Bundessozialgericht

Verhandlung B 11 AL 8/17 R

Verhandlungstermin 21.06.2018 11:00 Uhr

Terminvorschau

H. ./. Bundesagentur für Arbeit
Streitig ist ein höheres Alg unter Berücksichtigung eines fiktiven Bemessungsentgelts.

Die 1977 geborene Klägerin war nach Abschluss eines Hochschulstudiums selbstständig tätig und freiwillig weiterversichert in der Arbeitslosenversicherung. Nach der Geburt ihres Kindes bezog sie ab dem 9.9.2013 bis zum 8.11.2014 Elterngeld. Im Zeitraum vom 16.8.2014 bis 31.3.2015 (228 Tage) war sie in Teilzeit befristet beschäftigt. Während des Bezugs von Elterngeld und ihrer Beschäftigung ruhte die freiwillige Weiterversicherung; gleichzeitig setzte sie die selbstständige Tätigkeit fort. Am 7.4.2015 meldete sich die Klägerin zum 1.5.2015 bei der Beklagten arbeitslos und beantragte Alg. Die Beklagte bewilligte ab dem 1.5.2015 Alg unter Berücksichtigung des aus der Beschäftigung abgerechneten Arbeitsentgelts in Höhe von kalendertäglich 29,88 Euro für 360 Kalendertage.

Widerspruch und Klage blieben ohne Erfolg. Auf die Berufung der Klägerin hat das LSG den Gerichtsbescheid des SG aufgehoben und die Beklagte unter Abänderung der angefochtenen Bescheide verurteilt, der Klägerin Alg unter Zugrundelegung eines fiktiven Bemessungsentgelts nach der Qualifikationsgruppe 1 zu zahlen. Das LSG hat seine Entscheidung darauf gestützt, dass innerhalb eines auf zwei Jahre erweiterten Bemessungsrahmens ausschließlich der nur 143 Tage umfassende Zeitraum der versicherungspflichtigen Beschäftigung ohne zeitgleichen Elterngeldbezug (9.11.2014 bis 31.3.2015) für die Bemessung der Höhe des Alg heranzuziehen sei. Daher fehle es an den für eine reguläre Bemessung erforderlichen 150 Tagen mit Anspruch auf Arbeitsentgelt. Der vorangegangene Zeitraum der versicherungspflichtigen Beschäftigung (16.8.2014 bis 8.11.2014) müsse außer Betracht bleiben. Zwar fehle es an der von § 150 Abs 2 Satz 1 Nr 3 SGB III - neben dem Bezug von Elterngeld - vorausgesetzten betreuungs- oder erziehungsbedingten Minderung von Arbeitsentgelt oder Arbeitszeit, die auf einen Vergleich mit dem konkreten Beschäftigungsverhältnis vor Beginn der jeweiligen Elternzeit abstelle. Ausgehend von dem Zweck der Regelung müssten jedoch auch Zeiten außer Betracht bleiben, vor denen eine freiwillige Weiterversicherung bestanden habe und in denen betreuungs- oder erziehungsbedingt das Arbeitsentgelt gegenüber der - in § 345b Satz 1 Nr 2 SGB III als Arbeitsentgelt unterstellten - monatlichen Bezugsgröße vermindert war. Danach sei die Teilzeitbeschäftigung der Klägerin für die Bemessung ihres Alg nicht repräsentativ.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung von § 150 Abs 2 Satz 1 Nr 3 SGB III. Weder lägen die Voraussetzungen einer Analogie vor noch sei das vom LSG gefundene Ergebnis verfassungsrechtlich geboten.

Sozialgericht Hamburg - S 14 AL 351/15
Landessozialgericht Hamburg - L 2 AL 35/16

Terminbericht

Die zulässige Revision der Beklagten ist begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf höheres Alg nach Maßgabe eines fiktiven Bemessungsentgelts, denn als Bemessungszeitraum ist der gesamte Zeitraum der Teilzeitbeschäftigung und das darin erzielte und abgerechnete Arbeitsentgelt im Umfang von 228 Tagen zu Grunde zu legen. Eine fiktive Bemessung kommt jedoch nur in Betracht, wenn ein Bemessungszeitraum von mindestens 150 Tagen mit Anspruch auf Arbeitsentgelt innerhalb des auf zwei Jahre erweiterten Bemessungsrahmens nicht festgestellt werden kann.

Nach § 150 Abs 1 Satz 1 SGB III umfasst der Bemessungszeitraum sämtliche versicherungspflichtige Beschäftigungen. Der Zeitraum des parallelen Bezugs von Elterngeld und der Teilzeitbeschäftigung bleibt nicht nach § 150 Abs 2 Satz 1 Nr 3 SGB III außer Betracht mit der Folge, dass lediglich für 143 Tage ein Anspruch auf Arbeitsentgelt bestand und die fiktive Bemessung nach § 152 SGB III greift. Diese Sonderregelung ist nicht unmittelbar auf die Lage der Klägerin anwendbar, die bis zum Elterngeldbezug und auch in der Folgezeit selbständig tätig war. Es fehlt an einer versicherungspflichtigen Beschäftigung vor dem Elterngeldbezug, die Ausgangspunkt für eine Vergleichsbetrachtung zwischen der vor dem und einer anschließend parallel zum Elterngeldbezug ausgeübten versicherungspflichtigen Beschäftigung sein könnte.

Entgegen der Ansicht des LSG kommt eine analoge Anwendung des § 150 Abs 2 Satz 1 Nr 3 SGB III auf vor dem Elterngeldbezug selbständig Tätige nicht in Betracht, weil keine planwidrige Regelungslücke vorliegt. Die freiwillige Weiterversicherung bei selbständiger Tätigkeit in der Arbeitslosenversicherung ist anwartschaftserhaltend. Der Gesetzgeber hat jedoch nicht vorgesehen, dass das tatsächlich aus der selbständigen Tätigkeit erzielte Einkommen für die Ermittlung des Bemessungsentgelts und als Vergleichsmaßstab für die Höhe des Alg herangezogen wird. Für die unterschiedliche bemessungsrechtliche Behandlung beider Gruppen liegen hinreichende sachliche Gründe vor, die sich aus den tatsächlichen Unterschieden einer abhängigen Beschäftigung und einer selbständigen Tätigkeit sowie den Grundsätzen des Bemessungsrechts ergeben. Auch im Übrigen ergibt sich Abweichendes nicht aus Verfassungsrecht.

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