Bundessozialgericht

Verhandlung B 5 RS 2/18 R

Verhandlungstermin 27.06.2019 11:30 Uhr

Terminvorschau

J.S. ./. Bundesrepublik Deutschland
Die Beteiligten streiten im Überprüfungsverfahren darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, Verpflegungsgeld, das der Kläger als Angehöriger der Zollverwaltung der ehemaligen DDR erhalten hat, nach § 6 Abs 1 S 1 AAÜG als Arbeitsentgelt festzustellen.

Der Kläger war Mitarbeiter der Zollverwaltung der ehemaligen DDR. Mit Bescheid vom 1.3.2001 stellte die Beklagte die Zeit vom 1.6.1962 bis 30.11.1991 als Zeit der Zugehörigkeit des Klägers zum Sonderversorgungssystem der Zollverwaltung der DDR und die erzielten Arbeitsentgelte fest. Einen Überprüfungsantrag auf zusätzliche Berücksichtigung von Verpflegungsgeld als Arbeitsentgelt lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 15.9.2008 und Widerspruchsbescheid vom 23.9.2009 ab. Die dagegen gerichtete Klage ist erfolglos geblieben.

Das LSG hat die Beklagte verpflichtet, von 1968 bis 1990 gezahltes Verpflegungsgeld als Arbeitsentgelt festzustellen. Nach der Rechtsprechung des BSG bestimme sich der Begriff des Arbeitsentgeltes iS des § 6 Abs 1 S 1 AAÜG nach § 14 SGB IV. Liege Arbeitsentgelt in diesem Sinne vor, sei weiter zu prüfen, ob ausnahmsweise ein Ausschluss vorliege. Ein solcher komme in Betracht, wenn nach § 17 SGB IV iVm § 1 ArEV Lohnsteuerfreiheit bestehe; soweit es dabei auf Vorschriften des Steuerrechts ankomme, sei das am 1.8.1991 geltende Steuerrecht maßgeblich. Auf der Grundlage des von ihm festgestellten DDR-Rechts (ua Besoldungsordnungen, Verpflegungsordnungen) ist das LSG zu der Auffassung gelangt, dass es sich bei dem Verpflegungsgeld um Arbeitsentgelt gehandelt habe, das nach dem am 1.8.1991 geltenden Steuerrecht nicht steuerfrei gewesen sei, weil es nicht im ganz überwiegenden eigenbetrieblichen Interesse des Arbeitgebers gezahlt worden sei. Das LSG hat die Revision zugelassen, weil trotz gleicher Ausgangslage keine einheitliche Rechtsprechung der LSGe ergehe und eine Klärung durch das BSG auch im Hinblick auf die Vielzahl betroffener Zollbediensteter zur Wahrung der Rechtseinheit erforderlich erscheine.

Die Beklagte begründet ihre Revision im Wesentlichen damit, dass Verpflegungsgeld kein Arbeitsentgelt gewesen sei, weil es nicht aus der Beschäftigung erzielt worden sei und keine Gegenleistung für die erbrachte Arbeit darstelle. Es habe sich um eine arbeitgeberseitige Zahlung mit betriebsfunktionaler Zielsetzung gehandelt.

Vorinstanzen:
Sozialgericht Berlin - S 78 R 5121/09, 20.06.2014
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg - L 3 R 209/16 WA, 15.03.2018

Terminbericht

Die Revision der Beklagten hat Erfolg. Das LSG hat zu Unrecht das klageabweisende Urteil des SG aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, das von 1962 bis 1991 gezahlte Verpflegungsgeld als Arbeitsentgelt festzustellen. Hierauf hat der Kläger keinen Anspruch.

Der Senat ist nicht an einer Überprüfung des Anspruchs unter Berücksichtigung des DDR-Rechts gehindert, aus dem sich der Sinn des Verpflegungsgeldes ergibt. An der Rechtsprechung, wonach die abstrakt-generellen Regelungen des DDR-Rechts als generelle Anknüpfungstatsachen zu qualifizieren sind, an deren Feststellung das Revisionsgericht gebunden ist, hält der Senat nicht fest. Er geht vielmehr davon aus, dass für die Auslegung des Begriffs des Arbeitsentgeltes iS des § 6 Abs 1 S 1 AAÜG nach § 14 SGB IV die Vorschriften des DDR-Rechts wegen ihres abstrakt-generellen Charakters wie alle allgemeinen generellen Tatsachen auch vom Revisionsgericht ermittelt und überprüft werden können. Mit dem Zweck der Revision, eine einheitliche Rechtsanwendung zu gewährleisten, wäre es nicht vereinbar, wenn eine Rechtsvorschrift des Bundes von den Landessozialgerichten unterschiedlich ausgelegt werden könnte, ohne dass das Ergebnis der Auslegung einer revisionsgerichtlichen Prüfung zugänglich wäre.

Die Überprüfung unter Berücksichtigung der hier einschlägigen Vorschriften des DDR-Rechts führt zu dem Ergebnis, dass es sich bei dem an den Kläger gezahlten Verpflegungsgeld nicht um Arbeitsentgelt handelte, sondern um eine Zahlung mit betriebsfunktionaler Zielsetzung. Nach der Rechtsprechung des BFH ist zwar grundsätzlich davon auszugehen, dass die unentgeltliche Essensgewährung durch den Arbeitgeber als Arbeitslohn anzusehen ist und damit der Lohnsteuerpflicht unterliegt. Es ist aber nach dieser Rechtsprechung zu fragen, ob durch den mit der Unentgeltlichkeit verbundenen Vorteil die Arbeitsleistung zusätzlich entgolten werden soll oder ob es sich um eine davon losgelöste Maßnahme des Arbeitgebers handelt. Letzteres ist hier der Fall. Das Verpflegungsgeld wurde nach den einschlägigen Besoldungsordnungen stets zusätzlich zur normalen Besoldung gezahlt. Bei seiner Zahlung standen eigenbetriebliche Interessen des Arbeitgebers im Vordergrund. Bereits nach der Entstehungsgeschichte diente die Einführung einer kostenlosen Verpflegung der Mitarbeiter der Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit der Zollverwaltung der DDR. Verpflegungsgeld wurde zunächst nur an diejenigen gezahlt, die nicht in Gemeinschaftsunterkünften wohnten und dort Vollverpflegung erhielten. Das Verpflegungsgeld diente ebenso wie die Vollverpflegung stets dem Ziel, die körperliche volle Einsatzfähigkeit der Bediensteten der Zollverwaltung sicherzustellen. Es bestand eine grundsätzliche Pflicht zur Annahme der kostenlosen Verpflegung als Sachbezug, sofern eine solche gewährleistet war. In den Besoldungs- bzw Verpflegungsordnungen ist korrespondierend damit eine Pflicht zur zweckgebundenen Verwendung des Verpflegungsgeldes vorgesehen. Es stand mithin nicht, wie dies für Arbeitsentgelt typisch ist, zur freien Verfügung der Empfänger. Die Zahlung entfiel, soweit anderweitig, etwa in einem Krankenhaus, Verpflegung gewährt wurde. Dass das Verpflegungsgeld als Mittel zur Nahrungsbeschaffung und damit zur Deckung eines existenziellen Bedarfs diente, spricht aus Sicht des Senats ebensowenig für den Charakter als Entlohnung wie die nicht unerhebliche Höhe des Verpflegungsgeldes im Verhältnis zur Besoldung.

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