Bundessozialgericht

Verhandlung B 2 U 13/17 R

Verhandlungstermin 06.09.2018 13:00 Uhr

Terminvorschau

M. K. ./. BG Handel und Warenlogistik
Streitig ist auch hier die Anerkennung einer BK Nr 2108. Der 1964 geborene Kläger ist gelernter Schlosser bzw Schmied und war als Schlosser im Fahrzeugbau tätig. Danach arbeitete er als Fuhrparkmitarbeiter und in der Verwaltung; zuletzt war er für eine Transfergesellschaft tätig. 2011 zeigte die behandelnde Ärztin den Verdacht einer BK an, weil beim Kläger seit Jahren Beschwerden im LWS-Bereich bestünden. Im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren wurden mehrere Gutachten und wissenschaftliche Stellungnahmen, auch von Mitgliedern der Konsensarbeitsgruppe, eingeholt. Die Beklagte lehnte das Vorliegen einer BK 2108 ab, weil kein belastungskonformes Schadensbild vorliege. Das SG hat die Klage abgewiesen, das LSG die Berufung zurückgewiesen Der Kläger leide an einer bandscheibenbedingten Erkrankung im Sinne der BK 2108. Die bandscheibenbedingte Erkrankung des Klägers könne aber nicht mit Wahrscheinlichkeit auf seine beruflichen Belastungen zurückgeführt werden. Die Erfüllung der arbeitstechnischen Voraussetzungen und das Vorliegen einer bandscheibenbedingten Erkrankung allein könnten die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines wesentlichen Kausalzusammenhangs der bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS mit beruflichen Einwirkungen nicht begründen, weil in der medizinischen Wissenschaft anerkannt sei, dass Bandscheibenschäden insbesondere der unteren LWS in allen Altersgruppen, sozialen Schichten und Berufsgruppen vorkämen. Wegen der Schwierigkeiten bei der Beurteilung des Ursachenzusammenhangs im Rahmen der BK 2108 habe die Wissenschaft die sog Konsensempfehlungen erarbeitet, die nach wie vor den aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft zur Verursachung von Erkrankungen der LWS durch körperliche berufliche Belastungen wiedergäben. Bei dem Kläger habe ein bisegmentaler Schaden an der unteren LWS (L4/L5 und L5/S1) mit einer Chondrose Grad II bzw einem Bandscheibenvorfall ohne Begleitspondylose, ohne "black disc" im MRT in mindestens zwei angrenzenden Segmenten sowie ein schwächer ausgeprägter Bandscheibenschaden an der HWS vorgelegen. Hierbei handele es sich nicht um eine typische Fallkonstellation, bei der die Konsensarbeitsgruppe einen Zusammenhang zwischen beruflichen Belastungen und einer bandscheibenbedingten Erkrankung als wahrscheinlich angenommen habe Die Grundvoraussetzungen der B-Konstellationen - bandscheibenbedingte Erkrankung betrifft die Segmente L5/S1 und/oder L4/L5 und Ausprägung als Chondrose Grad II oder höher - seien erfüllt. Die Annahme der Konstellation B1 scheitere daran, dass keine Begleitspondylosen vorlägen. Auch die Konstellation B2 liege nicht vor. Die arbeitstechnischen Zusatzkriterien 2 und 3 seien nicht erfüllt. Entgegen der Ansicht einer der Sachverständigen, auf die sich der Kläger stütze, könne auch nicht vom Vorliegen des ersten Zusatzkriteriums der Konstellation B2 ausgegangen werden. Die 2. Alternative dieses ersten Zusatzkriteriums scheide hier mangels "black disc"-Veränderungen aus. Auch die 1. Alternative des Zusatzkriteriums 1 liege nicht vor. Denn ein bisegmentaler Bandscheibenschaden an den unteren beiden LWS-Segmenten erfülle nur die Grundvoraussetzungen sämtlicher mit dem Buchstaben B beginnender Konstellationen. Dies ergebe sich aus den im gerichtlichen Verfahren eingereichten Stellungnahmen mehrerer Sachverständiger. In Übereinstimmung mit diesen Ärzten und der Rechtsprechung des Hessischen und des Bayerischen LSG müssten bei der 1. Alternative des ersten Zusatzkriteriums der Konstellation B2 "Höhenminderung und/oder Prolaps an mehreren Bandscheiben" mindestens drei Bandscheiben betroffen sein. Hierfür spreche schon die Systematik der in den Konsensempfehlungen definierten Fallkonstellationen. Denn bereits nach den Grundvoraussetzungen aller B-Konstellationen werde eine bandscheibenbedingte Erkrankung an einer oder zwei Bandscheiben vorausgesetzt, sodass das Zusatzkriterium "mehrere" Bandscheiben nur bedeuten könne, dass mindestens drei Segmente betroffen sein müssen. Auch wäre ansonsten schon beim Vorliegen der Grundkonstellation B2, wenn L5/S1 und L4/L5 betroffen wären, immer die 1. Alternative des ersten Zusatzkriteriums erfüllt und es hätte dann der ausdrücklichen Einbeziehung "mehrerer Bandscheiben" gar nicht bedurft. Die Konstellation, in der lediglich ein mono- oder bisegmentaler Schaden an den beiden unteren LWS-Segmenten vorliege und weder eine Begleitspondylose noch ein Zusatzkriterium festzustellen sei, entspreche der Konstellation B3, bei der es keinen Konsens unter den Teilnehmern der Arbeitsgruppe gegeben habe. Dass über die Zuordnung auch des bisegmentalen Schadens zur Konstellation B3 unter den Autoren der Konsensempfehlungen Einigkeit bestanden habe, lasse sich unmittelbar aus den "Anmerkungen zu den nicht im Konsens beurteilten Fallkonstellationen" ablesen. Die im gerichtlichen Verfahren eingereichten Stellungnahmen zahlreicher Sachverständiger belegten, dass sich bis heute jedenfalls keine hiervon abweichende herrschende Auffassung in der medizinischen Wissenschaft gebildet habe. Somit komme vorliegend nur noch die Konstellation B3 in Betracht. Hier sei festzustellen, ob nach dem neuesten medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisstand Umstände vorlägen, die ausnahmsweise trotz Fehlens der B2-Zusatzkriterien der Konsensempfehlungen den Verursachungszusammenhang zwischen beruflichen Einwirkungen und LWS-Schaden stützten. Dies sei hier aber nicht der Fall.

