Bundessozialgericht

Verhandlung B 2 U 16/17 R

Verhandlungstermin 06.09.2018 11:00 Uhr

Terminvorschau

M.F. ./. BG Verkehrswirtschaft Post-Logistik Telekommunikation (BG Verkehr)
Die Beteiligten streiten über die Feststellung von Funktionseinschränkungen als Folgen eines Arbeitsunfalls und die Zahlung von Verletztengeld.

Der in einer Spedition beschäftigte Kläger wurde von einem Hubwagen angefahren und erlitt ein Anpralltrauma des rechten Handgelenks mit einer Schürfung am ellenseitigen Handgelenk. Er begab sich in Behandlung des Durchgangsarztes Dr. A. Dort wurde am rechten Handgelenk eine 2 mal 2 cm große Schürfwunde ellenseitig rechts, aber weder eine Fraktur noch eine Weichteil- oder Bänderverletzung, sondern lediglich eine anlagebedingte Fehlstellung der distalen Elle bzw eine Subluxation der Elle festgestellt. Danach wurde der Kläger vom Durchgangsarzt Dr. S. untersucht, der in seinem Bericht an die Beklagte ausführte, die vom Kläger vorgetragenen erheblichen Schmerzen sowie die glaubhafte Versicherung, dass die Beschwerden vor dem Unfall nicht bestanden hätten, ließen trotz des MRT-Befunds an ein frisches Ereignis mit Unfallzusammenhang glauben. Deshalb halte er die probatorische Transfixation der Elle mit Stellschraube für vier bis sechs Wochen zu Lasten der gesetzlichen Unfallversicherung für indiziert. Der Kläger solle sich zur sofortigen Operation im Krankenhaus N. vorstellen. Im Krankenhaus N. sah Dr. L. hingegen keine Operationsindikation, sondern regte eine Vorstellung in der Unfallbehandlungsstelle B. an. Der in dieser Unfallbehandlungsstelle tätige Durchgangsarzt Dr. H. schlug zunächst eine Arthroskopie des rechten Handgelenks zur Beurteilung der Verletzungsfolgen vor. Dr. S. operierte sodann den Kläger ohne diese vorherige diagnostische Arthroskopie. Die Beklagte erkannte das Ereignis als Arbeitsunfall an und stellte eine unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit und Behandlungsbedürftigkeit wegen der Handgelenksprellung mit Verschlechterung einer vorbestehenden Subluxationsstellung im distalen Radio-Ulnar-Gelenk (DRUG) der Elle fest. Darüber hinausgehende Ansprüche lehnte sie ab, weil die diagnostizierte Subluxationsstellung der distalen Elle keine Unfallfolge sei. Das SG hat hingegen festgestellt, die genannten Schäden seien als Folgen einer Heilbehandlung gemäß § 11 Abs 1 Nr 1 SGB VII Folgen des anerkannten Unfalles und daher weiteres Verletztengeld zu zahlen. Es komme nicht darauf an, ob objektiv eine Behandlung unfallbedingt notwendig gewesen sei. Maßgebend sei, ob sich nach den objektiven Umständen die Behandlung als Akt der Beklagten darstelle. Hierfür genüge es, dass der Durchgangsarzt Dr. S. dem Kläger zu verstehen gegeben habe, dass er von einer Behandlungsnotwendigkeit aufgrund des Unfalles ausgehe. Damit habe Dr. S. den Anschein erweckt, die Behandlung sei unfallbedingt durchzuführen. Auf die Berufung der Beklagten hat das LSG das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ua ausgeführt, die beklagten gesundheitlichen Zustände seien nicht auf das als Arbeitsunfall anerkannte Ereignis zurückzuführen. Es habe bereits vor der Operation eine habituelle, unfallfremde Subluxationsstellung vorgelegen. Der Zustand nach Reposition und Transfixation der Elle rechts sei nicht durch den unfallbedingten Gesundheitsschaden der Handgelenksprellung verursacht worden. Diese Gesundheitsschäden seien auch nicht durch eine Heilbehandlung iS des § 11 Abs 1 Nr 1 SGB VII oder eine zur Aufklärung des Sachverhaltes angeordneten Untersuchung iS des § 11 Abs 1 Nr 3 SGB VII verursacht worden. Es sei ein anlagebedingter und damit nicht unfallbedingter Gesundheitsschaden operiert worden. Die Folgen der Behandlung eines solchen, objektiv nicht dem Unfall zurechenbaren Gesundheitsschadens könnten niemals gemäß § 11 SGB VII dem Unfall zugerechnet werden. Es komme deshalb hier auch nicht darauf an, ob der Kläger darauf habe vertrauen dürfen, dass es sich bei der Operation um eine von der Beklagten veranlasste Heilbehandlung iS des § 11 Abs 1 Nr 1 SGB VII gehandelt habe, weshalb Dr. S. nicht gehört werden müsse. Die bloße irrige Vorstellung des Versicherten, er nehme an einer solchen Maßnahme teil, könne nicht dazu führen, Folgen der Behandlung eines objektiv anlagebedingten Schadens dem Unfall zuzurechnen.

