Bundessozialgericht

Verhandlung B 2 U 7/16 R

Verhandlungstermin 23.01.2018 13:00 Uhr

Terminvorschau

P. B. ./. Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau als landwirtschaftliche BG
Die Beteiligten streiten um die Versicherungspflicht des Klägers in der gesetzlichen Unfallversicherung als forstwirtschaftlicher Unternehmer und über die Rechtmäßigkeit erhobener Beiträge für die Jahre 2008 und 2009. Der Kläger ist Eigentümer einer 0,1285 ha großen mit Bäumen bestandenen Fläche, die im Naturschutzgebiet "L. Ka." liegt. Im Juli 2010 erließ die Beklagte einen Aufnahmebescheid zur landwirtschaftlichen Unfallversicherung und errechnete für das Jahr 2008 einen Beitrag von 57,76 Euro und für das Jahr 2009 von 57,44 Euro. Der Widerspruch blieb erfolglos. Der Kläger hat Klage erhoben und darauf hingewiesen, dass an seinem Waldgrundstück tatsächlich keine Nutzung zulässig sei, weil dieses im Naturschutzgebiet "L. Ka." liege. In diesem Gebiet sei eine forstwirtschaftliche Nutzung und die Entnahme von Pflanzenteilen verboten. Das SG hat die Bescheide der Beklagten aufgehoben, weil der Kläger glaubhaft vorgetragen habe, dass keinerlei Bewirtschaftung der Waldfläche zur Gewinnung von Forsterzeugnissen erfolge. Das LSG hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Zwar bestünde wegen der die Forstwirtschaft prägenden langen Bewirtschaftungszeiträumer die ‑ widerlegbare ‑ Vermutung, dass bei bestehenden Nutzungsrechten an forstwirtschaftlichen Flächen auch bei im Einzelfall fehlenden konkreten Bewirtschaftungsmaßnahmen eine forstwirtschaftliche Tätigkeit und damit die Eigenschaft des Nutzungsberechtigten als forstwirtschaftlicher Unternehmer gegeben sei. Solange auf den in Rede stehenden Flächen Bäume wüchsen oder nachwüchsen, könne von einem "brach liegen lassen" nicht gesprochen werden, auch wenn über einen langen Zeitraum keine Pflege- oder Erhaltungsmaßnahmen vorgenommen würden. Hier sei die Vermutung der forstwirtschaftlichen Betätigung auf der Fläche des Klägers widerlegt, denn sein Flurstück sei gemäß § 2 Abs 1 Landesverordnung über das Naturschutzgebiet "L. Ka." vom 18.10.1991 (Gesetz- und Verordnungsblatt für Schleswig-Holstein 1992, S 2) Bestandteil des Naturschutzgebietes L. Ka.. Nach § 3 Abs 3 der Verordnung seien in dem Naturschutzgebiet alle verschiedenen Lebensräume mit ihren charakteristischen Lebensgemeinschaften in ihrer Ganzheit zu erhalten. Ihre unbeeinflusste Entwicklung, der möglichst ungestörte Ablauf der natürlichen Stoffkreisläufe und die Fortentwicklung der natürlichen genetischen Vielfalt sollten dauerhaft gewährleistet sein. Nutzungsbedingte Störeinflüsse seien auszuschließen oder soweit wie möglich zu minimieren. Nach § 4 Abs 1 seien in dem Naturschutzgebiet alle Handlungen verboten, die zu einer Zerstörung, Beschädigung oder Veränderung des Naturschutzgebietes oder seiner Bestandteile oder zu einer nachhaltigen Störung führen könnten. Nach Satz 2 dieser Vorschrift sei es verboten, Erstaufforstungen vorzunehmen (Nr 10) und Pflanzen, Pflanzenteile oder sonstige Bestandteile des Naturschutzgebietes zu entnehmen oder Pflanzen einzubringen (Nr 12). Eine forstwirtschaftliche Nutzung des Waldgebietes sei somit ausgeschlossen. Der Auffassung der Beklagten, eine forstwirtschaftliche Nutzung sei trotz des gesetzlichen Verbots mit Erlaubnisvorbehalt möglich, könne nicht gefolgt werden.

Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Revision. Sie rügt eine Verletzung des § 123 Abs 1 Nr 1 SGB VII. Die Vermutung der forstwirtschaftlichen Nutzung des Grundstücks werde durch die Verordnung nicht widerlegt.

Sozialgericht Itzehoe - S 9 U 89/10
Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht - L 8 U 77/12

Terminbericht

Die Revision der Beklagten hatte keinen Erfolg. Zu Recht haben die Vorinstanzen entschieden, dass der Bescheid vom 1.7.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13.9.2010, mit dem die Beklagte ihre Zuständigkeit bejaht, den Kläger als forstwirtschaftlichen Unternehmer veranlagt und Beiträge für 2008 und 2009 gefordert hat, rechtswidrig war. Der Kläger war kein forstwirtschaftlicher Unternehmer im Sinne des § 123 Abs 1 Nr 1 SGB VII. Das LSG hat insofern für den Senat bindend (§ 202 SGG iVm § 560 ZPO) das schleswig-holsteinische Landesrecht so ausgelegt, das dem Kläger jede forstwirtschaftliche Maßnahme im Eigeninteresse verboten war. Zwar ist nach der ständigen Rechtsprechung des Senats für die Bejahung eines Unternehmens der Forstwirtschaft im Sinne des § 123 Abs 1 Nr 1 SGB VII keine Mindestgröße und kein Mindestmaß des Arbeitsaufwands erforderlich. Ebenso ist nicht erforderlich, dass die streitige Fläche nach Größe, Lage, Bodenbeschaffenheit oder aus anderen Gründen für eine wirtschaftlich sinnvolle, auf Gewinnerzielung gerichtete forstliche Nutzung geeignet ist. Vielmehr besteht die widerlegbare Vermutung, dass bei bestehenden Nutzungsrechten an forstwirtschaftlichen Flächen auch bei im Einzelfall fehlenden konkreten Bewirtschaftungsmaßnahmen eine forstwirtschaftliche Tätigkeit und damit die Eigenschaft als forstwirtschaftlicher Unternehmer gegeben ist. Diese Vermutung kann vom Eigentümer dadurch widerlegt werden, dass eine Nutzung der Waldfläche zur Gewinnung von Forsterzeugnissen ausgeschlossen ist, weil sie allein anderen Zwecken dient. Nach den bindenden Feststellungen des LSG war der Kläger zwar Eigentümer eines Waldgrundstücks im Sinne des § 2 Abs 1 Satz 1 Landeswaldgesetz und damit Nutzungsberechtigter eines Forstgrundstückes. Die daran anknüpfende Vermutung eines forstwirtschaftlichen Unternehmens war hier jedoch widerlegt. Nach der nicht mit zulässigen und begründeten Rügen angegriffenen und damit gemäß § 162 SGG den Senat bindenden Auslegung des Landesrechts (Landesrechtliche Verordnung über das Naturschutzgebiet Liether Kalkgrube) durch das LSG durften auf dem Grundstück rechtlich zulässig allenfalls minimale Eingriffe zum Zweck der Unterhaltung und Sicherung der Wege und zur Erhaltung und Entwicklung des Naturschutzgebietes und nur im Einvernehmen mit der unteren Naturschutzbehörde oder auf Anordnung der oberen Landschaftspflegebehörde durchgeführt werden. Weiterhin waren nach der bindenden Auslegung des Landesrechts durch das LSG forstwirtschaftliche Maßnahmen im Eigeninteresse des Klägers grundsätzlich verboten. Tätigkeiten mit einem minimalen Umfang, die ihre rechtliche Grundlage lediglich in dem öffentlichen Interesse an der Erhaltung des Naturschutzgebiets und der Wege haben ‑ bei gleichzeitigem Verbot jeder eigenwirtschaftlichen forstwirtschaftlichen Nutzung ‑ genügen nicht, um das Vorliegen eines forstwirtschaftliche Unternehmens zu bejahen.

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