Bundessozialgericht

Verhandlung B 14 AS 11/18 R

Verhandlungstermin 30.01.2019 11:30 Uhr

Terminvorschau

1. S. P., 2. R. P. ./. Jobcenter Salzlandkreis
Umstritten ist die Höhe des anzuerkennenden Bedarfs für die Unterkunft von Februar bis Juli 2011.

Der Kläger zu 1 ist der Sohn der Klägerin zu 2. Für ihre Wohnung in Schönebeck (Salzlandkreis) waren monatlich zu zahlen 299 Euro Nettokaltmiete, 98,98 Euro Betriebskostenvorauszahlung und 113 Euro Heizkostenvorauszahlung, insgesamt 510,98 Euro. Gemäß einer im August 2010 erfolgten Mitteilung über die Angemessenheitsgrenzen bewilligte das beklagte Jobcenter den Klägern für die strittige Zeit ua wegen einer Erwerbstätigkeit der Klägerin Alg II vorläufig und erkannte als Bedarf monatlich eine Nettokaltmiete von 240 Euro und Betriebskosten von 66 Euro sowie die tatsächlichen Heizkosten an.

Das SG hat den Beklagten verurteilt, den Klägern monatlich weitere 91,98 Euro als Bedarfe für die Unterkunft zu gewähren, weil von den tatsächlichen Aufwendungen auszugehen sei. Die Berufung des Beklagten hat das LSG zurückgewiesen. Entgegen der Auffassung des Beklagten sei nicht der gesamte Landkreis als ein Vergleichsraum anzusehen, vielmehr sei der Wohnort der Kläger, Schönebeck, ein eigener Vergleichsraum. Die ab dem 1.7.2010 angewandte Handlungsanweisung des Beklagten zur Angemessenheit der Kosten der Unterkunft und Heizung erfülle nicht die Anforderungen an ein schlüssiges Konzept. Eine rückwirkende Anwendung des vom Beklagten in 2012 erarbeiteten Konzepts sei nicht möglich.

Mit seiner Revision rügt der Beklagte eine Verletzung von § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II. Das LSG habe zu Unrecht selbst einen Vergleichsraum festgelegt, diesbezüglich stehe dem Leistungsträger eine nicht justiziable Einschätzungsprärogative zu, weil die Trägerschaft für die Bedarfe für Unterkunft und Heizung den kreisfreien Städten und Kreisen als Selbstverwaltungsaufgabe übertragen worden sei. Zudem sei eine Rückschreibung der mit dem Stichtag 1.3.2012 erhobenen Angemessenheitsgrenzen für Februar bis Juli 2011 mittels des Verbraucherpreisindexes möglich.

Vorinstanzen:
Sozialgericht Magdeburg - S 15 AS 2495/11, 25.10.2013
Landessozialgericht Sachsen-Anhalt - L 5 AS 1038/13, 13.09.2017

Terminbericht

Umstritten in dem Verfahren war insbesondere die Höhe des von dem beklagten Jobcenter anzuerkennenden Bedarfs für die Unterkunft nach § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II. Der Senat hat die bisherige Rechtsprechung des BSG zu diesem Bedarf unter Einbeziehung der Rechtsentwicklung wie folgt zusammengefasst und konkretisiert:

Die Ermittlung der Grenze für die abstrakt angemessenen Kosten der Unterkunft, bestehend aus Nettokaltmiete und kalten Betriebskosten, für eine nach Größe und Wohnungsstandard angemessene Wohnung hat in dem maßgeblichen örtlichen Vergleichsraum nach einem schlüssigen Konzept zu erfolgen.

Der Vergleichsraum ist der Raum, innerhalb dessen einer leistungsberechtigten Person ein Umzug zur Kostensenkung grundsätzlich zumutbar ist und ein nicht erforderlicher Umzug nach § 22 Abs 1 Satz 2 SGB II zu einer Deckelung der Kosten auf die bisherigen führt. Der Vergleichsraum ist ein ausgehend vom Wohnort der leistungsberechtigten Person bestimmter ausreichend großer Raum der Wohnbebauung, der aufgrund räumlicher Nähe, Infrastruktur und insbesondere verkehrstechnischer Verbundenheit einen insgesamt betrachtet homogenen Lebens- und Wohnbereich bildet. Im Zuständigkeitsgebiet eines Jobcenters kann es mehr als einen Vergleichsraum geben (vgl § 22b Abs 1 Satz 4 SGB II).

