Bundessozialgericht

Verhandlung B 3 KR 20/17 R

Verhandlungstermin 04.07.2018 09:30 Uhr

Terminvorschau

GKV-Spitzenverband ./. Schiedsstelle nach §130b Abs 5 SGB V, beigeladen: 1. G. GmbH & Co KG, 2. Gemeinsamer Bundesausschuss (GBA)
Der klagende Spitzenverband Bund der Krankenkassen (GKV-Spitzenverband) wendet sich gegen einen Schiedsspruch, mit dem die beklagte Schiedsstelle nach § 130b Abs 5 SGB V einen als so genannten Mischpreis hergeleiteten, von den Krankenkassen zu zahlenden Erstattungsbetrag für das Arzneimittel Eperzan® mit dem Wirkstoff Albiglutid festsetzte. Das Arzneimittel wurde von dem zu 1. beigeladenen pharmazeutischen Unternehmen zur Behandlung von Diabetespatienten in den Verkehr gebracht. Nach einem im März/Juli 2015 ergangenen Beschluss des GBA (Beigeladener zu 2.) zur frühen Nutzenbewertung des Arzneimittels nach § 35a Abs 3 SGB V bestand ein Hinweis für einen geringen Zusatznutzen in einer von fünf Patientengruppen mit einem Teil-Patientenaufkommen in Höhe eines Mittelwertes von 35,26 %. Nach erfolglosen Preisverhandlungen beantragte der Kläger bei der beklagten Schiedsstelle die Festsetzung eines Erstattungsbetrages in Höhe von 6,7079 Euro je Bezugsgröße, die Beigeladene zu 1. die Festsetzung in Höhe von 21,41 Euro je Bezugsgröße.

Die Beklagte setzte mit Schiedsspruch vom 6.4.2016 den Erstattungsbetrag für die Zeit ab 1.10.2015 auf 20,01 Euro je Bezugsgröße fest und traf zudem Regelungen zur Bewerbung und Verordnung des Arzneimittels sowie zu besonderen Kündigungsrechten. Sie habe einen Mischpreis festgesetzt und sei dabei von einem Verordnungsumfang des Arzneimittels von 80 % in der Patientenpopulation mit einem Zusatznutzen ausgegangen. Den Zusatznutzen habe sie in dieser Patientenpopulation mit 1200 Euro angesetzt. Daneben habe sie die Preise vergleichbarer Arzneimittel in Höhe von 1326 Euro sowie die europäischen Vergleichspreise in Höhe von 1088 Euro berücksichtigt. Die Jahrestherapiekosten von Albiglutid lägen danach mit 980,10 Euro deutlich unterhalb dieser Werte.

Mit der dagegen erhobenen Klage hat der Kläger insbesondere geltend gemacht, die Beklagte sei mit der Annahme, dass 80 % der ärztlichen Verordnungen in der Patientenpopulation mit Zusatznutzen zu erwarten seien, rechtswidrig von dem GBA-Beschluss abgewichen, der auch bezüglich des festgesetzten Patientenaufkommens verbindlich sei. Das erstinstanzlich zuständige LSG Berlin-Brandenburg hat den Schiedsspruch aufgehoben: Es fehle an einer hinreichenden Begründung für die Festsetzung des Zusatznutzens auf 1200 Euro (angesichts von Kosten einer zweckmäßigen Vergleichstherapie von lediglich bis zu 252 Euro) sowie für die Prognose eines Verordnungsanteils von 80 % im Zusatznutzenbereich. Ferner sei die Bildung eines Mischpreises rechtswidrig, weil dieser die Kosten der zweckmäßigen Vergleichstherapie einerseits für Patientengruppen ohne Zusatznutzen unwirtschaftlich übersteige und andererseits bei bestehendem Zusatznutzen niedriger ausfalle als wirtschaftlich geboten und damit die Rechte des pharmazeutischen Herstellers verletze. Zudem begründe der Mischpreis nicht unerhebliche Regressrisiken für die Vertragsärzte.

