Bundessozialgericht

Verhandlung B 11 AL 20/17 R

Verhandlungstermin 23.10.2018 10:00 Uhr

Terminvorschau

P. B. ./. Bundesagentur für Arbeit
Vorinstanzen:
Sozialgericht Speyer - S 1 AL 121/14, 11.02.2015
Landessozialgericht Rheinland-Pfalz - L 1 AL 16/15, 17.08.2017
Streitig ist ein Anspruch auf Arbeitslosengeld (Alg) vom 1.5. bis 20.10.2013. Der Kläger war seit 2007 als Arbeitnehmer für verschiedene Zeitarbeitsfirmen in der Schweiz mit Montagearbeiten beschäftigt. Währenddessen kehrte er regelmäßig am Freitag an seinen Wohnsitz in Neustadt/Weinstraße zurück. Nach einem zuletzt mit der Swiss Link Personal AG geschlossenen Vertrag war er ab 7.11.2011 mit einer vorgesehenen Dauer von maximal drei Monaten in einer Tätigkeit als Fenstermonteur eingesetzt. Während seines Einsatzes erlitt der Kläger am 12.12.2011 bei einem Arbeitsunfall eine Knieverletzung. Die schweizerische Unfallversicherung zahlte vom 15.12.2011 bis 30.4.2013 Unfalltaggeld. Nach Arbeitslosmeldung des Klägers zum 1.5.2013 gingen bei der Beklagten zahlreiche PD U1-Bescheinigungen verschiedener Unia Arbeitslosenkassen über Versicherungs- und Beschäftigungszeiten in der Schweiz ein. Die Unia Arbeitslosenkasse (Zahlstelle Pfäffikon) gab in einer Bescheinigung vom 5.11.2012 eine versicherte Beschäftigung vom 29.12.2011 bis 31.10.2012 (Verdienst in Höhe von 39.172,50 CHF) mit dem Zusatz "Unfalltaggelder bis auf weiteres" an. Die Beklagte bewilligte Alg zunächst vorläufig ab 1.5.2013. Ende August 2013 ging bei der Beklagten eine weitere PD U1-Bescheinigung vom 6.8.2013 ein, in der eine versicherte Beschäftigung lediglich vom 7.11.2011 bis 20.12.2011 (Beendigungsgrund: "Auslaufen des Vertrags") ausgewiesen war. Die vorangegangene Bescheinigung vom 5.11.2012 zu einer versicherten Beschäftigung vom 29.12.2011 bis 31.10.2012 war als "ungültig" gekennzeichnet. Die Beklagte hob daraufhin die Bewilligung von Alg ab 4.11.2013 auf.

Während des sozialgerichtlichen Verfahrens wegen der Höhe der vorläufigen Bewilligung und deren Aufhebung lehnte die Beklagte Alg mangels Erfüllung der Anwartschaftszeit ab 1.5.2013 ab und forderte die Erstattung des in dem Zeitraum vom 1.5.2013 bis 20.10.2013 insgesamt erbrachten Alg in Höhe von 6.383,50 Euro. Das SG hat die Beklagte unter Aufhebung dieser Bescheide verurteilt, dem Kläger in dem streitigen Zeitraum Alg in gesetzlicher Höhe zu erbringen. Zwar könne der Bezug von Unfalltaggeld nicht für die Erfüllung der Anwartschaftszeit berücksichtigt werden. Allerdings sei die Rahmenfrist in entsprechender Anwendung des § 143 Abs 3 SGB III zu erweitern, weshalb die Anwartschaftszeit unter Berücksichtigung der bestätigten Zeiten erfüllt sei. Das LSG hat das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Mit seiner Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 142 SGB III und des Art 3 Abs 1 GG. Es müsse eine Gleichstellung des Unfalltaggeldes mit dem Verletzten- und Krankengeld nach deutschem Recht erfolgen. Entgegen Art 3 Abs 1 GG habe das LSG Gleiches ungleich behandelt.

Terminbericht

Die Revision des Klägers hatte keinen Erfolg. Das LSG ist zutreffend davon ausgegangen, dass sich ein Anspruch des Klägers auf Verbleib der vorläufig erbrachten Leistungen allein unter ergänzender Heranziehung der Vorschriften zur europäischen Sozialrechtskoordinierung ergeben konnte. Für den Kläger als echten Grenzgänger war die Beklagte zuständiger Träger. Sie ist zu Recht davon ausgegangen, dass er auch in der (erweiterten) Rahmenfrist vom 1.5.2011 bis 30.4.2013 die Anwartschaftszeit für einen Anspruch auf Arbeitslosengeld nicht erfüllte. Zwar berücksichtigt der zuständige Träger eines Mitgliedstaats, nach dessen Rechtsvorschriften der Erwerb, die Aufrechterhaltung, das Wiederaufleben oder die Dauer des Leistungsanspruchs von der Zurücklegung von Versicherungszeiten, Beschäftigungszeiten oder Zeiten einer selbstständigen Erwerbstätigkeit abhängig ist, nach den Regelungen zur europäischen Sozialrechtskoordinierung die Versicherungszeiten, Beschäftigungszeiten oder Zeiten einer selbstständigen Erwerbstätigkeit, die nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats zurückgelegt wurden, als ob sie nach den für ihn geltenden Rechtsvorschriften zurückgelegt worden wären. Dies folgt aus Art 61 Abs 1 Satz 1 VO (EG) 883/2004. Auch unter Einbeziehung der schweizerischen Versicherungs- und Beschäftigungszeiten nach dem Bundesgesetz über die obligatorische Arbeitslosenversicherung und die Insolvenzentschädigung hat der Kläger die Anwartschaftszeit von 360 Kalendertagen jedoch nicht erfüllt. Dies ergibt sich bereits aus den bindenden Feststellungen des Berufungsgerichts zu den vorliegenden PD U1-Bescheinigungen und den dort nur nachgewiesenen berücksichtigungsfähigen Zeiten. Die ursprüngliche PD U1-Bescheinigung vom 5.11.2012 über den Zeitraum des tatsächlichen Bezugs von schweizerischem Unfalltagegeld als "versicherte Beschäftigung" ist mit der nachfolgenden PD U1-Bescheinigung vom 6.8.2013 als ungültig gekennzeichnet worden.

Die Bescheinigungen entfalten Bindungswirkung und können auch von den nationalen Gerichten der Mitgliedstaaten nur im Wege des in der VO (EG) 883/2004 und der Durchführungsverordnung VO (EG) 987/2009 vorgesehenen Verfahrens bei Zweifeln an der Gültigkeit der übersandten Dokumente oder der Richtigkeit des zugrunde gelegten Sachverhalts korrigiert werden. Dieses Verfahren hat die Beklagte durchgeführt. Unabhängig hiervon ergeben sich aus den Vorschriften des schweizerischen Arbeitslosenversicherungsrechts keine Anhaltspunkte für eine unrichtige Bewertung des Zeitraums des Bezugs des schweizerischen Unfalltagegelds. Eine Erweiterung der Rahmenfrist auf fünf Jahre in entsprechender Anwendung des § 143 Abs 3 SGB III zum Außer-Betracht-Lassen von Zeiten des Bezugs von Übergangsgeld wegen einer berufsfördernden Maßnahme ist nicht möglich. Es fehlt schon an einer für die analoge Anwendung dieser Vorschrift erforderlichen Regelungslücke.

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