Bundessozialgericht

Verhandlung B 14 AS 12/18 R

Verhandlungstermin 30.01.2019 10:30 Uhr

Terminvorschau

1. U. S., 2. K. S. ./. Jobcenter Landkreis Harz
Umstritten ist in der Sache die Höhe der anzuerkennenden Bedarfe für Unterkunft und Heizung in 2013 und 2014.

Die Klägerin zu 1 wohnte mit ihrer Tochter, der Klägerin zu 2, in einer Wohnung in Blankenburg (Landkreis Harz), für die zunächst monatlich zu zahlen waren 370 Euro Nettokaltmiete, 100 Euro Betriebskostenvorauszahlung und 121 Euro Heizkostenvorauszahlung, insgesamt 591 Euro. Das beklagte Jobcenter wies die Klägerinnen auf die Unangemessenheit ihrer Kosten hin, angemessen seien als Kosten der Unterkunft nur 322,80 Euro und als Kosten der Heizung nur 68,38 Euro. Für März bis August 2013 sowie März bis August 2014 bewilligte der Beklagte den Klägerinnen Alg II zunächst nur unter Anerkennung dieser Beträge als Bedarfe. In den Widerspruchsverfahren erfolgte eine geringe Erhöhung des Betrags für die Heizkosten.

Das SG hat die Verfahren verbunden und die Klagen abgewiesen. Die Klagen der Klägerin zu 2 seien mangels Einhaltung der Klagefrist unzulässig, die der Klägerin zu 1 unbegründet. Das LSG hat beiden Klägerinnen weitere Leistungen zugesprochen. Die Klagen der Klägerin zu 2 seien bei verständiger Auslegung der Klageschriften zulässig. Es bestehe zwar kein Anspruch auf Übernahme der tatsächlichen Bruttokaltmiete. Entgegen der Auffassung des Beklagten sei nicht der gesamte Landkreis Harz als ein Vergleichsraum anzusehen, sondern der Wohnort der Klägerinnen, Blankenburg, sei ein eigener Vergleichsraum. Das vom Beklagten der Ermittlung der angemessenen Bruttokaltmiete zugrunde gelegte Konzept sei schlüssig und trotz der unzutreffenden Vergleichsraumbildung verwertbar. Es bestehe aber ein Anspruch auf Übernahme höherer Heizkosten, weil die vom Beklagten ermittelte lokale Angemessenheitsgrenze nicht mit der Rechtsprechung des BSG vereinbar und daher der bundesweite Heizkostenspiegel anzuwenden sei.

Die Klägerinnen rügen mit ihren Revisionen eine Verletzung von § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II. Das LSG habe zu Unrecht angenommen, das Konzept des Beklagten genüge den zu stellenden Anforderungen. Der Beklagte rügt mit seiner Revision insbesondere eine Verletzung von § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II. Das LSG habe zu Unrecht höhere Heizkosten zugesprochen. Es liege ein aufgrund der Methodenfreiheit nicht zu beanstandender kommunaler Heizkostenspiegel vor.

Vorinstanzen:
Sozialgericht Magdeburg - S 15 AS 1543/14, 10.02.2017
Landessozialgericht Sachsen-Anhalt - L 5 AS 201/17, 31.01.2018

Terminbericht

Umstritten in dem Verfahren war insbesondere die Höhe des von dem beklagten Jobcenter anzuerkennenden Bedarfs für die Unterkunft nach § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II. Der Senat hat die bisherige Rechtsprechung des BSG zu diesem Bedarf unter Einbeziehung der Rechtsentwicklung wie folgt zusammengefasst und konkretisiert:

Die Ermittlung der Grenze für die abstrakt angemessenen Kosten der Unterkunft, bestehend aus Nettokaltmiete und kalten Betriebskosten, für eine nach Größe und Wohnungsstandard angemessene Wohnung hat in dem maßgeblichen örtlichen Vergleichsraum nach einem schlüssigen Konzept zu erfolgen.

Der Vergleichsraum ist der Raum, innerhalb dessen einer leistungsberechtigten Person ein Umzug zur Kostensenkung grundsätzlich zumutbar ist und ein nicht erforderlicher Umzug nach § 22 Abs 1 Satz 2 SGB II zu einer Deckelung der Kosten auf die bisherigen führt. Der Vergleichsraum ist ein ausgehend vom Wohnort der leistungsberechtigten Person bestimmter ausreichend großer Raum der Wohnbebauung, der aufgrund räumlicher Nähe, Infrastruktur und insbesondere verkehrstechnischer Verbundenheit einen insgesamt betrachtet homogenen Lebens- und Wohnbereich bildet. Im Zuständigkeitsgebiet eines Jobcenters kann es mehr als einen Vergleichsraum geben (vgl § 22b Abs 1 Satz 4 SGB II).

