensteil "Haus- und Ziergarten" in ihr Unternehmerverzeichnis auf, erteilte ihm einen Mitgliedschein und erhob den Beitrag für das Jahr 1994. Gegen diese Bescheide legte der Kläger keinen Widerspruch ein. Mit Bescheid vom 18.4.2011 setzte die Beklagte den Beitrag für das Umlagejahr 2010 in Höhe des Mindestbeitrags von 39 Euro fest. Den Widerspruch wies sie zurück. Der Kläger sei als landwirtschaftlicher bzw gärtnerischer Unternehmer eines privaten Haus- und Ziergartens kraft Gesetzes in der gesetzlichen Unfallversicherung versichert und als solcher beitragspflichtig. Das SG hat auf die Klage diese Beitragsbescheide für 2010 aufgehoben. Das gesamte Grundstück des Klägers sei geprägt von einer privaten Nutzung ohne erhöhten Pflegeaufwand. Hiergegen hat die Beklagte Berufung eingelegt. Auf Hinweis des LSG hat die Beklagte den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 18.4.2011 außerdem als Antrag auf Überprüfung des Bescheids vom 6.9.1995 ausgelegt; diesen Antrag hat sie ebenfalls abgelehnt (Bescheid vom 28.4.2015, Widerspruchsbescheid vom 20.5.2015). Der Kläger hat daraufhin dem LSG gegenüber die Klage auf den Bescheid vom 28.4.2015 erweitert. Die Beklagte hat der Klageänderung zugestimmt. Das LSG hat das Urteil des SG aufgehoben und die Klage gegen den Bescheid vom 18.4.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8.6.2011 abgewiesen. Die Anschlussberufung des Klägers hat es zurückgewiesen und seine Klage gegen den Bescheid vom 28.4.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.5.2015 abgewiesen. Die im Wege der Anschlussberufung vorgenommene Klageänderung sei zulässig, so dass das LSG in der Sache auch über die Klage gegen den Bescheid vom 28.4.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.5.2015 zu entscheiden gehabt habe. Der Kläger sei als (Mit-) Eigentümer des Grundstücks landwirtschaftlicher Unternehmer und damit gesetzlich unfallversichert. Landwirtschaftliche Unternehmen der Park- und Gartenpflege könnten auch ausschließlich privat genutzte Gärten sein. Bei der Auslegung der Ausnahmevorschrift des § 123 Abs 2 SGB VII sei von einem weiten unfallversicherungsrechtlichen Begriff des landwirtschaftlichen Unternehmens auszugehen. Bei dem Grundstück des Klägers handle es sich weder um einen Haus- noch um einen Ziergarten, denn jedenfalls ab einer Gartenfläche von mehr als 2500 qm liege ein solcher regelmäßig nicht vor. Die Gartenfläche des Klägers übersteige hier mit ca 3750 qm diesen Grenzwert deutlich. Der Garten werde auch nicht insgesamt nur in extrem geringem Umfang bewirtschaftet. Dabei sei auch nicht zwischen dem Ziergarten und dem mit Wildwuchs bestandenen Gartenteil zu unterscheiden. Auch in dem mit Wildwuchs bestandenen Grundstücksteil seien Bewirtschaftungsmaßnahmen wie das Wegräumen von Ästen nach einem Sturm oder Schneebruch notwendig. Würde man in jedem Einzelfall genau ermitteln müssen, welche Gartenteile in welcher Intensität bewirtschaftet werden, so wären unzählige Rechtsstreite über die Größe der tatsächlich bewirtschafteten Flächen zu erwarten. Es sei zulässig, den Bescheid ausschließlich an den Kläger als Miteigentümer zu richten, weil er Gesamtschuldner sei.

Mit seiner Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 123 Abs 2 Nr 1 SGB VII. Für die Auslegung des Begriffs "Haus- und Ziergarten" komme es nicht auf die Größe des Gartens an. Der Grenzwert von 2500 qm lasse sich aus dem Gesetz und der Rechtsprechung des Reichsversicherungsamts gerade nicht herleiten.

