Bundessozialgericht

Verhandlung B 5 AL 1/17 R

Verhandlungstermin 28.06.2018 10:30 Uhr

Terminvorschau

T. M. ./. Bundesagentur für Arbeit
Die Beteiligten streiten über die Antrags-Pflichtversicherung des Klägers in der Arbeitslosenversicherung.

Der im Jahr 1976 geborene Kläger war vom 15.5.2007 bis 14.5.2014 bei der Philipps-Universität Marburg abhängig beschäftigt und erlangte die Habilitation. Für seine weitere Forschungstätigkeit als Privatdozent ab dem 1.6.2014 bewilligte ihm die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) mit Schreiben vom 8.7.2013 für einen Förderungszeitraum von zunächst 36 Monaten ein Heisenberg-Stipendium. Ab dem 1.6.2017 wurde das Stipendium für weitere 24 Monate verlängert. Nach den "Verwendungsrichtlinien Heisenberg-Stipendien mit Informationen für Stipendiaten und Leitfaden für Abschlussberichte" (Verwendungsrichtlinien) der DFG soll herausragenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ermöglicht werden, sich auf eine wissenschaftliche Leitungsposition vorzubereiten und in dieser Zeit weiterführende Forschungsthemen zu bearbeiten. Dabei sind die Forschungsstipendien zur Durchführung eines Forschungsprojekts eigener Wahl bestimmt. Der Kläger erhielt einen monatlichen Zuschuss von 4.553 Euro, einschließlich eines Zuschlags von 500 Euro für die Versteuerung der Einnahmen als Einkünfte aus selbstständiger Erwerbstätigkeit. Für die Publikation der wissenschaftlichen Ergebnisse des Stipendiums wurden zusätzlich 2.250 Euro als Kostenerstattung in Aussicht gestellt. Nach den Verwendungsrichtlinien kann eine (auch krankheitsbedingte) Unterbrechung der Tätigkeit eine Einstellung der Zahlungen ermöglichen. Der Kläger arbeitete ab 1.6.2014 an zwei Forschungsprojekten, insbesondere an der Recherche zu den Themen "Frühe Monumente des Mittelelbe-Saale-Gebietes in ihrem kulturellen und landschaftlichen Kontext - Studien zur Baalberger Kultur" und "Der Vulkanausbruch von Santorin in der ägäischen Spätbronzezeit -Methodische Überlegungen zur Datierung von Ereignisgeschichte in der Ur- und Frühgeschichte". Zur Aufarbeitung des Forschungsstandes zur "Baalberger Kultur" waren in erster Linie Bibliotheksrecherchen und der Besuch von Museen, Sammlungen und Depots vor allem in Sachsen-Anhalt erforderlich, um Objekte vermessen, fotografieren und zeichnen zu können. Zum Vulkanausbruch von Santorin beschränkte sich der Kläger überwiegend auf das Literaturstudium in verschiedenen Bibliotheken. Der Kläger trug seine Reisekosten selbst. Seinen Lebensunterhalt bestritt er in erster Linie aus dem Stipendium. Daneben erzielte der Kläger auch Einkünfte als Autor und Vortragender. Gewinne aus selbstständiger Tätigkeit wurden zur Einkommenssteuer in den Jahren 2014 bis 2016 veranlagt.

Im Juni 2014 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Weiterversicherung in der Arbeitslosenversicherung. Mit Bescheid vom 25.6.2014 lehnte die Beklagte den Antrag mit der Begründung ab, es liege weder eine selbstständige Tätigkeit noch eine Auslandsbeschäftigung vor. Den Widerspruch des Klägers wies die Beklagte mit der Begründung zurück, das Stipendium stelle keine selbstständige Tätigkeit dar. Weder ein Existenzgründungsstipendium noch (erst Recht) ein Forschungsstipendium erfüllten die dafür notwendigen Voraussetzungen. Der Widerspruchsbescheid vom 12.8.2014 wurde an die damaligen Prozessbevollmächtigten des Klägers adressiert. In den Verwaltungsakten wurde als Absendedatum der 11.8.2014 vermerkt. Im Computersystem der Beklagten war eine Bekanntgabe unmittelbar an den Kläger persönlich mit Versand am 12.8.2014 eingetragen. Am 17.10.2014 hat der Kläger zunächst Untätigkeitsklage erhoben und beim SG beantragt, die Beklagte zur Verbescheidung des Widerspruchs vom 10.7.2014 zu verurteilen. Mit Schreiben vom 20.10.2014 hat die Beklagte dem Prozessbevollmächtigten des Klägers den Widerspruchsbescheid vom 12.8.2014 als Duplikat übermittelt und geltend gemacht, der Widerspruchsbescheid sei am 12.8. zur Post gegeben worden. Der Kläger hat daraufhin vorgetragen, der Widerspruchsbescheid sei seinem Prozessbevollmächtigten am 29.10.2014 zugegangen. Weder er noch sein Prozessbevollmächtigter hätten den Widerspruchsbescheid zuvor erhalten.

