Bundessozialgericht

Verhandlung B 2 U 1/17 R

Verhandlungstermin 19.06.2018 11:00 Uhr

Terminvorschau

E. B. ./. Unfallversicherung Bund und Bahn
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin auf dem Heimweg von der Agentur für Arbeit (AA) Magdeburg einen Arbeitsunfall erlitten hat. Das Arbeitsverhältnis der Klägerin wurde am 31.1.2014 zum 14.2.2014 gekündigt. Sie suchte deshalb am 3.2.2014 die AA Magdeburg auf, um sich arbeitsuchend zu melden. Gegen Ende des Aufnahmegesprächs richtete eine Mitarbeiterin des AA an die Klägerin die "Bitte", zum Zwecke eines Vermittlungsgesprächs im Dienstgebäude zu bleiben und sich bis zum Aufruf durch die Vermittlerin im Wartebereich verfügbar zu halten (sog Sofortzugang). Dem kam die Klägerin nach und führte anschließend mit einer Arbeitsvermittlerin ein ca halbstündiges Vermittlungsgespräch. Für den Fall der Nichtwahrnehmung des Sofortzugangs waren ihr keine konkreten Konsequenzen angedroht worden. Danach verließ sie das Dienstgebäude der AA, um nach Hause zu fahren. Beim Überqueren der Straße wurde sie von einem Pkw angefahren und erlitt einen Schienbeinbruch, ein Schädel-Hirn-Trauma und multiple Prellungen.

Die Beklagte lehnte es ab, dieses Ereignis als Arbeitsunfall anzuerkennen, weil die erstmalige Arbeitslosmeldung und die in diesem Zusammenhang stehenden Wege eigenwirtschaftlich seien und somit keinen Versicherungsschutz begründeten. Das SG hat die Klage abgewiesen, weil Personen, die sich pflichtgemäß frühzeitig arbeitslos meldeten, nicht versichert seien. Das LSG hat diese Entscheidung sowie die angefochtenen Bescheide aufgehoben und festgestellt, dass das Ereignis ein Arbeitsunfall war. Die Klägerin habe im Zeitpunkt des Unfalls der Meldepflicht nach § 38 Abs 1 Satz 2 und 6 iVm § 309 Abs 1 SGB III unterlegen und sei der als Aufforderung auszulegenden, in ihrem Einzelfall ausgesprochenen "Bitte" der AA nachgekommen, die Arbeitsvermittlerin sofort aufzusuchen. Dass ihr der Termin des Vermittlungsgesprächs nicht schriftlich mitgeteilt worden sei, sei ebenso belanglos wie die fehlende Androhung von Sanktionen oder sonstigen Nachteilen. Aus den Grundsätzen der Wegeunfallversicherung lasse sich nicht ableiten, dass der Rückweg versicherungsrechtlich immer das Schicksal des Hinweges teile.

Mit der Revision rügt die Beklagte eine Verletzung der § 8 Abs 1 und 2 Nr 1 iVm § 2 Abs 1 Nr 14 Buchst a SGB VII: Die Klägerin sei schon keiner "Aufforderung" im Sinne des § 2 Abs 1 Nr 14 Buchst a SGB VII nachgekommen, als sie aufgrund einer "Bitte" der AA im Wartebereich Platz genommen und im Rahmen des "Sofortzugangs" ein Gespräch mit der Arbeitsvermittlerin geführt habe. Andernfalls käme es zu einer nahezu uferlosen Ausweitung des Unfallversicherungsschutzes von arbeitsuchenden Nicht-Leistungsbeziehern. Überdies sei höchstrichterlich geklärt, dass der Weg zur AA, um sich arbeitslos zu melden, eigenwirtschaftlich sei und noch nicht unter den Schutz der Unfallversicherung falle. Der Rückweg teile indes grundsätzlich das Schicksal des Hinwegs.