Sozialgericht Lüneburg - S 3 U 90/11 -
Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen - L 3 U 209/12

Terminbericht

Die Revision des Klägers hatte keinen Erfolg. Der Beitragsbescheid vom 18.4.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8.6.2011 ist im Ergebnis rechtmäßig. Soweit sich der Kläger im Wege der Anschlussberufung gegen den während des Berufungsverfahrens ergangenen Bescheid der Beklagten vom 28.4.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.5.2015 gewendet hat, war die Anschlussberufung bereits unzulässig. Mit diesen Bescheiden hat die Beklagte eine Rücknahme des Mitgliedscheins vom 6.9.1995 nach § 44 SGB X abgelehnt. Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG kann im Wege der Anschlussberufung kein neuer Streitgegenstand in den Rechtsstreit eingeführt werden. Bei der Frage, ob dem Kläger ein Anspruch auf Überprüfung des ursprünglichen "Mitgliedsscheins" aus dem Jahre 1995 zustand, handelte es sich aber um einen anderen Streitgegenstand als bei dem zunächst vor dem SG ausschließlich angefochtenen Beitragsbescheid für das Umlagejahr 2010.

Das LSG hat im Ergebnis zu Recht entschieden, dass der Beitragsbescheid vom 18.4.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8.6.2011 gem § 183 Abs 5 S 1 SGB VII rechtmäßig war. Die Eigenschaft des Klägers als landwirtschaftlicher Unternehmer stand aufgrund des bestandskräftigen (§ 77 SGG) Mitgliedsscheins fest, weil dieser Verwaltungsakt aus dem Jahre 1995 weder nichtig iS des § 40 SGB X, noch unwirksam gem § 39 Abs 2 SGB X war. Die Beklagte durfte den Kläger mithin auf der rechtlichen Grundlage des bestandskräftigen Mitgliedsscheins als landwirtschaftlichen Unternehmer mit Beiträgen belasten. Dieser Bescheid war auch nicht wegen Ermessensnichtgebrauchs rechtswidrig. Wie der Senat zuletzt entschieden hat, ist die Beklagte grundsätzlich gehalten, eine Ermessensentscheidung zu treffen, wenn sie einen von mehreren Gesamtschuldnern iSd § 150 Abs 2 S 2 SGB VII als alleinigen Beitragsschuldner in Anspruch nehmen will. Eine solche Prüfung hätte hier nahegelegen, weil der Beklagten bekannt war, dass die Ehefrau des Klägers Miteigentümerin des Grundstücks war. Allerdings bestand keine Beitragsplicht der Ehefrau, weil diese kein landwirtschaftliches Unternehmen iSd § 123 Abs 1 SGB VII betrieb. Nach § 123 Abs 2 Nr 1 SGB VII sind Haus- und Ziergärten keine landwirtschaftlichen Unternehmen. Die Norm enthält insofern keine Einschränkung oder Gegenausnahme derart, dass Haus- und Ziergärten ab einer bestimmten Größe (etwa 2 500 m²) wieder der Beitragspflicht unterliegen sollen. Eine Deckungsgleichheit mit der in § 5 SGB VII vorgesehen Größe von 0,25 ha (= 2500 ) hat der Gesetzgeber gerade nicht hergestellt. Der bisherigen Rechtsprechung des BSG ist eine solche strikte Grenzziehung bei Haus- und Ziergärten ebenfalls nicht zu entnehmen. Auch in der Rechtsprechung des Reichsversicherungsamts war keine strikte 2 500 Grenze postuliert worden. Eine Beitragspflicht besteht nach dem ausdrücklichen Wortlaut des § 123 Abs 2 SGB VII nur dann, wenn die Haus- und Ziergärten regelmäßig oder in besonderem Umfang mit besonderen Arbeitskräften bewirtschaftet werden oder ihre Erzeugnisse nicht hauptsächlich dem eigenen Haushalt dienen. Diese Voraussetzungen einer Beitragspflicht lagen hier offensichtlich nicht vor, so dass die Ehefrau des Klägers mangels Eigenschaft als Unternehmerin im Ergebnis nicht als weitere Schuldnerin in Betracht kam und von der Beklagten somit auch keine Ermessensentscheidung hinsichtlich der Auswahl des in Anspruch genommen Schuldners zu treffen war. Der einzig den Streitgegenstand des Revisionsverfahrens bildende Beitragsbescheid aus dem Jahre 2011 erweist sich damit im Ergebnis als richtig. Der Kläger ist folglich nur aufgrund der Bestandskraft des Mitgliedsbescheids aus dem Jahre 1995 in diesem Verfahren unterlegen. Hinsichtlich der Kostenentscheidung verweist § 197a SGG insofern aber auf die eindeutige Regelung des § 154 Abs 2 VwGO.

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