Bundessozialgericht

Verhandlung B 2 U 16/16 R

Verhandlungstermin 20.03.2018 12:00 Uhr

Terminvorschau

KKH ./. Unfallkasse Brandenburg, beigeladen: 1) S. K., 2) M. K., 3) U. K.
Die Beteiligten streiten darüber, ob die beklagte Unfallkasse der klagenden Krankenkasse Behandlungskosten zu erstatten hat, die infolge eines Sturzereignisses des inzwischen verstorbenen S.K. (Verletzten) entstanden sind. Die Beklagte hatte es gegenüber dem Verletzten abgelehnt, den Sturz als Versicherungsfall nach dem SGB VII anzuerkennen. Der 1937 geborene Verletzte war seit seinem 56. Lebensjahr im Ruhestand. Am 20.7.2006 nahm er kleinere Reparaturarbeiten auf dem Dach der über 80-jährigen Patentante seines Sohnes vor. Zu dieser Patentante bestand ein inniges freundschaftliches Verhältnis. Der Verletzte besuchte sie nach dem Tod ihres Ehemanns regelmäßig einmal wöchentlich, wobei er kleinere und größere Handreichungen und Reparaturen innerhalb und außerhalb des Hauses (wie zB das Reparieren der Heizung oder Mähen des Rasens) durchführte. Der Verletzte stellte dabei auch die Mängel am Dach fest, die er am Unfalltag unentgeltlich ausbesserte. In der Folgezeit sollte die komplette Dachsanierung durch eine Firma ausgeführt werden. Das für die Ausbesserungsarbeiten benötigte Material wurde vom Verletzten besorgt. Bei der Reparatur stürzte er aus ca fünf Metern vom Hausdach auf den Betonfußboden und verletzte sich schwer. Er ist mittlerweile verstorben. Mit Schreiben vom 10.7.2007 meldete die Klägerin bei der Beklagten einen Erstattungsanspruch wegen der Kosten der Krankenhausbehandlung an, weil davon auszugehen sei, dass der Verletzte aufgrund der Folgen eines Arbeitsunfalls erkrankt sei. Mit bestandskräftigem Bescheid vom 4.2.2008 lehnte die Beklagte gegenüber dem Verletzten die Anerkennung des Sturzereignisses als Arbeitsunfall ab. Bei den vom Versicherten am Unfalltag ausgeführten Dacharbeiten habe es sich um eine unternehmerähnliche Tätigkeit mit Werkvertragscharakter gehandelt. Die Klägerin hat Klage erhoben und die Erstattung für die Behandlung entstandener Kosten begehrt. Das SG hat die Beklagte verurteilt, an die Klägerin die geforderten 212.981,95 Euro zu zahlen, weil die Beklagte der zuständige Leistungsträger sei. Es habe ein Arbeitsunfall vorgelegen, der Verletzte sei als "Wie-Beschäftigter " unfallversichert gewesen. Das LSG hat das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Die Beklagte habe die Anerkennung des Sturzereignisses als Arbeitsunfall gegenüber dem Versicherten mit Bescheid vom 4.2.2008 bestandskräftig abgelehnt. Dies könne sie als "Einwendung" dem Erstattungsanspruch der Klägerin erfolgreich entgegenhalten. Nur wenn die gegenüber dem Versicherten getroffene Entscheidung objektiv dem materiellen Recht deutlich widerspreche, habe der Leistungsträger im Erstattungsstreit die Fehlentscheidung zu korrigieren. Eine offensichtliche Fehlerhaftigkeit des Bescheids der Beklagten vom 4.2.2008 sei jedoch nicht zu erkennen. Eine Wie-Beschäftigung des Verletzten nach § 2 Abs 2 Satz 1 SGB VII habe nicht vorgelegen. Gegen eine arbeitnehmerähnliche Tätigkeit sprächen die Gesamtumstände, unter denen der Versicherte tätig geworden sei. Es habe sich um aus freundschaftlicher Verbundenheit geleistete Handlungen gehandelt.

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des § 105 Abs 1 Satz 1 SGB X. Eine Bindungswirkung der gegenüber dem Versicherten erlassenen Bescheide im Erstattungsrechtsstreit sei abzulehnen.

