Bundessozialgericht

Verhandlung B 14 AS 1/18 R

Verhandlungstermin 09.08.2018 11:00 Uhr

Terminvorschau

D. G. ./. Jobcenter Mecklenburgische Seenplatte Nord, beigeladen: Deutsche Rentenversicherung Nord
Umstritten ist die Aufforderung zur vorzeitigen Inanspruchnahme einer Rente wegen Alters.

Der 1954 geborene Kläger erhält seit 2014 mit seiner Ehefrau Alg II. Seit August 2017 kann er vorzeitig Altersrente für langjährig Versicherte mit einem Abschlag von 9,6 % und seit Dezember 2017 Altersrente für besonders langjährig Versicherte ohne Abschlag in Anspruch nehmen. Das beklagte Jobcenter forderte den Kläger zunächst zur Beantragung der geminderten Altersrente auf und beantragte danach beim beigeladenen Rentenversicherungsträger, ihm ab August 2017 vorzeitig Altersrente zu gewähren; ein atypischer Fall, der ihre vorzeitige Inanspruchnahme als unzumutbar erscheinen ließe, liege auch im Hinblick auf die vier Monate später bestehende Möglichkeit des abschlagsfreien Bezugs von Altersrente für besonders langjährig Versicherte nicht vor. Der Kläger hat Altersrente für besonders langjährig Versicherte ab Dezember 2017 beantragt. Über beide Rentenanträge ist nach einstweiligen Rechtsschutzverfahren noch nicht entschieden.

Das SG hat die Aufforderung zur Rentenantragstellung aufgehoben. Die vorzeitige Inanspruchnahme einer Altersrente mit Abschlägen sei unbillig, weil der Kläger im Sinne von § 3 Unbilligkeitsverordnung "in nächster Zukunft" eine abschlagsfreie Altersrente beziehen könne. Bei einer Altersrente für besonders langjährig Versicherte sei das nach den vom Gesetzgeber verfolgten Zielen auch bei einer Zeitspanne von vier Monaten und nicht nur bei den im Referentenentwurf zur Unbilligkeitsverordnung angeführten drei Monaten der Fall.

Mit seiner Sprungrevision rügt der Beklagte die Verletzung von § 12a SGB II iVm § 3 Unbilligkeitsverordnung. Das SG habe entgegen der Begründung zum Referentenentwurf zu Unrecht angenommen, dass die in § 3 der Verordnung verwendete Formulierung "in nächster Zukunft" einen Zeitraum von mehr als drei Monaten umfassen könne.

Sozialgericht Neubrandenburg - S 11 AS 658/17

Terminbericht

Die Revision des Beklagten hatte keinen Erfolg. Zu Recht hat das SG seine an den Kläger gerichtete Aufforderung aufgehoben, statt der vier Monate später möglichen abschlagsfreien Altersrente für besonders langjährig Versicherte ab Vollendung des 63. Lebensjahres eine geminderte Altersrente mit einem Abschlag von 9,6 % zu beantragen.

Entgegen der Auffassung des Beklagten ist der Kläger schon wegen des geringen zeitlichen Abstands zwischen abschlagsfreier und abschlagsbehafteter Altersrente von der Verpflichtung nach § 12a Satz 2 Nr 1 SGB II befreit, mit der Vollendung des 63. Lebensjahres zur Vermeidung seiner Hilfebedürftigkeit nach dem SGB II eine geminderte Altersrente in Anspruch zu nehmen. Liegt zwischen der abschlagsbehafteten und der abschlagsfreien Altersrente ein Abstand von vier Monaten, ist der Verweis auf die Inanspruchnahme der geminderten Altersrente nach § 3 Unbilligkeitsverordnung unbillig, weil in diesem Sinne die Möglichkeit der abschlagsfreien Altersrente "in nächster Zukunft" besteht.

Mit der Freistellung von der Verpflichtung zur Inanspruchnahme einer geminderten Altersrente im Hinblick auf eine "bevorstehende abschlagsfreie Altersrente" hat der Verordnungsgeber nach seiner Regelungsintention auf das Missverhältnis zwischen der Höhe der bei vorzeitiger Inanspruchnahme hinzunehmenden Abschläge im Rentenbezug einerseits und der vergleichsweise kurzen restlichen Bezugszeit von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende bis zum Beginn der abschlagsfreien Altersrente andererseits reagiert. Daran gemessen ist eine zusätzliche Inanspruchnahme von Grundsicherungsleistungen von vier Monaten bei einer durchschnittlichen Rentenbezugsdauer von gegenwärtig nahezu 20 Jahren so kurz, dass der Verweis auf eine dauerhaft geminderte Altersrente einem Leistungsberechtigten nicht zuzumuten ist.

Dem steht nicht entgegen, dass die Zeitspanne "in nächster Zukunft" in dem vom Beklagten angeführten Referentenentwurf der Unbilligkeitsverordnung mit "längstens drei Monaten" erläutert worden ist. Die demgegenüber offene Formulierung im Verordnungstext belegt im Gegenteil, dass der Verordnungsgeber bei der Anwendung dieses Unbilligkeitsgrunds Auslegungsspielräume lassen und gerade keine strikte Zeitgrenze einführen wollte. Diese Wertentscheidung wird durch - zudem nicht notwendig öffentlich zugängliche - Äußerungen und Erwägungen im Verfahren der Verordnungsgebung, die im Normtext keinen Niederschlag gefunden haben, nicht verdrängt.

Ob der Beklagte wegen der Höhe des Rentenabschlags von 9,6 % und dem kurz darauf möglichen abschlagsfreien Rentenbezug ausgehend von seiner Rechtsauffassung das Vorliegen einer besonderen Härte zu prüfen und im Rahmen seines Ermessens bei der Aufforderung zur vorzeitigen Rentenantragstellung näher zu würdigen gehabt hätte, konnte hiernach offen bleiben.

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