Bundessozialgericht

Verhandlung B 2 U 9/17 R

Verhandlungstermin 19.06.2018 10:00 Uhr

Terminvorschau

M. K. ./. BG Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege
Die Beteiligten streiten über die Versicherungspflicht der Klägerin in der gesetzlichen Unfallversicherung nach dem SGB VII als selbstständige geistige Heilerin sowie die Festsetzung von Beiträgen. Die 1942 geborene Klägerin bezieht seit Juli 2002 eine Altersrente und betreibt seitdem selbstständig eine Praxis für "energetische Körperarbeit". Schwerpunkte der Praxis sind die Reconnective Therapy nach Herwig Schön, die russischen Heilweisen nach Gregori Grabovoi und Arkady Petrov, das Total Touch Pulsing nach Bianca Telle, Qi Gong sowie die Fernsitzung bzw Geistheilung. Durch insgesamt 11 Bescheide stellte die Beklagte zunächst ihre Zuständigkeit für das Unternehmen der Klägerin fest, veranlagte dieses nach ihrem Gefahrtarif und stellte fest, dass für die Klägerin bei der Beklagten eine Unternehmerpflichtversicherung bestehe. Weiterhin bestätigte die Beklagte die Zugehörigkeit der Klägerin als Unternehmerin und stellte die Versicherungssummen für die einzelnen Beitragsjahre fest. Schließlich veranlagte sie die Klägerin "zur Unternehmerversicherung" nach den entsprechenden Gefahrklassen und erhob Beiträge für die Jahre 2008 bis 2011 in Höhe von insgesamt 534,07 Euro. Die Beklagte wies die Widersprüche zurück.

Klage und Berufung blieben erfolglos. Das LSG hat ausgeführt, die Praxis der Klägerin für energetische Körperarbeit sei dem Gesundheitswesen im Sinne des § 2 Abs 1 Nr 9 SGB VII zuzuordnen. Ihr Unternehmen diene nach seiner Zwecksetzung der Heilbehandlung der Patienten, indem durch Übungen, Methoden und Ratschläge die Selbstheilungskräfte aktiviert werden sollten. Dies ergebe sich auch eindeutig aus dem Internetauftritt der Klägerin. Für die Zuordnung ihres Unternehmens zum Gesundheitswesen sei nicht maßgebend, dass die Behandlungen medizinisch-wissenschaftlich nicht anerkannt seien. Auch spiele es keine Rolle, dass die Klägerin behaupte, kein Heilversprechen abzugeben, denn auch bei den medizinisch-wissenschaftlich anerkannten Behandlungen verspreche der Behandelnde keinen Behandlungserfolg. Auch Hebammen, Krankenschwestern, Masseure, medizinische Bademeister und Fußpfleger, die zweifelsohne mit ihrer beruflichen Tätigkeit dem Gesundheitswesen im Sinne von § 2 Abs 1 Nr 9 SGB VII zuzurechnen seien, würden keine eigenständigen Diagnosen abgeben. Die Versicherungspflicht widerspreche auch nicht der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Erlaubnispflicht nach dem Heilpraktiker-Gesetz.

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des § 2 Abs 1 Nr 9 SGB VII.

Sozialgericht Augsburg - S 5 U 280/13
Bayerisches Landessozialgericht - L 2 U 106/14

Terminbericht

Die Revision der Klägerin hatte keinen Erfolg. Die Vorinstanzen haben zutreffend entschieden, dass die Bescheide über die Pflichtversicherung der Klägerin als Unternehmerin sowie die zu zahlenden Beiträge rechtmäßig waren.

Die Klägerin betreibt mit ihrer Praxis für energetische Körperarbeit ein Unternehmen des Gesundheitswesens nach § 2 Abs 1 Nr 9 SGB VII und ist deshalb Mitglied der Beklagten sowie als selbständige Unternehmerin (§ 136 SGB VII) iS des § 150 Abs 1 S 2 SGB VII verpflichtet, Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung zu entrichten. Nach der Rechtsprechung des Senats fallen unter den Begriff "Gesundheitswesen" Einrichtungen und Tätigkeiten, welche die Beseitigung oder Besserung eines krankhaften Zustandes oder die Pflege eines pflegebedürftigen Menschen bezwecken, ferner diejenigen, die eigens den Zweck haben, die Gesundheit des Einzelnen oder der Allgemeinheit vor unmittelbar drohenden Gefahren zu schützen, dh einer unmittelbar drohenden oder nach Lage des Falles in absehbarer Zeit zu erwartenden Schädigung der Gesundheit vorzubeugen. Dabei muss es sich um Einrichtungen und Tätigkeiten handeln, bei denen die Wahrung der Gesundheit den Hauptzweck bildet; es genügt nicht, dass ein gesundheitsfördernder bzw krankheitsverhütender Erfolg lediglich eine zwar praktisch bedeutsame, aber doch nur nebenher erzielte Begleiterscheinung ist. Nach den bindenden Feststellungen des LSG beabsichtigt die Klägerin mit den von ihr angebotenen Behandlungsmethoden primär die Heilung oder Besserung von Krankheiten. Der Senat hat keine Anhaltspunkte dafür, dass diese Behandlungsmethoden nicht auch objektiv diese Zwecke verfolgen, ohne dass damit eine inhaltliche Bewertung der Behandlungsmethoden erfolgt. Denn für die Frage, ob ein Unternehmen dem Gesundheitswesen zuzurechnen ist, kommt es nicht darauf an, ob die dort angebotenen Behandlungen nach den Regeln der ärztlichen Kunst zur Verhütung, Früherkennung und Behandlung von Krankheiten ausreichend und zweckmäßig sind. Die diesbezügliche Beschränkung in § 28 SGB V für den Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung ist Ausfluss des in § 12 Abs 1 Satz 1 SGB V verankerten Wirtschaftlichkeitsgebots und nicht übertragbar auf die gesetzliche Unfallversicherung, die Anbieter von Gesundheitsdienstleistungen zum Wohle der Allgemeinheit, die typisierend besonderen Gesundheitsgefahren wie insbesondere Ansteckungsrisiken ausgesetzt sind, im Wege eine Zwangsversicherung (auch) privilegieren. Ebenso wenig kommt es darauf an, ob die Tätigkeit einer beruflichen Zulassung bedarf oder ob der Selbständige qualitativ in der Lage ist, die Behandlungsmethoden anzuwenden. Die Entscheidung des BVerfG vom 2.3.2004 zum Umfang der gefahrpräventiven Erlaubnispflicht nach dem Heilpraktikergesetz (HPG) ist nicht auf die gesetzliche Unfallversicherung übertragbar. Grundrechte der Klägerin werden durch die Versicherungs- und Beitragspflicht nicht verletzt. Hinsichtlich der Eigentumsgarantie (Art 14 Abs 1 GG) ist keine erdrosselnde oder konfiskatorische Wirkung eines Beitrags iHv ca 137 Euro pro Jahr erkennbar, und der Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit (Art 2 Abs 1 GG) ist nicht unverhältnismäßig. Schließlich wird durch die Freistellung von selbständigen Ärzten und Heilpraktikern von der Versicherung nach § 2 Abs 1 Nr 9 SGB VII in § 4 Abs 3 SGB VII nicht der allgemeine Gleichheitsgrundsatz (Art 3 Abs 1 GG) verletzt. Ein Verstoß gegen die europarechtlich garantierte Wettbewerbsfreiheit (Art 106, 101 ff AEUV) bzw Dienstleistungsfreiheit (Art 56 AEUV) liegt in der Zwangsversicherung der Klägerin nicht, wie der Senat schon mehrfach entschieden hat.

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