Bundessozialgericht

Verhandlung B 14 AS 32/17 R

Verhandlungstermin 09.08.2018 10:00 Uhr

Terminvorschau

L. B. ./. Jobcenter Berlin Treptow-Köpenick, beigeladen: Bezirksamt Treptow-Köpenick von Berlin
Umstritten sind existenzsichernde Leistungen für einen EU-Bürger.

Der 1966 geborene Kläger ist italienischer Staatsangehöriger und hält sich nach eigenen Angaben seit 28.11.2012 in Deutschland auf. Am 15.2.2013 beantragte er beim beklagten Jobcenter Alg II. Er habe in Italien mehr als 30 Jahre gearbeitet, studiere Deutsch und suche in Deutschland Arbeit. Das Jobcenter lehnte den Antrag ab, weil er gemäß § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II von Leistungen ausgeschlossen sei.

Das SG hat den Beklagten verurteilt, dem Kläger Alg II vom 1.2 bis 31.7.2013 zu gewähren. Das LSG hat den Sozialhilfeträger beigeladen, das Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Leistungen nach dem SGB II seien nach § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II ausgeschlossen. Als Erwerbsfähiger ohne Aufenthaltsrecht habe der Kläger auch keinen Anspruch nach dem SGB XII, auch nicht vermittelt über das Europäische Fürsorgeabkommen. Der anders lautenden Rechtsprechung des BSG insbesondere zu § 21 SGB XII und § 23 SGB XII in der bis zum 28.12.2016 geltenden Fassung werde nicht gefolgt.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger die Verletzung von Art 1 Abs 1 iVm Art 20 Abs 1 GG. Nach der Rechtsprechung des BSG habe er zumindest einen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB XII. Zudem sei er entgegen der Auffassung des LSG als Arbeitsuchender anzusehen; insoweit habe das LSG gegen die Amtsermittlungspflicht verstoßen und eine Überraschungsentscheidung getroffen.

Sozialgericht Berlin - S 128 AS 7649/13
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg - L 29 AS 2670/13

Terminbericht

Die Revision des Klägers war teilweise erfolgreich. Zutreffend hat das LSG zwar entschieden, dass Ansprüche auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II nicht bestehen. Nicht schlechthin ausgeschlossen ist allerdings, dass dem Kläger Leistungen nach dem SGB XII zu gewähren sind, worüber der Senat auf Grundlage der Feststellungen des LSG nicht abschließend zu entscheiden vermag.

Dem primär verfolgten Anspruch auf Leistungen nach SGB II stehen die Leistungsausschlüsse nach § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II in der hier noch geltenden Fassung der Vorschrift vor der Änderung durch das Gesetz zur Regelung von Ansprüchen ausländischer Personen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II und in der Sozialhilfe nach dem SGB XII vom 22.12.2016 entgegen (BGBl I 3155; nachfolgend: Gesetz vom 22.12.2016). Für die ersten drei Monate des Aufenthalts in Deutschland folgt das aus § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 1 SGB II, weil er nach den Feststellungen des LSG weder über eine Freizügigkeitsberechtigung als Arbeitnehmer oder Selbständiger noch über eine entsprechende nachwirkende Freizügigkeitsberechtigung verfügte. Für den Zeitraum im Anschluss ist der Kläger von dem Leistungsausschluss von EU-Ausländern nach § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II aF erfasst, woran der Senat entgegen dem Revisionsvorbringen weiter festhält (vgl zuletzt BSG vom 30.8.2017 - B 14 AS 31/16 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 53 RdNr 21 ff; vorgesehen auch für BSGE).

In Betracht kommt jedoch die Gewährung von Leistungen durch den beigeladenen Sozialhilfeträger nach dem SGB XII ebenfalls in der Fassung vor der Neuregelung durch das Gesetz vom 22.12.2016. Auch insoweit hält das BSG an seiner Rechtsprechung fest (vgl zuletzt BSG ebenda RdNr 32 ff). Demnach unterlag der Kläger zwar dem Leistungsausschluss nach § 23 Abs 3 Satz 1 SGB XII aF. Dies gilt in Parallele zum SGB II auch für die ersten drei Monate des Aufenthalts nach der Einreise. Anderes folgt hier auch nicht aus dem Europäischen Fürsorgeabkommen, weil der Kläger nach den mit durchgreifenden Verfahrensrügen nicht angegriffenen Feststellungen des LSG mangels Arbeitsuche nicht über eine für das Gleichbehandlungsgebot erforderliche materielle Freizügigkeitsberechtigung verfügt hat.

Anders als vom LSG angenommen sind erwerbsfähige Personen jedoch nicht grundsätzlich von Leistungen nach dem SGB XII ausgeschlossen, wie der Gesetzgeber mit dem Gesetz vom 22.12.2016 bestätigt hat. In Betracht kommen vielmehr Ermessensleistungen nach § 23 Abs 1 Satz 3 SGB XII. Insoweit ist dem Senat allerdings auf der Grundlage der Feststellungen des LSG eine abschließende Entscheidung verwehrt, weil ihnen zum einen nichts zur Hilfebedürftigkeit des Klägers und zum anderen nichts dazu zu entnehmen ist, ob von dem Regelfall eines von der Ausländerbehörde faktisch geduldeten und deshalb verfestigten Aufenthalts in Deutschland nach Ablauf von sechs Monaten seit der Einreise auszugehen ist oder ob eine bereits früher oder erst später einsetzende Ermessensreduzierung auf Null in Betracht kommt.

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