Die Revision rügt eine Verletzung des § 9 SGB VII. Das LSG habe mit seiner Auslegung und Interpretation der Konsensempfehlungen die Kategorien juristischen und naturwissenschaftlich- medizinischen Denkens verwechselt.

Sozialgericht Münster - S 10 U 428/12
Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen - L 17 U 275/14

Terminbericht

Die Revision des Klägers war erfolglos. Zu Recht haben die Vorinstanzen entschieden, dass der Kläger die Voraussetzungen einer BK gem § 9 Abs 1 SGB VII iVm Nr 2108 der Anlage zur BKV nicht erfüllt. Nach den bindenden Feststellungen des LSG unterlag der Kläger bei seinen versicherten Beschäftigungen einer kumulativen Einwirkungsbelastung durch Hebe- und Tragevorgänge von 19,6 x 106 Nh, die nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats unter modifizierter Anwendung des Mainz-Dortmunder-Dosismodells generell geeignet sind, bandscheibenbedingte Schäden der Wirbelsäule zu verursachen. Die Einwirkungen erfolgten auch langjährig. Es kann dahinstehen, ob das Erfordernis der Regelmäßigkeit erfüllt ist, weil das LSG in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise das Vorliegen der arbeitsmedizinischen Voraussetzungen für die Bejahung des Ursachenzusammenhangs zwischen den gefährdenden Einwirkungen iS der BK 2108 und der bindend festgestellten bisegmentalen Bandscheibenerkrankung verneint hat. Die Konsensempfehlungen aus dem Jahre 2005 stellen nach wie vor eine hinreichende Grundlage für die Bestimmung des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstands dar. Der Senat überprüft als Revisionsgericht dabei die korrekte Zuordnung des Sachverhalts durch das LSG unter die Konsensempfehlungen als verdichteten einschlägigen wissenschaftlichen Erkenntnisstand. Die Auffassung des LSG, das bisegmentale Schadensbild entspreche mangels festgestellter Begleitspondylose nicht der Konstellation B 1 der Konsensempfehlungen, ist nicht zu beanstanden. Dies gilt auch für die Ablehnung der Befundkonstellation "B 2", 1. Spiegelstrich - 1. Zusatzkriterium - 1. Alt ("Höhenminderung und/oder Prolaps an mehreren Bandscheiben"), die nach Auffassung des Berufungsgerichts die Schädigung von mindestens drei Bandscheiben voraussetzt. Den allgemeinen Erfahrungssatz, dass hierfür Schäden an mindestens drei Bandscheiben vorliegen müssen, hat das LSG durch Anhörung von Sachverständigen gewonnen, die es ausdrücklich dazu befragt hat, welche Interpretation des Kriteriums an "mehreren" Bandscheiben der aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnislage entspreche. Dass auch andere Auffassungen hierzu vertreten werden, nach denen bereits ein bisegmentaler Schaden zur Erfüllung dieses Zusatzkriteriums ausreicht, vermag nichts daran zu ändern, dass das LSG einen jedenfalls nicht offensichtlich falschen - und damit revisionsrechtlich hinzunehmenden - wissenschaftlichen Erfahrungssatz ermittelt hat. Anhaltspunkte dafür, dass die Ablehnung der übrigen B 2-Zusatzkriterien offensichtlich zu Unrecht erfolgte, bestehen ebenfalls nicht.

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