Bundessozialgericht

Verhandlung B 3 KR 23/18 R

Verhandlungstermin 04.06.2019 11:00 Uhr

Terminvorschau

Z. ./. IKK gesund plus
Die beklagte Krankenkasse gewährte dem bei ihr versicherten Kläger ab 29.7.2014 Krankengeld (Krg). Dem Kläger wurde Arbeitsunfähigkeit (AU) wegen eines HWS-Schulter-/LWS-Syndroms in Folgeattesten lückenlos bis zum 29.9.2014 ärztlich bescheinigt. Am 2.9.2014 teilte er mit, dass er in der Zeit vom 8.9. bis 12.9.2014 in den Urlaub nach Dänemark (Sydals) in ein Ferienhaus fahren werde. Während die behandelnde Ärztin gegen einen Kurzurlaub nichts einzuwenden hatte, erhob der MDK Bedenken gegen die lange Hin- und Rückreise mit dem Auto und den damit verbundenen Wirbelsäulenzwangshaltungen, die zu einer Verschlimmerung und einer Verlängerung der AU führen könnten. Die Beklagte lehnte daher die Zustimmung zum Auslandsaufenthalt ab und ordnete das Ruhen des Krg-Anspruchs während des Urlaubs an. Das SG hat die Klage abgewiesen: Die Versagung der Zustimmung sei ermessensfehlerfrei erfolgt. Das LSG hat das Urteil des SG und den angefochtenen Bescheid aufgehoben: Die reine Anfechtungsklage sei begründet. Der Anspruch auf Krg habe während des Auslandsaufenthalts nicht geruht. Es könne offenbleiben, ob vorrangige Vorschriften des europäischen Sekundärrechts Anwendung fänden. Der Kläger dürfe nicht gehindert werden, eine Dienstleistung innerhalb der EU in Anspruch zu nehmen. Jedenfalls habe er Anspruch auf Erteilung der Zustimmung zum Auslandsaufenthalt gehabt, da sich das Ermessen in § 16 Abs 4 SGB V auf Null reduziert habe. In Fällen, in denen AU unstreitig festgestellt worden sei und keine Missbrauchsgefahr bestehe, bliebe für Ermessenserwägungen kein Raum. Dies folge schon aus den Gesetzesmaterialien zu den Vorläufervorschriften der RVO. Es komme nicht darauf an, ob sich der Versicherte im In- oder Ausland gesundheitsfördernd verhalte. Auf die Möglichkeit einer Leistungsversagung wegen fehlender Mitwirkung sei der Kläger nicht hingewiesen worden.

Hiergegen richtet sich die Revision der Beklagten. Sie rügt die Verletzung materiellen Rechts (§ 16 Abs 4 SGB V). Das LSG sei unzutreffend von einer Ermessensreduzierung auf Null ausgegangen. Die europarechtlichen Vorschriften zur Arbeitnehmerfreizügigkeit (Art 45 AEUV) und zu den Leistungen bei Krankheit (Art 19, 21 VO <EG> 883/2004) richteten sich nicht an Touristen, die bei bestehender AU in das Ausland reisten. Doch selbst wenn der Geldleistungsexport nach Art 21 VO (EG) 883/2004 Anwendung fände, sei die Beklagte berechtigt gewesen, die Krg-Zahlung ruhen zu lassen.

Vorinstanzen:
Sozialgericht Halle - S 16 KR 33/15, 15.03.2017
Landessozialgericht Sachsen-Anhalt - L 6 KR 97/17, 19.04.2018

Terminbericht

Die Revision der Beklagten ist ohne Erfolg geblieben. Das LSG hat im Ergebnis zu Recht entschieden, dass der Kläger Anspruch auf Krankengeld (Krg) auch während seines Urlaubs in Dänemark hatte. Die Beklagte durfte die Zustimmung zum Auslandsaufenthalt nicht verweigern. Die Erteilung der Zustimmung stand nicht im Ermessen und war durch eine Anfechtungs- und Verpflichtungsklage zu erstreiten.

Für den Anspruch auf Krg beim Auslandsaufenthalt in einem Mitgliedstaat der EU gilt die europäische Regelung zum Geldleistungsexport (Art 21 VO <EG> 883/2004). Danach haben Versicherte, die sich in einem anderen als dem zuständigen Mitgliedstaat aufhalten, Anspruch auf Geldleistungen, die vom zuständigen Träger nach den für ihn geltenden Rechtsvorschriften erbracht werden. Dementsprechend richtet sich der Leistungsanspruch auf Krg hier nach dem SGB V, dessen Voraussetzungen das LSG aufgrund ärztlich lückenlos attestierter Arbeitsunfähigkeit (AU) während des gesamten streitigen Zeitraums bindend festgestellt hat. Das grundsätzlich angeordnete Ruhen von Leistungen nach § 16 Abs S 1 Nr 1 SGB V während eines Auslandsaufenthaltes kam vorliegend nicht zum Tragen. Die Beklagte musste die vom Kläger begehrte Zustimmung zum Auslandsaufenthalt nach § 16 Abs 4 SGB V erteilen.

Das Zustimmungserfordernis der Krankenkasse zum Auslandsaufenthalt nach Eintritt der AU bezweckt die verwaltungsmäßige Überprüfung der gesetzlichen Voraussetzungen des Krg-Anspruchs und dient der Vorbeugung von Leistungsmissbrauch. Das gleiche Ziel verfolgen die europäischen Verfahrensvorschriften bei Geldleistungen wegen AU bei Aufenthalt in einem anderen als dem zuständigen Mitgliedstaat (vgl Art 27 Abs 6 ff VO <EG> 987/2009). Liegen die Voraussetzungen für einen Krg-Anspruch aber unzweifelhaft vor, bestehen keine rechtlichen Anknüpfungspunkte für gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbare Ermessenserwägungen, die der Zustimmung entgegenstehen könnten.

Soweit die Beklagte aus dem Blickwinkel des Wirtschaftlichkeitsgebots (§ 12 Abs 1 SGB V) heraus Bedenken gegen die Reise wegen der Verschlimmerung des Gesundheitszustandes und der möglichen Verlängerung der AU erhoben hat, hat sie daraus keine rechtlichen Konsequenzen gezogen. Nach den Feststellungen des LSG hat sie den Kläger nicht zu entsprechenden Mitwirkungshandlungen, etwa zur Teilnahme an einer ärztlichen Untersuchung oder Heilbehandlung aufgefordert. Kommt - wie hier - eine Leistungsbeschränkung bei Selbstverschulden nicht in Betracht, obliegen dem arbeitsunfähig Versicherten - unabhängig von dem Ziel der Reise - nur die gesetzlich normierten Mitwirkungspflichten, die nach entsprechendem Hinweis sanktioniert werden können (vgl § 66 Abs 1 bis 3 SGB I; ähnlich Art 27 Abs 4 S 2 und Abs 6 VO <EG> 987/2009). Ob die Verweigerung der Zustimmung die primärrechtlich verankerte Dienstleistungsfreiheit (Art 56 AEUV) bzw die Personenfreizügigkeit aus der Unionsbürgerschaft (Art 20, 21 AEUV) verletzt hat, konnte der Senat offen lassen.

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