Bundessozialgericht

Verhandlung B 13 R 30/17 R

Verhandlungstermin 25.05.2018 12:30 Uhr

Terminvorschau

T. S. ./. Deutsche Rentenversicherung Bund
Im Streit steht die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung (EM).

Nach dem Ende der Schulausbildung im Juni 1985 absolvierte der Kläger bis Februar 1986 eine Ausbildung. Von August 1985 bis Dezember 1986 war er versicherungspflichtig beschäftigt und leistete von Januar 1987 bis August 1988 Zivildienst. Danach arbeitete er erneut versicherungspflichtig, unterbrochen durch eine Umschulungsmaßnahme von September 1989 bis März 1990. Vom 24.12.1990 an befand er sich in Untersuchungshaft.

Durch rechtskräftiges Urteil des LG aus April 1993 wurde der Kläger zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Das Gericht ordnete nach § 63 StGB die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an.

Den Antrag des Klägers auf Rente wegen EM lehnte der beklagte RV-Träger ab. Das hiergegen vom Kläger angerufene SG hat Beweis erhoben durch ein ärztliches Sachverständigengutachten und alsdann die Klage abgewiesen. Das LSG hat die Beklagte verurteilt, dem Kläger ab August 2012 eine Rente wegen voller EM auf Dauer zu zahlen. Der Kläger habe die allgemeine Wartezeit - ausgehend von einem Versicherungsfall mit der ersten Straftat - vorzeitig erfüllt und sei voll erwerbsgemindert. Er leide nach Auswertung der medizinischen Unterlagen an einer Krankheit iS des § 43 SGB VI. Wegen dieser Erkrankung sei er auf nicht absehbare Zeit außerstande, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Der ursächliche Zusammenhang zwischen den im Gesetz genannten Beeinträchtigungen des körperlichen, geistigen oder seelischen Zustandes und der konkreten Leistungseinschränkungen sei vorliegend gegeben. Die aus Sicherheitsgründen angeordnete Unterbringung schließe einen Rentenanspruch nicht aus. Denn der Kläger sei nicht alleine aufgrund seiner Unterbringung außerstande, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Vielmehr stehe seine psychische Erkrankung auch unabhängig vom Vorliegen der Voraussetzungen aus § 63 StGB einer Erwerbstätigkeit entgegen.

Der beklagte RV-Träger rügt mit der vom Senat zugelassenen Revision eine Verletzung des § 43 Abs 2 S 2 SGB VI. Der Kläger sei nicht voll erwerbsgemindert. Die wesentliche Bedingung für die unterstellte Unfähigkeit des Klägers, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, sei nicht seine Erkrankung, sondern der Umstand seiner Unterbringung nach § 63 StGB.

Sozialgericht Hamburg - S 4 R 115/13
Landessozialgericht Hamburg - L 2 R 53/15

Terminbericht

Der beklagte RV-Träger war mit seiner Revision erfolgreich. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung.

Er hat zwar unter Berücksichtigung des vom LSG festgestellten Versicherungsfalls am 23.11.1987 die allgemeine Wartezeit vorzeitig erfüllt. Er ist jedoch nicht erwerbsgemindert iS des § 43 SGB VI. Danach sind voll bzw teilweise erwerbsgemindert Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 3 bzw 6 Stunden täglich erwerbstätig zu sein.

Nach den für den Senat bindenden Feststellungen des LSG leidet der Kläger - allein - an einer schweren psychischen Erkrankung. Quantitative Einschränkungen seines Leistungsvermögens folgen hieraus nicht. Er ist gleichwohl nicht mehr in der Lage, eine Erwerbstätigkeit unter betriebsüblichen Bedingungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu verrichten. Denn im Hinblick auf die aus seiner Erkrankung folgende Gefährdung der Allgemeinheit bedürfte es seiner permanenten Überwachung am Arbeitsplatz. Dies käme der Verpflichtung gleich, nur für den Kläger einen speziellen Arbeitsplatz einzurichten, ohne ausschließen zu können, dass es nicht doch zu einer Fremdgefährdung kommen könnte.

Der Rentenanspruch scheitert allerdings im vorliegenden Fall daran, dass die von § 43 Abs 2 Satz 2 SGB VI geforderte Kausalität zwischen der Erkrankung und der mangelnden Fähigkeit, das Leistungsvermögen unter den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes einzusetzen, nicht gegeben ist. Denn die Unfähigkeit des Klägers, einer Erwerbstätigkeit unter den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes nachzugehen, wird wesentlich durch eine andere Ursache bewirkt.

Maßstab der Kausalitätsprüfung ist auch im Recht der Erwerbsminderung die Lehre von der wesentlich mitwirkenden Bedingung. Nach dieser sind kausal und rechtserheblich nur solche Ursachen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben. Die Kausalbeziehung zwischen der Erkrankung und der mangelnden Möglichkeit, die Arbeitskraft auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu verwerten, wird hier durch die Unterbringung als überragende und damit wesentliche Ursache verdrängt.

Conditiones sine qua non dafür, dass der Kläger sein Restleistungsvermögen nicht verwerten kann, sind vorliegend die psychische Erkrankung, die aus dieser Erkrankung allein folgende Gefährlichkeit für die Allgemeinheit und die Unterbringung eben wegen dieser krankheitsbedingten Gefährlichkeit. Bei wertender Betrachtung ist die Erkrankung jedoch nur Auslöser iS der vorhergehenden Darlegungen. Folgt aus der Krankheit als Grund für die Leistungseinschränkung - wie hier - ausschließlich die Gefährlichkeit des Versicherten für die Allgemeinheit, kommt der Unterbringung insoweit eine überragende Bedeutung für den versperrten Zugang zum Arbeitsmarkt zu. Denn gerade die Gefährlichkeit rechtfertigt und erfordert die Unterbringung. § 63 StGB knüpft zwar an eine seelische Störung an; er erlaubt die Freiheitsentziehung aber nur dann, wenn die Allgemeinheit vor dem Erkrankten geschützt werden muss. Lediglich die Belange der öffentlichen Sicherheit sind geeignet, einen Menschen ganz unabhängig vom Maß seiner Schuld auf unbestimmte Zeit einer Freiheitsentziehung zu unterwerfen. Die Unterbringung, die dem Kläger den Zugang zum Arbeitsmarkt verwehrt, ist mithin die finale Reaktion des Staates allein auf dessen Gefährlichkeit.

Da die Unterbringung selbst demnach keine "krankheitsbedingte" Einschränkung der Erwerbsfähigkeit iSv § 43 SGB VI ist, verwirklicht sich durch sie auch kein „versichertes“ Risiko. Schutzzweck des § 43 SGB VI ist der Lohnersatz bei Wegfall eines grundsätzlich verwertbaren Restleitungsvermögens wegen einer Erkrankung. Der hier notwendige vom Staat umfassend zu garantierende Schutz der Allgemeinheit - also das Leben und die Gesundheit anderer als des Versicherten - liegt dagegen nicht im Verantwortungsbereich der Versichertengemeinschaft.

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