Bundessozialgericht

Verhandlung B 3 KR 13/17 R

Verhandlungstermin 28.03.2019 12:45 Uhr

Terminvorschau

B. AG ./. GKV-Spitzenverband
Die Klägerin produziert und vertreibt ua die Knieorthese SofTec® Genu und begehrt deren Aufnahme in die Produktart 23.04.03.3 ("Rahmenorthesen zur Führung und Stabilisierung des Kniegelenks mit Extensions-/Flexionsbegrenzung") des vom beklagten GKV-Spitzenverband geführten Hilfsmittelverzeichnisses (HMV) nach § 139 SGB V. Diese Orthese weist im Gegensatz zu anderen in der oa Produktart gelisteten Produkten keine feste, selbsttragende Rahmenkonstruktion auf. Stattdessen sind die Führungsschienen mit einem textilen Trägermaterial verbunden, dessen besondere Eigenschaften der Orthese - so die Klägerin - eine mit Hartrahmenkonstruktionen vergleichbare Stabilität verleihe; die Orthese sei deshalb für die im HMV in der Produktart genannten Indikationen geeignet (ua ein schwer und/oder komplex instabiles Kniegelenk) und dort einzugruppieren. Der Beklagte lehnte den hierauf gerichteten Antrag ab und ordnete die Orthese auf Grund ihrer Konstruktionsmerkmale der Produktart 23.04.03.2 zu ("Knieführungsorthesen mit 4-Punkt-Prinzip und Extensions-/ Flexionsbegrenzung"). Zur Schaffung einer neuen Produktart und Aufnahme der Orthese in diese war der Beklagte ebenfalls nicht bereit. Widerspruch und Klage sind ohne Erfolg geblieben.

Das LSG hat die Berufung der Klägerin gegen das SG-Urteil unter Auswertung mehrerer im erstinstanzlichen Verfahren eingeholter Gutachten und Stellungnahmen sowie medizinischer Fachliteratur zurückgewiesen. Die Voraussetzungen für die begehrte Eingruppierung lägen nicht vor. Die Qualitätsanforderung der selbsttragenden Rahmenkonstruktion erfülle die Orthese SofTec® Genu nicht. Eine Systematik des HMV nach Indikationen oder Stabilisierungsgraden sei nicht erfolgt. Es liege zudem kein Nachweis dafür vor, dass die Orthese für alle Indikationen von Knieinstabilitäten einen medizinischen Nutzen habe. Alle Darlegungs- und Beweispflichten im Zusammenhang mit der Behauptung, die betroffene Orthese sei auch zur Stabilisierung des schwer und/oder komplex instabilen Kniegelenkes geeignet, träfen die Klägerin selbst. Ihren Hilfsantrag (= Schaffung einer neuen Produktart und Aufnahme des Hilfsmittels in diese) habe das SG zu Recht als unzulässig abgewiesen. Hinsichtlich des Antrags, den Beklagten hilfsweise zu verpflichten, eine neue Produktart zu kreieren, habe er keine Verwaltungsentscheidung getroffen.

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des § 139 Abs 4 SGB V: Eine konstruktionsbezogene Interpretation der Systematik des HMV lasse sich weder mit dem Sinn und Zweck des HMV noch mit der Systematik der Hilfsmittelversorgung nach den Vorgaben des SGB V vereinbaren. Sie verletze das Gebot effektiven Rechtsschutzes aus Art 19 Abs 4 GG vor dem Hintergrund des Grundrechts der Hersteller aus Art 12 GG und der marktsteuernden Wirkung des HMV. Die Bedeutung des HMV rühre ua daher, dass die Hilfsmittel-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) nach § 92 Abs 1 S 2 Nr 6 SGB V bei den Vertragsärzten zumindest den Anschein ihrer Bindung an das HMV bei der Verordnung von Hilfsmitteln erwecke. Entscheidungen über die Aufnahme von Hilfsmitteln in das HMV hätten daher eine objektiv berufsregelnde Tendenz. In tatsächlicher Hinsicht habe das LSG die Aussagekraft des medizinischen Erkenntnismaterials und damit die tatsächliche Leistungsfähigkeit der streitgegenständlichen Orthese verkannt. - Hinsichtlich des Hilfsantrags liege eine Verletzung der prozessualen Aufklärungspflicht und des rechtlichen Gehörs durch das LSG vor.

Vorinstanzen:
Sozialgericht Altenburg - S 4 KR 308/10, 10.10.2013
Thüringer Landessozialgericht - L 6 KR 1809/13, 28.03.2017

Terminbericht

Die Revision der Klägerin ist erfolglos geblieben. Das LSG hat zutreffend entschieden, dass die Klägerin keinen Anspruch auf Aufnahme der SofTec® Genu Orthese in die Produktart 23.04.03.3 des Hilfsmittelverzeichnisses (HMV) und keinen Anspruch auf Aufnahme in eine neu zu schaffende Produktart hat. Zwar kann ein Hilfsmittelhersteller beanspruchen, dass sein Hilfsmittel entsprechend der Systematik des HMV sachlich zutreffend eingeordnet wird. Dies folgt ua aus der Berufsausübungsfreiheit (Art 12 Abs 1 GG) und der praktisch erheblichen marktsteuernden Wirkung des HMV (BSG SozR 4-2500 § 139 Nr 7 RdNr 29). Der Beklagte hat jedoch eine weite Gestaltungsfreiheit hinsichtlich der systematischen Struktur des HMV, die auch Einzelfragen der Systematisierung erfasst. Obwohl § 139 SGB V die Einbeziehung von Indikationen in die Struktur des HMV vorsieht, dürfen dafür auch andere Gesichtspunkte oder materialbezogene Kriterien verwendet werden (zB Konstruktionsmerkmale, Anwendungsgebiete nach Körperregionen). Hinsichtlich der verfahrensgegenständlichen Produktarten 23.04.03.2 ("Knieführungsorthesen mit 4-Punkt-Prinzip und Extensions-/Flexionsbegrenzung") und 23.04.03.3 ("Rahmenorthesen zur Führung und Stabilisierung des Kniegelenks mit Extensions-/Flexionsbegrenzung") beruht die Systematik des HMV auf einer Kombination aus indikations- und konstruktionsbezogenen Merkmalen. Das Hilfsmittel der Klägerin erfüllt sämtliche Voraussetzungen für die Listung in der Produktart 23.04.03.2. Zugleich mangelt es nach den für den Senat im Revisionsverfahren bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) wegen der fehlenden selbsttragenden Rahmenkonstruktion an einer wesentlichen Voraussetzung für die Zuordnung zur Produktart 23.04.03.3. Nach den mit Verfahrensrügen nicht angegriffenen Feststellungen des LSG konnte zudem nicht nachgewiesen werden, dass die Orthese der Klägerin für den Einsatz bei den in der Produktart 23.04.03.3 beispielhaft aufgeführten schwereren Indikationen ("schwer oder komplex instabiles Kniegelenk"; "funktionelle prä- oder postoperative Versorgung von Bandrupturen") geeignet ist. Ein Anspruch auf Schaffung einer neuen Produktart und Aufnahme der Orthese SofTec® Genu in diese scheidet schon deshalb aus, weil das Hilfsmittel systemgerecht in die Produktart 23.04.03.2 eingruppiert werden kann.

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