Sozialgericht Magdeburg - S 8 U 201/14
Landessozialgericht Sachsen-Anhalt - L 6 U 90/15

Terminbericht

Die Revision der Beklagten hatte keinen Erfolg. Zu Recht hat das LSG festgestellt, dass das Ereignis ein Arbeitsunfall war, denn die Klägerin ist verunglückt, als sie den unmittelbaren Weg iS des § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII "von dem Ort der Tätigkeit" zurücklegte. Die Klägerin hat einen "Unfall" erlitten, als sie beim Überqueren der Straße von einem Pkw angefahren wurde und sich dabei Verletzungen zuzog. Den unmittelbaren (Heim)Weg zur eigenen Wohnung als Zielpunkt hatte sie von der Agentur für Arbeit (AA) Magdeburg aus angetreten, wo sie zuvor versicherte Tätigkeiten als meldepflichtige Arbeitsuchende iS des § 2 Abs 1 Nr 14 Buchst a SGB VII verrichtet hatte. Nach § 2 Abs 1 Nr 14 Buchst a SGB VII sind kraft Gesetzes versichert "Personen, die nach den Vorschriften des Zweiten oder des Dritten Buches der Meldepflicht unterliegen, wenn sie einer besonderen, an sie im Einzelfall gerichteten Aufforderung der Bundesagentur [BA] für Arbeit, des nach § 6 Abs 1 S 1 Nr 2 des Zweiten Buches zuständigen Trägers oder eines nach § 6a des Zweiten Buches zugelassenen kommunalen Trägers nachkommen, diese oder eine andere Stelle aufzusuchen." Die Klägerin unterlag zunächst der Meldepflicht nach § 38 Abs 1 Satz 1 und 2 SGB III. Danach sind Personen, deren Ausbildungs- oder Arbeitsverhältnis endet, verpflichtet, sich innerhalb von drei Tagen nach Kenntnis des Beendigungszeitpunkts persönlich bei der AA arbeitsuchend zu melden, wenn - wie hier - zwischen der Kenntnis des Beendigungszeitpunkts (31.1.2014) und der Beendigung des Ausbildungs- oder Arbeitsverhältnisses (14.2.2014) weniger als drei Monate liegen. Diese (Melde-)"Pflicht" hat die Klägerin mit der Durchführung des Aufnahmegesprächs erfüllt und zum Erlöschen gebracht (§ 362 BGB analog). Ob anschließend die allgemeine Meldepflicht gemäß § 309 SGB III, bei der es sich ebenfalls um eine Obliegenheit handelt, in direkter Anwendung nahtlos eingriff, kann dahinstehen, weil sie gemäß § 38 Abs 1 Satz 6 SGB III jedenfalls "entsprechend" gilt. § 38 Abs 1 Satz 6 SGB III soll sicherstellen, dass die Meldeobliegenheiten im Leistungsverfahren nach den §§ 309 und 310 SGB III für alle Ausbildung- und Arbeitsuchenden unabhängig von einem Leistungsbezug gelten, um die Verbindlichkeit im Vermittlungsprozess für Nichtleistungsbezieher zu erhöhen. Folglich erstreckt § 38 Abs 1 Satz 6 SGB III die Meldepflichten (Obliegenheiten) aus dem Leistungsverfahren nach §§ 309 f SGB III auch auf Arbeitsuchende, die ihrer Pflicht zur Meldung bereits vor dem Ende des Arbeitsverhältnisses nachgekommen sind und die zu diesem Zeitpunkt regelmäßig noch keinen Anspruch auf Alg haben. Zu Recht hat das LSG auch das Vorliegen einer "Aufforderung" als zweites Tatbestandsmerkmal des § 2 Abs 1 Nr 14 Buchst a SGB III bejaht. Eine Aufforderung liegt vor, wenn dem Betroffenen der Eindruck vermittelt wird, das persönliche Erscheinen sei notwendig und werde erwartet, wobei schon Äußerungen genügen können, die mit einer Bitte, Empfehlung oder Einladung umschrieben sind. Die Aufforderung ist formfrei und kann deshalb auch mündlich erfolgen. Das LSG hat unter Berücksichtigung der Umstände des von ihm bindend (§ 163 SGG) festgestellten Sachverhalts die im Rahmen des Aufnahmegesprächs mündlich an die Klägerin gerichtete "Bitte", zum Zwecke eines Vermittlungsgesprächs im Dienstgebäude der AA zu bleiben und sich bis zum Aufruf durch den Vermittler im Wartebereich verfügbar zu halten, zu Recht als besondere einzelfallbezogene "Aufforderung der BA" klassifiziert. Die Kollision mit dem Pkw auf dem Heimweg nach dem AA-Besuch war schließlich auch vom Schutzzweck der Norm des § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII umfasst. Dabei kann offen bleiben, dass die Klägerin auf dem Hinweg mangels einer an sie im Einzelfall gerichteten Aufforderung, die AA aufzusuchen, wohl nicht versichert gewesen wäre. Ein Rechtssatz, wonach der Rückweg unfallrechtlich immer das Schicksal des Hinweges teilt, existiert nicht.

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