Das schlüssige Konzept soll die Gewähr dafür bieten, dass die aktuellen Verhältnisse des Mietwohnungsmarktes im Vergleichsraum der Angemessenheitsgrenze zugrunde liegen. Schlüssig ist ein Konzept, wenn es neben rechtlichen auch bestimmte methodische Voraussetzungen erfüllt und nachvollziehbar ist. Dies erfordert bei Methodenvielfalt insbesondere
• eine Definition der untersuchten Wohnungen nach Größe und Standard,
• Angaben über die Art und Weise der Datenerhebung,
• Angaben über den Zeitraum, auf den sich die Datenerhebung bezieht,
• Repräsentativität und Validität der Datenerhebung,
• Einhaltung anerkannter mathematisch-statistischer Grundsätze bei der Datenauswertung,
• Vermeidung von "Brennpunkten" durch soziale Segregation,
• eine Begründung, in der die Ermittlung der Angemessenheitswerte aus den Daten dargelegt wird
(vgl auch § 22a Abs 3, § 22b Abs 1, 2, § 22c Abs 1 SGB II).

Ausgehend von diesen Voraussetzungen kann es verschiedene Methoden geben, um ein schlüssiges Konzept zu erstellen und den damit unmittelbar zusammenhängenden Vergleichsraum oder ggf mehrere Vergleichsräume zu bilden.

Nicht zulässig ist es jedoch, wenn ein Jobcenter, das den gesamten Landkreis als einen Vergleichsraum ansieht, innerhalb dieses Vergleichsraums die Städte und Gemeinden in mehrere Wohnungsmarkttypen mit unterschiedlichen Angemessenheitsgrenzen aufteilt. Denn für diese Aufteilung gibt es keine rechtliche Begründung, insbesondere können durch die Bildung von Wohnungsmarkttypen die Voraussetzungen für die Bildung und die Rechtsfolgen eines Vergleichsraums nicht geändert werden. Zudem mangelt es in dem vorliegenden Verfahren für die einzelnen Wohnungsmarkttypen an einer sie rechtfertigenden sachlichen Herleitung.

Da das entscheidende Tatbestandsmerkmal „Angemessenheit“ ein unbestimmter Rechtsbegriff ist, sind die Bildung des Vergleichsraums und die Erstellung des schlüssigen Konzepts des Jobcenters gerichtlich voll überprüfbar.

Auf eine entsprechende Klage hin ist es Aufgabe des Gerichts, die Rechtmäßigkeit der vom Jobcenter ermittelten Angemessenheitsgrenze zu überprüfen. Ist diese rechtlich zu beanstanden, so ist dem jeweiligen Jobcenter zunächst Gelegenheit zu geben, die Beanstandungen durch Stellungnahmen, ggf nach weiteren Ermittlungen, auszuräumen.

Ist dies nicht möglich, ist das Gericht zur Herstellung der Spruchreife der Sache nicht befugt, seinerseits - ggf mit Hilfe von Sachverständigen - eine eigene Vergleichsraumbildung vorzunehmen oder ein schlüssiges Konzept zu erstellen. Die Bildung des Vergleichsraums kann nicht von der Erstellung des Konzepts getrennt werden, einschließlich der anzuwendenden Methode. Das Gericht hat zur Herstellung der Spruchreife, wenn ein qualifizierter Mietspiegel vorhanden ist, auf diesen zurückgreifen. Andernfalls sind mangels in rechtlich zulässiger Weise bestimmter Angemessenheitsgrenze die tatsächlichen Aufwendungen für die Unterkunft diesem Bedarf zugrunde zu legen, begrenzt durch die Werte nach dem WoGG plus einen Zuschlag von 10%.

Verfahrensrechtlich ist darauf hinzuweisen, dass auch hinsichtlich der anzuerkennenden Bedarfe für Unterkunft und Heizung ein Grundurteil im Höhenstreit zulässig ist.

Ausgehend von diesen Grundsätzen ist wie folgt entschieden worden:

Die Revision der Klägerin zu 2 gegen das Urteil des LSG ist zurückgewiesen worden, weil ihre Klagen unzulässig sind, da die Klageschriften nur im Namen der Klägerin zu 1 verfasst waren und keinen Hinweis auf die Klägerin zu 2 enthielten.

Im Übrigen ist das Urteil des LSG aufgehoben und die Sache zurückverwiesen worden. Das LSG war nicht befugt, die Vergleichsraumbildung des beklagten Jobcenters durch eine eigene Vergleichsraumbildung zu ersetzen. Gegen die Rechtmäßigkeit der Vergleichsraumbildung des Beklagten und die von ihm festgesetzten Angemessenheitsgrenzen sprechen die Unterteilung des Vergleichsraums in fünf Wohnungsmarkttypen mit unterschiedlichen Angemessenheitsgrenzen für die Bruttokaltmiete. Diese Mängel bei der Bildung des Vergleichsraums wirken sich auch auf den anzuerkennenden Bedarf für die Heizung aus. Im wiedereröffneten Berufungsverfahren hat das LSG dem Beklagten Gelegenheit zu geben, Nachermittlungen zur Vergleichsraumbildung und Erstellung eines schlüssigen Konzepts vorzulegen.

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