Auf die mit Schriftsatz vom 4.11.2014 mit Einwilligung der Beklagten geänderte Klage hat das SG mit Urteil vom 22.3.2016 ohne mündliche Verhandlung die angegriffenen Bescheide der Beklagten aufgehoben und festgestellt, dass der Kläger seit dem 1.6.2014 versicherungspflichtig in der Arbeitslosenversicherung ist. Der Kläger sei seit 1.6.2014 als Archäologe in einem Umfang von mehr als 15 Wochenstunden selbstständig tätig. Er arbeite sowohl inhaltlich als auch nach den äußeren Rahmenbedingungen "völlig frei und weisungsunabhängig". Der Kläger sei weder Beschäftigter der Philipps-Universität Marburg, zu der keine rechtlichen Beziehungen mehr seit dem 15.5.2014 bestünden, noch der DFG. Diese erteile dem Kläger keine Weisungen für seine Forschungstätigkeit. Der Kläger sei auch nicht in die Arbeitsorganisation der DFG eingegliedert. Stipendiaten dürften weder von gastgebenden Forschungsinstitutionen zu Arbeiten verpflichtet werden, noch den Stipendienzweck beeinträchtigende Nebentätigkeiten ausüben. Die Tätigkeit des Klägers sei auch auf Dauer angelegt und werde in persönliche Unabhängigkeit berufsmäßig zu Erwerbszwecken ausgeübt. Der Kläger habe bereits im Jahr 2014 unmittelbar aus der Forschungstätigkeit stammende Einkünfte aus selbstständiger Erwerbstätigkeit in Höhe von 1.150 Euro erzielt. Auch seien die Zahlungen der DFG an die Erbringung der Forschungstätigkeit geknüpft. Dies ergebe sich aus den Verwendungsrichtlinien, die für den Fall einer (auch krankheitsbedingten) Unterbrechung der Tätigkeit die Einstellung der Zahlungen ermöglichten. Dem entspreche auch die steuerrechtliche Einordnung der Zahlungen aus dem Heisenberg-Stipendium als Einkünfte aus freiberuflicher (wissenschaftlicher) Tätigkeit durch die Finanzverwaltung. Auch die weiteren Voraussetzungen der Antragspflichtversicherung seien erfüllt. Mit Urteil vom 18.8.2017 hat das LSG die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen auf das Urteil des SG verwiesen. Die Beklagte wendet sich hiergegen mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision. Sie rügt, gestützt auf § 128 Abs 1 Satz 2 SGG, einen Verfahrensmangel und eine Verletzung von § 28a Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGB III.

Sozialgericht Marburg - S 2 AL 64/14
Hessisches Landessozialgericht - L 7 AL 36/16

Terminbericht

Die Revision der Beklagten war iS der Aufhebung und Zurückverweisung erfolgreich. Der Senat kann auf der Grundlage der derzeit vorliegenden Feststellungen des Tatsachengerichts nicht abschließend beurteilen, ob alle Voraussetzungen für das vom Kläger begehrte Versicherungspflichtverhältnis auf Antrag in der Arbeitslosenversicherung vorliegen. Die bisherigen Feststellungen lassen bereits keine abschließende Entscheidung darüber zu, ob einer Versicherungspflicht auf Antrag möglicherweise eine nach § 28a Abs 2 Satz 1 SGB III vorrangige Versicherungspflicht nach § 25 Abs 1 Satz 1 SGB III wegen einer entgeltlichen Beschäftigung entgegensteht.

Eine Beschäftigung im Rechtsverhältnis zur DFG kommt von vornherein deshalb nicht in Betracht, weil die Forschungstätigkeit des Klägers keine zu Erwerbszwecken ausgeübte Tätigkeit ist. Insofern kommt es für die geförderte Tätigkeit primär auf die in diesem Zusammenhang getätigten Verrichtungen an, während dem Erhalt eines Stipendiums für sich kein eigener Aussagewert zukommt. Diese Forschungstätigkeit wird nach ihrem konkreten Förderzweck nicht in der Absicht der Erzielung von Erwerbseinkommen ausgeübt, sondern ihrerseits erst durch eine altruistische Vermögensübertragung ermöglicht. Nach den Verwendungsrichtlinien der DFG soll mit dem vorliegenden Stipendium herausragenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ermöglicht werden, "sich auf eine wissenschaftliche Leitungsposition vorzubereiten" und in dieser Zeit weiterführende Forschungsthemen nach eigener Wahl zu bearbeiten. Das Stipendium dient damit der Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses und soll den Stipendiaten bei der Sicherung seines Lebensunterhaltes entlasten und eine Erwerbstätigkeit während der wissenschaftlichen Tätigkeit in Vorbereitung für die Berufung auf eine Dauer-Professur ganz oder zumindest teilweise entbehrlich machen (vgl zum Habilitationsstipendium bereits BSG Urteil vom 14.11.1978 - 7 RAr 61/77 - RdNr 18).

Es fehlen jedoch jegliche Feststellungen des LSG dazu, ob, in welcher Weise und in welchem Umfang der Kläger eine Beschäftigung gegen Arbeitsentgelt nach dem 31.5.2014 bei der Universität M ausübte. Insofern fehlt es an nachvollziehbaren Grundlagen für die Annahme des LSG, dass zwischen dem Kläger und der Universität M "keine rechtlichen Beziehungen mehr" bestanden. Scheidet eine vorrangige Versicherungspflicht aus, wird festzustellen sein, ob bei dem Kläger eine selbstständige Tätigkeit iS einer auf Dauer angelegten, in persönlicher Unabhängigkeit berufsmäßig zu Erwerbszwecken ausgeübten Tätigkeit vorliegt. Die von der DFG geförderte Forschungstätigkeit übt der Kläger - wie bereits ausgeführt - nicht zu Erwerbszwecken aus. Deshalb könnte die Versicherungspflicht auf Antrag allein in der Tätigkeit des Klägers als Autor und Vortragender eine Grundlage finden.

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