Die beklagte Schiedsstelle rügt mit ihrer Revision eine Verletzung von § 130b SGB V sowie der Rahmenvereinbarung nach § 130b Abs 9 SGB V und die unzureichende Berücksichtigung ihres Beurteilungsspielraums. Ein Schiedsspruch müsse die Gründe für die Entscheidung nach ständiger Rechtsprechung des BSG (zB Urteil vom 16.7.2003 - B 6 KA 29/02 R = BSGE 91, 153 = SozR 4-2500 § 85 Nr 3) lediglich andeutungsweise erkennen lassen. Eine bestimmte Relation zwischen den Jahrestherapiekosten der zweckmäßigen Vergleichstherapie und dem Zuschlag für den Zusatznutzen sei in den einschlägigen normativen Regelungen nicht vorgesehen und könne den Besonderheiten des jeweiligen Therapiegebietes auch nicht gerecht werden. Der Kläger habe den Zusatznutzen zudem selbst mit 1000 Euro bewertet. Der Beschluss des GBA enthalte lediglich Aussagen zum Patientenaufkommen, nicht aber zum Verordnungsverhalten der Ärzte. In der Prognose von 80 % der Verordnungen im Zusatznutzenbereich liege daher keine Abweichung vom GBA-Beschluss. Wegen der gesetzlich vorgesehenen einheitlichen Abgabepreise für Arzneimittel (§ 78 AMG) sei die Festsetzung eines Mischpreises erforderlich, wenn der GBA den Zusatznutzen oder die zweckmäßige Vergleichstherapie für unterschiedliche Patientenpopulationen verschieden bewerte.

Der Kläger hält zwar das Urteil des LSG für zutreffend und den Schiedsspruch weiter für rechtswidrig. Mischpreise seien hingegen grundsätzlich zulässig und derzeit die einzige Möglichkeit, einen Erstattungsbetrag festzusetzen, wenn das Arzneimittel für mehrere Patientengruppen einen unterschiedlichen Zusatznutzen aufweise.

Die zu 1. beigeladene pharmazeutische Unternehmerin schließt sich im Wesentlichen den Ausführungen der Beklagten an.

Landessozialgericht Berlin-Brandenburg - L 9 KR 213/16 KL

Terminbericht

Der Senat hat auf die Revision der beklagten Schiedsstelle das Urteil des LSG aufgehoben und die Klage des GKV-Spitzenverbands gegen den Schiedsspruch betreffend das Arzneimittel Eperzan® (Wirkstoff Albiglutid) für die Zeit ab 1.10.2015 abgewiesen.

Gegen die Bildung eines sog Mischpreises bestehen entgegen der Ansicht des LSG keine durchgreifenden allgemeinen rechtlichen Bedenken. Denn nach dem Arzneimittelpreisrecht gilt für ein Arzneimittel grundsätzlich nur "ein" Preis und daran anknüpfend auch nur ein nach § 130b SGB V festzulegender, von den Krankenkassen zu Gunsten des betroffenen pharmazeutischen Unternehmens zu leistender Erstattungsbetrag (vgl § 78 Abs 3a AMG). Bei einer am Zusatznutzen orientierten Kalkulation ist deshalb die Bildung eines Mischpreises unerlässlich, wenn der GBA in einem Beschluss zur frühen Nutzenbewertung (§ 35a SGB V) den Zusatznutzen oder die zweckmäßige Vergleichstherapie für unterschiedliche Patientengruppen verschieden bewertet hat. Die Festsetzung eines Erstattungsbetrages erfolgt in erster Linie in einem von nur wenigen gesetzlichen Vorgaben flankierten Verhandlungsprozess. Erstattungsbeträge in Form von Mischpreisen verstoßen dabei grundsätzlich weder gegen normative Regelungen einschließlich des Wirtschaftlichkeitsgebots noch gegen Verfassungsrecht. Das in § 130b Abs 3 Satz 1 SGB V aF statuierte - inzwischen durch eine Soll-Vorschrift ersetzte - Verbot, Erstattungsbeträge festzusetzen, die die Kosten der zweckmäßigen Vergleichstherapie überschreiten, gilt nur für (hier ja gerade nicht betroffene) Arzneimittel ohne Zusatznutzen. Als Durchschnittswert, der die unterschiedlichen Nutzenbewertungen der gesamten Patientenpopulationen berücksichtigt, gleichen sich die teils zu hohen und teils zu niedrigen Erstattungsbeträge bei einer Gesamtbetrachtung im Endeffekt aus, wenn die Verteilung des Arzneimittels auf Patienten mit und ohne Zusatznutzen rechnerisch angemessen berücksichtigt wird.

