Bundessozialgericht

Verhandlung B 2 U 10/17 R

Verhandlungstermin 06.09.2018 12:00 Uhr

Terminvorschau

J.U. ./. BG Holz und Metall
Zwischen den Beteiligten ist die Feststellung einer BK Nr 2108 im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens nach § 44 SGB X streitig. Der im Jahre 1955 geborene Kläger war nach seiner Ausbildung als Maschinenschlosser, anschließend überwiegend als Zweiradmechaniker bei verschiedenen Firmen beschäftigt. Danach arbeitete er mit Unterbrechungen als Elektromechaniker, mitarbeitender Abteilungsleiter sowie als Haustechniker, als Aufzug- und Fördertechnikmonteur und in einem Autohaus. 1998 beantragte er bei der Beklagten die Anerkennung einer BK Nr 2108, nachdem im März 1998 ein Bandscheibenvorfall zwischen dem 4. und 5. Lendenwirbelkörper aufgetreten war. Die Beklagte lehnte die Anerkennung 1998 ab. Das SG wies 2004 die Klage hiergegen mit Gerichtsbescheid ab, die Berufung zum LSG blieb erfolglos. 2010 stellte der Kläger einen Überprüfungsantrag bei der Beklagten. Die Beklagte lehnte eine Rücknahme ihrer Bescheide ab. Klage und Berufung hiergegen blieben ohne Erfolg.

Das LSG hat ausgeführt, die Beklagte habe das Recht bei Erlass der ablehnenden Bescheide richtig angewandt. Der Kläger leide an einer bandscheibenbedingten LWS-Erkrankung. Das Erkrankungsbild sei geprägt durch zwei Bandscheibenvorfälle in den Segmenten L4/5 und L5/S1, wobei es sich um einen die Altersnorm überschreitenden krankhaften Befund handele. Auch erfülle der Kläger die arbeitstechnischen Voraussetzungen. Er habe einer Gesamtbelastungsdosis in Höhe von 17,3 MNh unterlegen, womit der vom BSG festgelegte untere Grenzwert von 12,5 MNh überschritten werde. Insgesamt überwögen aber die für einen wesentlichen beruflichen Zusammenhang sprechenden medizinischen Gründe unter Berücksichtigung der einschlägigen Konstellationen der Konsensempfehlungen nicht deutlich, sodass ein wesentlich beruflicher Entstehungszusammenhang der bandscheibenbedingten LWS-Erkrankung nicht mit Wahrscheinlichkeit festzustellen sei. Da beim Kläger die beiden unteren LWS-Segmente betroffen seien, sei dies nach Ziffer 1.4 der Konsensempfehlung zunächst mit einem beruflichen Zusammenhang vereinbar. Die B-Konstellationen der Konsensempfehlungen lägen aber nicht vor. Die B1-Konstellation komme nicht in Betracht, weil sie eine Begleitspondylose voraussetze. Die Voraussetzungen der Konstellation B2 lägen ebenfalls nicht vor, weil der Kläger keines der beim Fehlen einer Begleitspondylose geforderten Zusatzkriterien erfülle. Das dritte Zusatzkriterium fordere, dass der Kläger die "Hälfte der Tagesdosis von 6 KN" allein durch die Einwirkung hoher Spitzenbelastungen erreicht habe. Hierfür fehle es an der notwendigen Regelmäßigkeit, weil der Kläger die Belastung nur an ein bis zwei Tagen monatlich erreicht habe. Eine Belastung an nur wenigen Tagen im Monat sei nicht ausreichend, um einen beruflichen Zusammenhang mit Wahrscheinlichkeit begründen zu können. Auch die Rechtsprechung des BSG knüpfe, wenn auch in anderem Zusammenhang, an das Erfordernis der Regelmäßigkeit der Hebe- und Tragebelastung an und fordere unter Hinweis auf das Ärztliche Merkblatt zur BK Nr 2108 mindestens 60 Arbeitsschichten pro Jahr. Es bedürfe keiner weiteren Aufklärung, ob die vom Kläger berechneten 616 Tage mit hohen Belastungsspitzen vorlägen, denn selbst dann werde die Zahl von mindestens 60 Schichten im Sinne des dritten Zusatzkriteriums nicht erreicht. Der Kläger habe auch keiner besonders intensiven Belastung im Sinne des zweiten Zusatzkriteriums der Konstellation B2 durch das Erreichen des Richtwertes für die Lebensdosis in weniger als zehn Jahren unterlegen. Selbst im 13-Jahres-Zeitraum der höchsten Hebe- und Tragebelastung habe die Exposition des Klägers mit 11,1 MNh deutlich unterhalb eines reduzierten Orientierungswerts von 12,5 MNh gelegen. Schließlich erfülle der Kläger auch nicht die Voraussetzungen des ersten Zusatzkriteriums der Konstellation B2, weil lediglich zwei Segmente L4/5 und L5/S1 durch Bandscheibenvorfälle betroffen seien. Ein bisegmentaler Bandscheibenschaden sei nicht als Höhenminderung und/oder Prolaps an mehreren Bandscheiben im Sinne der B2-Konstellation anzusehen. Der bisegmentale Bandscheibenschaden sei in der B-Konstellation geregelt. Er erfordere aber das Bestehen einer Begleitspondylose, die beim Kläger nicht vorliege. Der beim Kläger festgestellte Bandscheibenschaden an beiden unteren LWS-Segmenten unterfalle der Konstellation B3, für die die Konsensarbeitsgruppe kein Einvernehmen erzielt habe. Auch die vom BSG für die Konstellation B3 geforderte Einzelfallprüfung mit Bewertung aller relevanten Kriterien führe nicht zu einer positiven Entscheidung.

Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Revision. Er rügt eine Verletzung des § 9 SGB VII.

Sozialgericht Frankfurt am Main - S 23 U 65/11
Hessisches Landessozialgericht - L 3 U 76/13

Terminbericht

Die Revision des Klägers war im Sinn der Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an das LSG begründet. Aufgrund der tatsächlichen Feststellungen des LSG kann das BSG nicht abschließend darüber befinden, ob die Beklagte im Jahre 1998 die Feststellung einer BK gemäß § 9 Abs 1 SGB VII iVm Nr 2108 der Anlage zur BKV zu Recht abgelehnt hat und dem Kläger deswegen Sozialleistungen zu Unrecht nicht bewilligt wurden (§ 44 Abs 1 SGB X). Zwar unterlag der Kläger bei der Ausübung seiner versicherten Beschäftigung einer kumulativen Einwirkungsbelastung durch Hebe- und Tragevorgänge von 17,3 x 106 Nh die nach der durch die Rechtsprechung des Senats geforderten modifizierten Anwendung des Mainz-Dortmunder-Dosismodells generell geeignet sind, bandscheibenbedingte Schäden der Wirbelsäule zu verursachen. Die Einwirkungen erfolgten auch langjährig, jedoch kann anhand der Feststellungen des LSG schon nicht entschieden werden, ob die erforderliche Regelmäßigkeit der Einwirkungen (Anhaltspunkt ca 60 Schichten pro Jahr) gegeben ist, weil sich die Feststellungen des LSG zur Regelmäßigkeit alleine auf das Erreichen der Belastungsspitzen iS der Konstellation B 2 3. Spiegelstrich der Konsensempfehlungen beziehen.

