Bundessozialgericht

Verhandlung B 2 U 13/16 R

Verhandlungstermin 20.03.2018 11:00 Uhr

Terminvorschau

U. U. ./. BG Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege
Die Beteiligten streiten über die Veranlagung des Klägers als Versicherter und seine Verpflichtung zur Zahlung von Beiträgen für die Jahre 2009 bis 2012. Der Kläger ist Vorsitzender des Vorstandes einer Aktiengesellschaft (AG), deren Tätigkeitsbereich die Förderung der Altenpflege und des öffentlichen Gesundheitswesens ist. Zwischen dem Kläger und der AG besteht ein Dienstvertrag zur Führung der Geschäfte des Vorstandes gemeinsam mit den weiteren Vorstandsmitgliedern, als Vergütung war ein Bruttogehalt iHv 4000 Euro monatlich vereinbart. Unter dem 30.12.2013 wandte sich die Beklagte an den Kläger unter dem Betreff "Ihre Unternehmerpflichtversicherung Bestätigung der Zugehörigkeit zur Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege" und führte aus, ihre Zuständigkeit ergebe sich aus der Art der ausgeübten Tätigkeit. Für den Kläger persönlich bestehe mit Wirkung vom 1.1.2008 eine Unternehmerpflichtversicherung. Die Beklagte veranlagte den Kläger durch zwei Bescheide vom 30.12.2013 "für Ihre Unternehmerversicherung" für die Zeit ab 1.1.2007 bis 31.12.2012 und für die Zeit ab 1.1.2013 bis 31.12.2018. Diese Veranlagungsbescheide ergingen an die private Adresse des Klägers an ihn als Vorstandsmitglied. Mit weiteren fünf Bescheiden vom 30.12.2013 forderte die Beklagte vom Kläger Beiträge "für die persönliche Versicherung (Unternehmensversicherung)" für die Jahre 2008 bis 2012, hob den Beitragsbescheid für 2008 aber später wieder auf. Der Widerspruch blieb ohne Erfolg. Das SG hat die Bescheide der Beklagten aufgehoben. Der Kläger sei als Vorstandsmitglied kein Beschäftigter iS des § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII bzw Wie-Beschäftigter iS des § 2 Abs 2 SGB VII. Die AG sei nicht gemäß § 150 Abs 1 S 1 SGB VII für den Kläger beitragspflichtig. Der Kläger sei auch nicht nach § 2 Abs 1 Nr 9 SGB VII pflichtversichert, weil er nicht selbstständig tätig sei. Die Vorschrift des § 2 Abs 1 Nr 9 SGB VII stelle lediglich die selbstständig Tätigen unter Versicherungsschutz. Die "wie ein Unternehmer" tätigen Selbstständigen seien aber gerade nicht selbstständig tätig und gehörten daher bereits dem Wortlaut der Vorschrift nach nicht zum Kreis der Pflichtversicherten. Aus Systematik und Wortlaut des § 2 SGB VII ergebe sich, dass "wie ein Unternehmer" selbstständig Tätige den selbstständig Tätigen nur dann gleichgestellt sein sollten, wenn dies im Gesetz ausdrücklich geregelt werde. Aus § 6 Abs 1 Nr 2 SGB VII, nach dem sich Personen, die in Kapital- oder Personenhandelsgesellschaften regelmäßig wie Unternehmer selbstständig tätig seien, auf Antrag freiwillig in der gesetzlichen Unfallversicherung versichern könnten, folge, dass diese Personen ohne entsprechende ausdrückliche gesetzliche Regelung generell versicherungsfrei seien. Das LSG hat die Berufung der Beklagten - allerdings mit anderer Begründung - zurückgewiesen. Der Kläger sei als Selbstständiger versicherungspflichtig nach § 2 Abs 1 Nr 9 SGB VII. Dann gelte § 150 Abs 1 Nr 1 SGB VII, wonach die Versicherung über den Unternehmer, hier die AG, zu erfolgen habe. Die Voraussetzungen des § 168 Abs 1 SGB VII seien nicht erfüllt, weil ein Beitragsbescheid an den Beitragspflichtigen zu richten sei, eine Beitragspflicht des Klägers jedoch nicht bestehe. Der Kläger sei auch nicht Unternehmer iS des § 150 Abs 1 S 2 SGB VII, denn nicht ihm, sondern der AG gereiche das Ergebnis der Tätigkeit unmittelbar zum Vor- oder Nachteil. § 150 Abs 1 S 2 SGB VII sei auch nicht entsprechend anwendbar, weil keine Regelungslücke bestehe. Freiwillig Versicherte nach § 6 Abs 1 S 1 Nr 2 SGB VII seien mit Pflichtversicherten nach § 2 Abs 1 Nr 9 SGB VII nicht vergleichbar, weil die Pflichtversicherung nicht von einem freien Entschluss abhänge.

