Verhandlung B 14 AS 13/18 R
Verhandlungstermin
08.05.2019 12:30 Uhr
Terminvorschau
A.W. ./. Jobcenter Hildesheim
Umstritten ist die Übernahme von Kosten für Schulbücher.
Die Klägerin bezog mit ihrer Mutter Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts und auch das Schulpaket nach § 28 Abs 3 SGB II. Ab dem Schuljahr 2013/2014 besuchte sie die 11. Klasse eines Gymnasiums und beantragte beim beklagten Jobcenter circa 200 Euro für Schulbücher, die sie selbst habe kaufen müssen. Der Beklagte lehnte den Antrag ab, weil Schulbücher vom Regelbedarf umfasst seien; ein mögliches Darlehen nach § 24 Abs 1 SGB II werde nicht begehrt.
Ähnlich wie das SG hat das LSG den Beklagten verurteilt, der Klägerin circa 200 Euro für Schulbücher zu zahlen. Zwar seien Schulbücher vom Regelbedarf umfasst, die mangels Lernmittelfreiheit in Niedersachsen anfallenden Kosten decke dieser jedoch nicht ab. Die so entstehende evidente Bedarfsunterdeckung sei wegen der gebotenen verfassungskonformen Auslegung des SGB II durch eine analoge Anwendung des Härtefall-Mehrbedarfs nach § 21 Abs 6 SGB II zu beheben.
Mit seiner Revision rügt der Beklagte eine Verletzung von § 21 Abs 6 SGB II. Dessen Voraussetzungen lägen nicht vor und eine analoge Anwendung scheide mangels planwidriger Regelungslücke aus. Vorrang habe vielmehr ein Darlehen nach § 24 Abs 1 SGB II.
Vorinstanzen:
Sozialgericht Hildesheim - S 37 AS 661/14, 04.09.2015
Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen - L 11 AS 1503/15, 11.12.2017
Terminbericht
Die Revision des beklagten Jobcenters gegen das Urteil des LSG ist zurückgewiesen worden, weil die Klägerin gegen das Jobcenter einen Anspruch auf Übernahme der strittigen Kosten für ihre Schulbücher hat.
Rechtsgrundlage hierfür ist der Härtefall-Mehrbedarf nach § 21 Abs 6 SGB II. Der in den Regelbedarf eingeflossene Betrag für Schulbücher ist strukturell zu niedrig für Schüler, die mangels Lernmittelfreiheit in ihrem Bundesland ihre Schulbücher selbst kaufen müssen. Denn dem Regelbedarf liegt die bundesweite Einkommens- und Verbrauchsstichprobe zugrunde und in der Mehrzahl der Bundesländer gilt Lernmittelfreiheit.
Der aufgrund des Urteils des BVerfG vom 9.2.2010 eingeführte Härtefall-Mehrbedarf soll solchen Sondersituationen, in denen ein höherer, überdurchschnittlicher Bedarf auftritt, und sich der Regelbedarf als unzureichend erweist, Rechnung tragen (BVerfG von 9.2.2010 - 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09 - BVerfGE 125, 175 = NJW 2010, 505 Rn 208). Fehlt es aufgrund der Berechnung des Regelbedarfs an einer Deckung existenzsichernder Bedarfe, sind die einschlägigen Regelungen über gesondert neben dem Regelbedarf zu erbringende Leistungen verfassungskonform auszulegen (BVerfG vom 23.7.2014 - 1 BvL 10/12, 1 BvL 12/12, 1 BvR 1691/13 – BVerfGE 137, 34 = NJW 2014, 3425, RdNr 116 ff).
Aus der Kultushoheit der Länder folgt nichts anderes. Der Bundesgesetzgeber hat durch das SGB II von seiner Gesetzgebungskompetenz nach Art 74 Abs 1 Nr 7 GG abschließend Gebrauch gemacht und trägt dementsprechend die Verantwortung für die Sicherstellung des gesamten menschenwürdigen Existenzminimums, wozu auch die anzuschaffenden Schulbücher gehören (BVerfG vom 9.2.2010, aaO, RdNr 181 f). Mögliche Konflikte zwischen Bund und Ländern hinsichtlich der Finanzierung der Schulbildung von Schülern, die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II erhalten, dürfen nach diesen verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht auf dem Rücken der Schüler ausgetragen werden.
Ein Darlehen nach § 24 Abs 1 SGB II scheidet aus, weil dieses einen vom Regelbedarf zutreffend erfassten Bedarf voraussetzt, was bei einer strukturell zu niedrigen Bedarfsbemessung gerade nicht der Fall ist.
Die Höhe der zugesprochenen Leistung war vorliegend nicht umstritten und ist nicht zu beanstanden.