Ob und unter welchen Voraussetzungen sich die verordnenden Vertragsärzte einer Regressgefahr aussetzen, wenn sie im Einzelfall ein Arzneimittel in der Patientengruppe ohne Zusatznutzen zum Mischpreis verordnen, bedarf in diesem Zusammenhang keiner Entscheidung. Denn dies hat auf die durchschnittliche Wirtschaftlichkeit des festzulegenden Mischpreises keinen Einfluss. Dass Vertragsärzte im Einzelfall das bei gleichem medizinischen Nutzen wirtschaftlichste Arzneimittel zu verordnen haben, bleibt von der Mischpreisbildung grundsätzlich unberührt.

Der hier von der beklagten Schiedsstelle konkret festgesetzte Erstattungsbetrag ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Ein Erstattungsbetrag ist nutzenadäquat festzusetzen, ohne dass das Gesetz in allen Details Vorgaben dazu enthält, nach welchen Kriterien der vom GBA festgestellte Zusatznutzen monetär zu bewerten ist. Die Schiedsstelle entscheidet nach § 130b Abs 4 Satz 2 SGB V unter freier Würdigung aller Umstände des Einzelfalls und berücksichtigt die Besonderheiten des jeweiligen Therapiegebietes, die Jahrestherapiekosten vergleichbarer Arzneimittel, die Abgabepreise in anderen europäischen Ländern sowie die weiteren Vorgaben der Rahmenvereinbarung (§ 130b Abs 9 Satz 1 bis 3 SGB V). Dieser - vor allem bei geringer Datenbasis - besonders weite Beurteilungsspielraum der Schiedsstelle wird über die genannten materiell-rechtlichen Vorgaben hinaus insbesondere durch strukturelle gesetzliche Vorgaben flankiert, nämlich die paritätische und sachkundige Besetzung der Schiedsstelle und den vorrangig zu betreibenden Einigungs- und Aushandlungsprozess. Das sich daraus ergebende Gesamtsystem bietet hinreichende Vorkehrungen gegen willkürliche Entscheidungen der Schiedsstelle.

Den normativen Vorgaben für die Bildung des Erstattungsbetrags kann jedoch nicht entnommen werden, dass der Betrag für den Zusatznutzen, für den die Beklagte hier 1200 Euro angesetzt hat, in einer bestimmten algorithmisch zu ermittelnden Relation zu den Kosten der zweckmäßigen Vergleichstherapie stehen müsste, die hier zwischen 46,27 Euro und 252 Euro lagen. Die Beklagte hat ihren Beurteilungsspielraum weder diesbezüglich überschritten, noch hinsichtlich der Prognose, dass 80 % der Verordnungen von Eperzan® in dem Bereich der Patientengruppe b1) mit Zusatznutzen erfolgen werden. Denn die Annahme, dass die Vertragsärzte ein Arzneimittel überproportional häufig solchen Patienten verordnen werden, die einer Patientengruppe mit festgestelltem Zusatznutzen zuzuordnen sind, erscheint sachgerecht und stellt keine Abweichung vom Beschluss des GBA dar, der - insoweit andere - Feststellungen allein zum Patientenaufkommen enthielt. Vor diesem Hintergrund ist auch die Begründung des Schiedsspruchs ausreichend. Diese muss die Gründe für das gefundene Ergebnis wenigstens andeutungsweise erkennen lassen (vgl insoweit allgemein bereits zB BSGE 116, 280 = SozR 4-2500 § 87a Nr 2, RdNr 60 mwN).

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