Sozialgericht Hannover - S 36 U 289/08
Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen - L 16/3 U 176/11

Terminbericht

Die Revision hatte keinen Erfolg. Zu Recht hat das LSG das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Der klagenden Krankenkasse steht ein Erstattungsanspruch gegen die beklagte Unfallkasse wegen der an den Verletzten erbrachten Leistungen nicht zu. Die Voraussetzungen des als Anspruchsgrundlage allein in Betracht kommenden § 105 SGB X liegen nicht vor, weil die Beklagte für die Leistungen nicht der zuständige Leistungsträger war. Dies folgt nicht bereits aus einer Bindungswirkung des bestandskräftigen Verwaltungsakts (VA), mit dem die Beklagte gegenüber dem Verletzten die Anerkennung des Sturzereignisses als Arbeitsunfall abgelehnt hat, denn die Klägerin war an der Verwaltungsentscheidung der Beklagten nicht iS des § 12 SGB X beteiligt. Dahinstehen kann aber, ob dieser VA eine tatbestandliche Drittwirkung entfaltet, sodass er von der Beklagten als "Einwendung" gegenüber der Klägerin erhoben werden könnte. Dies wird in Literatur und Rechtsprechung teilweise bejaht, weil die Funktionsfähigkeit des gegliederten Sozialleistungssystems eine solche tatbestandliche Drittwirkung erforderlich mache. Jedenfalls soll der auf Erstattung in Anspruch genommene Leistungsträger dann befugt sein, sich auf die Bindungswirkung seiner Entscheidung gegenüber dem Versicherten zu berufen, wenn diese sich nicht als offensichtlich fehlerhaft erweist. Der erkennende Senat hat hingegen eine Bindungswirkung solcher Bescheide gegenüber dem Versicherten bei Erstattungsbegehren als originäre Ansprüche zwischen Leistungsträgern stets verneint. Der Senat konnte hier allerdings dahinstehen lassen, ob er an dieser Rechtsprechung festhält, weil sich der Bescheid ohnehin als rechtmäßig erweist. Ebenso kann offen bleiben, und ob die durch den 1. Senat des BSG neuerdings eingeführte Differenzierung danach, ob der VA gegenüber dem Versicherten vom Erstattungsgläubiger oder Erstattungsschuldner erlassen wurde, überzeugt, woran erhebliche Zweifel bestehen, wenn - wie im vorliegenden Fall - der eine Zuständigkeit ablehnende VA des potenziellen Erstattungsschuldners zeitlich erst nach der Geltendmachung des Erstattungsbegehrens durch den Erstattungsgläubiger erlassen wurde. Denn unabhängig von einer wie auch immer gearteten Tatbestandswirkung des ablehnenden VA's besteht im vorliegenden Fall offensichtlich kein Erstattungsanspruch, weil die Beklagte in jedem Fall zu Recht einen Arbeitsunfall des Verstorbenen abgelehnt hat. Ein solcher setzt nach § 8 Abs 1 SGB VII voraus, dass der Unfall infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit eingetreten ist. Der Verletzte war bei dem Unfall unproblematisch nicht Beschäftigter iS des § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII. Auch die Voraussetzungen einer Wie-Beschäftigung nach § 2 Abs 2 Satz 1 SGB VII liegen nicht vor. Voraussetzung hierfür wäre, dass eine einem fremden Unternehmen dienende, dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen des Unternehmers entsprechende Tätigkeit von wirtschaftlichem Wert erbracht wurde, die ihrer Art nach von Personen verrichtet werden könnte, die in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis stehen. Ausgehend von den bindenden Feststellungen des LSG wurde die Tätigkeit des Verletzten jedenfalls nicht arbeitnehmerähnlich erbracht. Dies hätte vorausgesetzt, dass das Gesamtbild des Vorhabens eine beschäftigungsähnliche Tätigkeit ergibt. Nach der hier erforderlichen Gesamtbetrachtung lag jedoch eindeutig eine Tätigkeit des Verletzten vor, die aufgrund der fehlenden Fremdbestimmtheit unternehmerähnlich war. Zudem spricht auch die freundschaftliche Prägung der Beziehung zur Auftraggeberin gegen die Arbeitnehmerähnlichkeit der Tätigkeit.

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