Das schlüssige Konzept soll die Gewähr dafür bieten, dass die aktuellen Verhältnisse des Mietwohnungsmarktes im Vergleichsraum der Angemessenheitsgrenze zugrunde liegen. Schlüssig ist ein Konzept, wenn es neben rechtlichen auch bestimmte methodische Voraussetzungen erfüllt und nachvollziehbar ist. Dies erfordert bei Methodenvielfalt insbesondere
• eine Definition der untersuchten Wohnungen nach Größe und Standard,
• Angaben über die Art und Weise der Datenerhebung,
• Angaben über den Zeitraum, auf den sich die Datenerhebung bezieht,
• Repräsentativität und Validität der Datenerhebung,
• Einhaltung anerkannter mathematisch-statistischer Grundsätze bei der Datenauswertung,
• Vermeidung von "Brennpunkten" durch soziale Segregation,
• eine Begründung, in der die Ermittlung der Angemessenheitswerte aus den Daten dargelegt wird
(vgl auch § 22a Abs 3, § 22b Abs 1, 2, § 22c Abs 1 SGB II).

Ausgehend von diesen Voraussetzungen kann es verschiedene Methoden geben, um ein schlüssiges Konzept zu erstellen und den damit unmittelbar zusammenhängenden Vergleichsraum oder ggf mehrere Vergleichsräume zu bilden.

Nicht zulässig ist es jedoch, wenn ein Jobcenter, das den gesamten Landkreis als einen Vergleichsraum ansieht, innerhalb dieses Vergleichsraums die Städte und Gemeinden in mehrere Wohnungsmarkttypen mit unterschiedlichen Angemessenheitsgrenzen aufteilt. Denn für diese Aufteilung gibt es keine rechtliche Begründung, insbesondere können durch die Bildung von Wohnungsmarkttypen die Voraussetzungen für die Bildung und die Rechtsfolgen eines Vergleichsraums nicht geändert werden. Zudem mangelt es in dem vorliegenden Verfahren für die einzelnen Wohnungsmarkttypen an einer sie rechtfertigenden sachlichen Herleitung.

Da das entscheidende Tatbestandsmerkmal „Angemessenheit“ ein unbestimmter Rechtsbegriff ist, sind die Bildung des Vergleichsraums und die Erstellung des schlüssigen Konzepts des Jobcenters gerichtlich voll überprüfbar.

Auf eine entsprechende Klage hin ist es Aufgabe des Gerichts, die Rechtmäßigkeit der vom Jobcenter ermittelten Angemessenheitsgrenze zu überprüfen. Ist diese rechtlich zu beanstanden, so ist dem jeweiligen Jobcenter zunächst Gelegenheit zu geben, die Beanstandungen durch Stellungnahmen, ggf nach weiteren Ermittlungen, auszuräumen.

Ist dies nicht möglich, ist das Gericht zur Herstellung der Spruchreife der Sache nicht befugt, seinerseits - ggf mit Hilfe von Sachverständigen - eine eigene Vergleichsraumbildung vorzunehmen oder ein schlüssiges Konzept zu erstellen. Die Bildung des Vergleichsraums kann nicht von der Erstellung des Konzepts getrennt werden, einschließlich der anzuwendenden Methode. Das Gericht hat zur Herstellung der Spruchreife, wenn ein qualifizierter Mietspiegel vorhanden ist, auf diesen zurückgreifen. Andernfalls sind mangels in rechtlich zulässiger Weise bestimmter Angemessenheitsgrenze die tatsächlichen Aufwendungen für die Unterkunft diesem Bedarf zugrunde zu legen, begrenzt durch die Werte nach dem WoGG plus einen Zuschlag von 10%.

Verfahrensrechtlich ist darauf hinzuweisen, dass auch hinsichtlich der anzuerkennenden Bedarfe für Unterkunft und Heizung ein Grundurteil im Höhenstreit zulässig ist.

Ausgehend von diesen Grundsätzen ist wie folgt entschieden worden:

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des LSG ist zurückgewiesen worden.

Unbeschadet der Vergleichsraumbildung kann die vom beklagten Jobcenter vorgenommene Kostensenkung im Jahr 2011 nicht durch die Rückschreibung eines erst im Jahr 2012 aufgestellten Konzepts gerechtfertigt werden. Zum Zeitpunkt der Kostensenkung konnten sich die Kläger im durchzuführenden Dialog über die Kostensenkungsaufforderung des Beklagten noch nicht mit diesem über dessen Konzept aus 2012 auseinandersetzen.

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