Mit seiner Revision rügt der Kläger die Verletzung des § 11 SGB VII. Die Operation sei eine Heilbehandlung iS des § 11 Abs 1 Nr 1 SGB VII gewesen und Ursache der streitgegenständlichen Unfallfolgen. Es sei für die Annahme einer mittelbaren Unfallfolge iS des § 11 SGB VII gerade nicht notwendig, dass ein Versicherungsfall objektiv vorgelegen habe. Es komme vielmehr darauf an, ob er darauf habe vertrauen dürfen, dass es sich bei der Operation um eine notwendige, von der Beklagten veranlasste Heilbehandlung gehandelt habe. Die Beklagte habe durch den Durchgangsarzt Dr. S. ihm gegenüber den Anschein begründet, der Eingriff erfolge zur Behandlung von Unfallfolgen.

Vorinstanzen:
Sozialgericht Berlin - S 678 U 817/13, 23.09.2015
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg - L 3 U 176/15, 02.03.2017

Terminbericht

Die Revision des Klägers war im Sinn der Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an das LSG begründet. Das BSG konnte auf Grundlage der Feststellungen des LSG nicht entscheiden, ob die aus dem Eingriff durch Dr. S. entstandenen Gesundheitsschäden als mittelbare Gesundheitsfolgen nach § 11 SGB VII festzustellen waren. Entgegen der Rechtsansicht des LSG scheidet eine Zurechnung nicht schon deswegen aus, weil feststeht, dass die Operation durch Dr. S. lediglich zur Behebung von anlagebedingten Schäden erfolgte, die objektiv nicht auf den anerkannten Arbeitsunfall zurückzuführen waren. Der Senat hält an seiner Rechtsprechung fest, dass auch objektiv nicht durch den Unfall bedingte Heilbehandlungen den Tatbestand des § 11 Nr 1 (oder ggf Nr 3) SGB VII auslösen können, soweit ein Durchgangsarzt (D-Arzt) gegenüber dem Versicherten eindeutig und klar zu erkennen gibt, dass es sich bei dem Eingriff um eine Heilbehandlungsmaßnahme zu Lasten der Gesetzlichen Unfallversicherung aufgrund eines Arbeitsunfalls handelt. Dem D-Arzt kommt damit die Stellung eines Amtswalters der Beklagten zu, der verbindlich für die Beklagte den Behandlungs- und Untersuchungsanspruch des Verletzten konkretisiert und für dessen Fehler die Beklagte ggf zu haften hat (vgl BGH vom 29.11.2016, VI ZR 208/15, BGHZ 213, 120). Dem korrespondierend darf der Verletzte, der sich zumeist in einem akuten, emotional aufgeladenen Krankheitsgeschehen befinden und selbst die medizinischen Fragen nicht überblicken wird, grundsätzlich auf die Angaben des D-Arztes vertrauen. Im vorliegenden Fall lagen jedoch Umstände vor, die geeignet erscheinen, das grundsätzlich aufgrund der Anordnungen eines D-Arztes zu unterstellende Vertrauen des Klägers, er werde aufgrund seines Arbeitsunfalles behandelt, zu erschüttern. Diesen Umständen ist das LSG - von seiner Rechtsansicht her konsequent - nicht weiter nachgegangen, weil es fälschlicherweise davon ausging, die Behandlung von objektiv lediglich anlagebedingten Schäden schließe bereits einen Zurechnungszusammenhang gemäß § 11 Abs 1 Nr 1 SGB VII aus. Der Kläger hatte vor dem LSG selbst angeregt, den operierenden D-Arzt Dr. S. als Zeugen zu hören. Dies wird das LSG nachzuholen und dabei insbesondere den Inhalt der Gespräche zwischen Dr. S. und dem Kläger zu ermitteln haben. Die Beklagte müsste sich das Handeln ihres Amtswalters Dr. S. jedenfalls dann nicht zurechnen lassen, wenn ein kollusives Zusammenwirken vorläge oder Dr. S. dem Kläger gegenüber klargestellt hätte, dass er lediglich wegen der erheblichen Schmerzen operiere, ohne dass ein Zusammenhang mit dem Unfall vorliege.

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