Bundessozialgericht

Verhandlung B 3 KR 12/17 R

Verhandlungstermin 15.03.2018 11:30 Uhr

Terminvorschau

L. ./. IKK Classic
Der 1958 geborene, bei der beklagten KK versicherte Kläger ist seit einer Oberschenkelamputation mit einem handbetriebenen Rollstuhl mit E-Fix-Zusatzantrieb ausgestattet. Am 1.12.2014 beantragte er die Versorgung mit einem Elektrorollstuhl nach ärztlicher Verordnung und legte hierzu einen Kostenvoranschlag über 3199,30 Euro vor. Die Beklagte holte Auskünfte bei der verordnenden Ärztin, einen Erprobungsbericht des Hilfsmittelerbringers sowie eine Stellungnahme des MDK ein und lehnte mit Bescheid vom 11.2.2015 die Gewährung eines Elektrorollstuhls mangels medizinischer Indikation ab. Nach erfolglosem Widerspruchsverfahren hat das SG die Beklagte wegen Eintritts einer Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs 3a SGB V antragsgemäß verurteilt. Das LSG hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen, und einen von der Beklagten zwischenzeitlich vorsorglich nach § 45 SGB X erlassenen Bescheid über die Rücknahme der Genehmigungsfiktion aufgehoben: Die Beklagte habe die Fristen iS von § 13 Abs 3a S 1 bis 4 SGB V ohne entsprechende Mitteilung an den Kläger nicht eingehalten. Daraus resultiere ein Sachleistungsanspruch auf den begehrten Elektrorollstuhl, denn Hilfsmittel seien grundsätzlich keine Leistungen zur medizinischen Rehabilitation iS dieser Vorschrift. Der Rücknahmebescheid sei wegen fehlender Ermessensausübung rechtswidrig und könne daher die eingetretene Genehmigungsfiktion nicht wirksam beseitigen.

Mit der Revision rügt die Beklagte die Verletzung ua der §§ 12, 13 Abs 3a SGB V und §§ 14, 15 SGB IX. § 13 Abs 3a SGB V verlange keinen Hinweis auf das Bestehen einer gesetzlichen Frist oder die Mitteilung einer taggenauen Fristverlängerung. Die Vorschrift erfasse nur notwendige und geeignete Leistungen entsprechend dem Qualitäts- und Wirtschaftlichkeitsgebot. Sie sei zudem auf Kostenerstattung beschränkt und begründe keine Sachleistungsansprüche. Ein Elektrorollstuhl gehöre als Hilfsmittel außerdem zu den Leistungen der medizinischen Rehabilitation und falle schon deshalb nicht in den Anwendungsbereich von § 13 Abs 3a SGB V. Der Kläger sei mit dem vorhandenen Leichtgewichtsrollstuhl mit E-Fix-Antrieb auch ausreichend versorgt.

Sozialgericht Nürnberg - S 7 KR 345/15
Bayerisches Landessozialgericht - L 5 KR 471/15

Terminbericht

Die Revisionen waren in allen drei Fällen im Sinne der Aufhebung der LSG-Urteile und Zurückverweisung der Sachen an das jeweilige Berufungsgericht begründet. Die im Einzelnen geltend gemachten Ansprüche der Kläger auf Versorgung mit Hilfsmitteln können nicht mit Erfolg auf die Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs 3a SGB V wegen verspäteter Bescheidung der Leistungsanträge durch die beklagten Krankenkassen gestützt werden. Der sachliche Anwendungsbereich dieser Vorschrift wird nach § 13 Abs 3a S 9 SGB V für Leistungen zur medizinischen Rehabilitation insgesamt nicht eröffnet. Dies gilt unabhängig davon, ob mit der Genehmigungsfiktion ein Sachleistungsanspruch oder ein Kostenfreistellungs- bzw -erstattungsanspruch für solche selbstbeschafften Leistungen begehrt wird. § 13 Abs 3a S 9 SGB V weist Leistungen zur medizinischen Rehabilitation dem eigenständigen Fristen- und Kostenerstattungsregime des Rehabilitations- und Teilhaberechts für Menschen mit Behinderungen zu (§§ 14, 15 SGB IX aF bzw §§ 14 bis 24 idF des Bundesteilhabegesetzes mWv 1.1.2018 - BTHG). Hilfsmittel der GKV zur Vorbeugung vor Behinderung (§ 33 Abs 1 S 1 Var 2 SGB V) und zum Behinderungsausgleich (§ 33 Abs 1 S 1 Var 3 SGB V) gehören - anders als Leistungen, die der Sicherung des Erfolgs einer Krankenbehandlung dienen (§ 33 Abs 1 S 1 Var 1 SGB V) - zu den Leistungen zur medizinischen Rehabilitation. Sie werden nicht in erster Linie mit dem Ziel eingesetzt, auf die Krankheit, dh den regelwidrigen Körper- oder Geisteszustand als solchen iS von § 27 Abs 1 S 1 SGB V therapeutisch einzuwirken, sondern hauptsächlich mit dem Ziel, die damit verbundene Teilhabebeeinträchtigung eines Menschen mit Behinderung auszugleichen oder zu mildern. Auf die Unterscheidung zwischen Hilfsmitteln zum unmittelbaren und solchen zum mittelbaren Behinderungsausgleich kommt es für die Frage des sachlichen Anwendungsbereichs der Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs 3a SGB V nicht an.

In allen drei Verfahren geht es um Ansprüche auf Versorgung mit Hilfsmitteln zum Behinderungsausgleich, nicht aber um solche "zur Sicherung des Erfolgs der Krankenbehandlung" iS von § 33 Abs 1 S 1 Var 1 SGB V. Auch bei dem im Fall 1 begehrten Therapie-Dreirad fehlt es an dem dazu erforderlichen engen Zusammenhang zwischen dem Einsatz des Hilfsmittels und einer andauernden, auf einem ärztlichen Therapieplan beruhenden Behandlung.

Der Senat kann allerdings jeweils nicht abschließend selbst in den genannten Sachen entscheiden. Die Vorinstanzen müssen nach deren Zurückverweisung in den wiedereröffneten Berufungsverfahren - unabhängig von § 13 Abs 3a SGB V - die Voraussetzungen der Hilfsmittelansprüche nach § 33 SGB V sowie Ansprüche nach den Vorschriften aus dem Bereich anderer Rehabilitationsträger vollumfänglich prüfen. Da die beklagten Krankenkassen die Anträge der Kläger jeweils nicht an andere Rehabilitationsträger weitergeleitet hatten, sind die Beklagten im Außenverhältnis gegenüber den Versicherten zur Überprüfung der Anträge im Hinblick auf alle in Frage kommenden Rechtsgrundlagen verpflichtet (§ 14 Abs 2 S 1 SGB IX). Hierbei wird die Versorgungssituation der Kläger unter Berücksichtigung ihres Wunsch- und Wahlrechts in einer dem Teilhaberecht des SGB IX (idF des BTHG) angemessenen Weise zu berücksichtigen sein. Bislang fehlen hierzu tragfähige Feststellungen der Berufungsgerichte.

Bescheide, mit denen die beklagten Krankenkassen in den Fällen 2 und 3 die vermeintlich nach § 13 Abs 3a S 6 SGB V eingetretene fiktive Genehmigung zurückgenommen haben, gingen mangels Eintritts der Genehmigungsfiktion ins Leere.

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