Anhand der Feststellungen des LSG lässt sich jedoch insbesondere nicht entscheiden, ob die arbeitsmedizinischen Voraussetzungen für den erforderlichen Ursachenzusammenhang zwischen den gefährdenden Einwirkungen iS der BK 2108 und der bindend festgestellten bisegmentalen Bandscheibenerkrankung des Klägers bestehen. Die Konsensempfehlungen aus dem Jahre 2005 stellen nach wie vor eine hinreichende Grundlage für die Bestimmung des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstands dar. Dieser ist auch bei der Überprüfung von Verwaltungsakten , die vor Veröffentlichung der Konsensempfehlungen im Jahre 2005 erlassen wurden, maßgeblich, wenn - wie hier - der aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisstand nur abbildet, was bereits vorher in der Realität vorhanden war. Der Senat überprüft als Revisionsgericht dabei die korrekte Zuordnung des Sachverhalts durch das LSG unter die Konsensempfehlungen als verdichteten einschlägigen wissenschaftlichen Erkenntnisstand. Die Ausführungen des LSG, das Schadensbild entspreche mangels Begleitspondylose nicht der Konstellation B 1 der Konsensempfehlungen, ist nicht zu beanstanden. Ebenso wenig zu beanstanden ist die Ablehnung der Konstellation "B 2", 2. Spiegelstrich - 2. Zusatzkriterium - bei einem erreichten Wert von 11 MNh innerhalb von 10 Jahren. Dieser Wert liegt noch unter den nach der Rechtsprechung des Senats als Mindestgesamtbelastungsdosis vorauszusetzenden 12,5 MNh. Sofern das LSG allerdings die Befundkonstellation "B 2", 3. Spiegelstrich - 3. Zusatzkriterium „besonderes Gefährdungspotenzial durch hohe Belastungsspitzen", mit der Begründung, dass die geforderten Belastungsspitzen iH von 6 kN nicht mit der erforderlichen Regelmäßigkeit erfolgt seien, abgelehnt hat, wendet es insoweit einen wissenschaftlichen Erfahrungssatz an, der sich zumindest dem Text der Konsensempfehlungen nicht entnehmen lässt, weil dort von einer "Regelmäßigkeit" nicht die Rede ist. Das LSG wird daher zB durch Einholen einer ergänzenden Stellungnahme eines Sachverständigen zu klären haben, ob seine Auffassung zu der Befundkonstellation "B 2", 3. Spiegelstrich - 3. Zusatzkriterium dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand entspricht, weil sich aus dem Gesamtzusammenhang der Konsensempfehlungen und der hierzu veröffentlichten Literatur die vom LSG hier zusätzlich geforderte Regelmäßigkeit der Belastungen bislang nicht ergibt. Besteht insofern ein - vom LSG noch festzustellender - wissenschaftlicher Erfahrungssatz, so wäre ein Sachverständiger ggf weiter dazu zu befragen, welche Frequenz die ggf geforderte Häufigkeit der Belastungsspitzen voraussetzt und ob auch diese Auffassung dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand entspricht. Zum anderen erscheint der vom LSG zugrunde gelegte hälftige Tagesdosisrichtwert schon rechnerisch problematisch: Dieses Zusatzkriterium gibt lediglich vor, dass das Mindestgewicht, das angehoben werden muss, mindestens 6 kN beträgt. Die nach dem MDD erforderliche Mindesttagesdosis beträgt demgegenüber 5,5 kNh, weshalb bei Männern 2,75 kNh durch Heben und Tragen von Gewichten mit einer Druckkraft von mindestens 6 kN erreicht sein müssen. Schließlich hat das LSG auch insofern verfahrensfehlerhaft gehandelt, als es zu der Auslegung gelangt ist, dass die Befundkonstellation "B 2", 1. Spiegelstrich - 1. Zusatzkriterium - 1. Alt die Schädigung von mindestens 3 Bandscheiben voraussetzt. Auch hierzu hätte das LSG feststellen müssen, dass das Erfordernis der Schädigung von mindestens drei Bandscheiben einem wissenschaftlichen Erfahrungssatz entspricht und spezifisch hierzu Sachverständige befragen müssen (vgl hierzu das Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen in dem unter 4. berichteten Rechtsstreit).

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