Die Beklagte rügt mit ihrer Revision die Verletzung des § 75 Abs 2 SGG und des § 150 SGB VII. Das LSG hätte die AG beiladen müssen, weil die Entscheidung ihr gegenüber nur einheitlich ergehen könne. Habe der Kläger selbst keine Beiträge gemäß § 150 Abs 1 S 2 SGB VII zu zahlen, so bestehe nach § 150 Abs 1 S 1 SGB VII die Beitragspflicht der AG als Unternehmerin.

Sozialgericht Halle - S 33 U 78/14
Landessozialgericht Sachsen-Anhalt - L 6 U 131/15

Terminbericht

Die Revision der Beklagten hatte keinen Erfolg. Die Vorinstanzen haben im Ergebnis zu Recht entschieden, dass die an den Kläger ergangenen Bescheide rechtswidrig waren. Der Kläger ist kein Mitglied der Beklagten und auch nicht verpflichtet, Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung zu entrichten. Der Kläger ist Vorstandsvorsitzender einer AG, die auf dem Gebiet des Gesundheitswesens tätig ist. Er ist damit selbst nicht Unternehmer iS des § 150 Abs 1 S 1 SGB VII. Nach dieser Vorschrift ist beitragspflichtig lediglich der Unternehmer, für dessen Unternehmen Versicherte tätig sind. Unternehmer ist hier die AG. Der Kläger ist aber auch nicht nach § 150 Abs 1 S 2 SGB VII beitragspflichtig. Hiernach sind die nach § 2 SGB VII versicherten Unternehmer und die nach § 6 Abs 1 SGB VII Versicherten selbst beitragspflichtig. Der Kläger ist kein Unternehmer, der nach § 2 SGB VII versichert ist. Soweit die Beklagte darauf abstellt, dass der Kläger als " Wie-Unternehmer" unter den Schutzbereich des § 2 Abs 1 Nr 9 SGB VII fällt, wird dies vom Gesetzeswortlaut des § 2 Abs 1 Nr 9 SGB VII nicht gedeckt. Hiernach sind kraft Gesetzes unfallversichert Personen, die selbständig oder unentgeltlich, insbesondere ehrenamtlich im Gesundheitswesen tätig sind. Selbständig iS des § 2 Abs 1 Nr 9 SGB VII ist nach der Rechtsprechung des Senats derjenige, dem das Ergebnis seines Unternehmens unmittelbar zum Vor- und Nachteil gereicht (§ 136 Abs 3 Nr 1 SGB VII). Mithin ist der Kläger als Vorsitzender des Vorstands einer AG kein Selbständiger iS des § 2 Abs 1 Nr 9 SGB VII. Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass der Versicherungstatbestand des § 2 Abs 1 Nr 9 SGB VII "entsprechend" auf den Kläger als "unternehmerähnliche" Person angewendet werden kann. Wie insbesondere das SG zutreffend ausgeführt hat, zeigt ein Vergleich der Regelungen des § 2 Abs 1 Nr 5 und des § 2 Abs 1 Nr 9 SGB VII, dass der Gesetzgeber in § 2 Abs 1 Nr 5c SGB VII bewusst eine Regelung nur für in landwirtschaftlichen Unternehmen "wie Unternehmer selbständig" Tätige getroffen hat. Für alle anderen Personen, die in Kapital- oder Personenhandelsgesellschaften regelmäßig wie Unternehmer selbständig tätig sind, eröffnet § 6 Abs 1 Nr 2 SGB VII lediglich die Möglichkeit einer freiwilligen Versicherung in der gesetzlichen Unfallversicherung. Von dieser Möglichkeit hat der Kläger keinen Gebrauch gemacht. Der Kläger ist damit nicht beitragspflichtig, unterfällt aber auch nicht dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Der Senat hält insofern auch an seiner Entscheidung vom 14.12.1999 (B 2 U 38/98 R) fest, nach der eine AG nicht beitragspflichtig für ihre Vorstandsvorsitzenden ist, weil es sich insofern eben nicht um Beschäftigte iS des § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII handelt. Insofern besteht auch keine Beitragspflicht der AG für den Kläger. Der Kläger ist hier also weder Unternehmer, noch Arbeitnehmer, noch Selbständiger iS der §§ 2, 150 SGB VII. Der Senat entnimmt den Gesetzesmaterialein zum RÜG den eindeutigen Willen des Gesetzgebers, dass für die Gruppe der in Kapitalunternehmen "wie Unternehmer" tätigen Selbständigen lediglich die Möglichkeit bestehen soll, der gesetzlichen Unfallversicherung freiwillig beizutreten. Hält der Gesetzgeber aus Gründen der Schutzbedürftigkeit eine Zwangsmitgliedschaft der Gruppe des Klägers in der gesetzlichen Unfallversicherung für angebracht, so müsste er hierfür - etwa durch eine Ergänzung des § 2 Abs 1 Nr 9 SGB VII - selbst eine für den damit verbundenen Eingriff in die Handlungs- und Vorsorgefreiheit (Art 2 Abs 1 GG) ausreichende Rechtsgrundlage erst schaffen.

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