Bundessozialgericht

Verhandlung B 11 AL 16/17 R

Verhandlungstermin 30.08.2018 12:00 Uhr

Terminvorschau

M. K. ./. Bundesagentur für Arbeit
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte die Gewährung von Alg wegen des Erhalts einer Entlassungsentschädigung zu Recht für den Zeitraum vom 14.5.2009 bis 31.5.2009 abgelehnt hat. Die Klägerin war seit dem 1.8.1973 durchgehend als Bankkauffrau beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete durch Aufhebungsvertrag vom 12.5.2009 zum 31.12.2009. Für den Verlust des Arbeitsplatzes erhielt sie eine Abfindung in Höhe von 191 603,39 Euro. Grundlage des Aufhebungsvertrags war eine am 8.4.2009 wegen beabsichtigter Rationalisierungsmaßnahmen geschlossene Konzernbetriebsvereinbarung zum Ausscheiden gegen Abfindungszahlung. Nach dem Arbeitsvertrag waren die Bestimmungen der für den Arbeitgeber geltenden Tarifverträge anwendbar, wonach die Klägerin nur aus wichtigem Grund oder bei Vorliegen einer Betriebsänderung kündbar gewesen ist. Die Klägerin meldete sich zum 1.1.2010 bei der Beklagten arbeitslos und beantragte Alg. Diese bewilligte Alg mit bindenden Bescheiden erst ab dem 23.10.2010; der Anspruch ruhe vom 1.1.2010 bis 22.10.2010 wegen der Entlassungsentschädigung unter Berücksichtigung einer nicht eingehaltenen - fiktiven - Kündigungsfrist von 18 Monaten. Seit dem 1.6.2010 ist die Klägerin selbstständig tätig.

Einen Überprüfungsantrag der Klägerin, mit dem Ziel, Alg ohne Berücksichtigung eines Ruhenszeitraums zu erlangen, lehnte die Beklagte ab, weil weder von einem unzutreffenden Sachverhalt ausgegangen noch das Recht falsch angewandt worden sei. Das SG hat die Beklagte - dem Klageantrag im Wesentlichen entsprechend - verurteilt, den streitgegenständlichen Bescheid insoweit aufzuheben, als für den Zeitraum vom 13.5.2010 bis zum 22.10.2010 das Ruhen des Anspruchs auf Zahlung von Alg festgestellt wurde. Der Ruhenszeitraum ende mit dem 12.5.2010. § 143a Abs 1 Satz 4 SGB III aF fingiere eine Kündigungsfrist von einem Jahr, wenn dem Arbeitnehmer - wie hier - nur bei Zahlung einer Entlassungsentschädigung ordentlich gekündigt werden könne. Die Berufung der Beklagten blieb erfolglos.

Mit ihrer vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte neben Verfahrensmängeln eine Verletzung von § 143a Abs 1 Satz 3 Nr 1 SGB III aF. Die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber sei auch dann "zeitlich unbegrenzt ausgeschlossen" und es gelte deshalb die fiktive Kündigungsfrist von 18 Monaten, wenn die ordentliche Kündigungsmöglichkeit für den Arbeitgeber - zeitlich unbeschränkt - ausgeschlossen gewesen sei und eine zum Wiederaufleben der ordentlichen Kündbarkeit des Arbeitnehmers führende Betriebsänderung noch nicht vorliege. Außerdem genüge es zur Anwendung von § 143a Abs 1 Satz 4 SGB III aF nicht, dass das Arbeitsverhältnis bei Zahlung einer Abfindung einvernehmlich beendet werden könne, sondern es sei erforderlich, dass es nur bei Zahlung einer Abfindung, Entschädigung oder ähnlichen Leistung gekündigt werden könne.

Sozialgericht Lübeck - S 47 AL 178/11
Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht - L 3 AL 23/14

Terminbericht

Die zulässige Revision der Beklagten hatte Erfolg. Es besteht kein Anspruch der Klägerin auf die teilweise Rücknahme des bindenden Bescheides vom 17.2.2010 und deshalb auch kein Anspruch auf weiteres Alg, denn der Anspruch der Klägerin auf Alg hat im streitigen Zeitraum vom 15.5.2010 bis 31.5.2010 wegen der Abfindung geruht.

Ein Ruhen nach der Grundregel § 143a Abs 1 Satz 1 SGB III aF kommt zwar nicht in Betracht. Die maßgebende Kündigungsfrist - eine ordentliche Kündigungsmöglichkeit unterstellt - hat nach dem aufgrund einer arbeitsvertraglichen Bezugnahme anwendbaren Manteltarifvertrag sechs Monate zum Quartalsende betragen. Das Arbeitsverhältnis der Klägerin ist durch den Aufhebungsvertag vom 12.5.2009 zum 31.12.2009 unter Einhaltung dieser Frist beendet worden. Doch bestimmt § 143a Abs 1 Satz 3 Nr 1 SGB III aF, dass bei einem zeitlich unbegrenzten Ausschluss der ordentlichen Kündigung im Rahmen der Anwendung von § 143a Abs 1 Satz 1 SGB III eine fiktive Kündigungsfrist von 18 Monaten zu berücksichtigen ist. Dieser Fall liegt hier vor.

Entgegen der Auffassung der Vorinstanzen gilt keine Kündigungsfrist von (nur) einem Jahr gemäß § 143a Abs 1 Satz 4 SGB III aF. Aufgrund der von der Rechtsprechung geforderten fallbezogenen Betrachtungsweise ist entscheidend, ob ganz konkret die Möglichkeit zur ordentlichen Kündigung nur bei Abfindung bestanden hat. Denn die Frist von einem Jahr beruht auf dem Gedanken, dass der kündigungsrechtliche Status des Arbeitnehmers, dem nur bei Zahlung einer Abfindung ordentlich gekündigt werden kann, schwächer ist als bei unbegrenztem Ausschluss der Kündigung, aber stärker als bei ordentlicher Kündbarkeit. Deshalb ist die Annahme eines solchen geschwächten Kündigungsschutzes nur gerechtfertigt, wenn die Kündigungsmöglichkeit bereits konkret eröffnet ist. Vorliegend bestand im Jahr 2010 keine Kündigungsmöglichkeit gegenüber der Klägerin. Allein die Möglichkeit, auf betriebsverfassungsrechtlicher Grundlage gegen eine nicht unerhebliche Abfindung ausscheiden zu können, begründet nicht bereits ein Recht des Arbeitgebers, unter Zahlung der vorgesehen Abfindung auch kündigen zu dürfen.

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