Bundessozialgericht

Verhandlung B 12 R 25/18 R

Verhandlungstermin 19.09.2019 10:00 Uhr

Terminvorschau

Die Klägerinnen in allen Revisionsverfahren waren in den streitbefangenen Zeiträumen Familiengesellschaften in der Rechtsform einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH). Sie wenden sich gegen die Feststellung von Versicherungspflicht ihrer Geschäftsführer durch die beklagte Deutsche Rentenversicherung Bund und daraus resultierende Nachforderungen von Beiträgen zur Sozialversicherung aufgrund von Betriebsprüfungen. Klage und Berufung sind in allen Verfahren ohne Erfolg geblieben.

Die klagenden Gesellschaften rügen eine Verletzung von § 7 Abs 1 SGB IV in Verbindung mit dem sich aus dem Rechtsstaatsprinzip ergebenden Grundsatz des Vertrauensschutzes. Sie berufen sich im Wesentlichen darauf, dass sie aufgrund der sogenannten "Kopf und Seele"-Rechtsprechung darauf vertrauen durften, dass ihre Geschäftsführer selbständig tätig und damit nicht versicherungspflichtig gewesen seien. Nach dieser Rechtsprechung habe eine rechtlich bestehende Abhängigkeit von Ge-schäftsführern in Familiengesellschaften durch die tatsächlichen Verhältnisse überlagert werden und eine selbstständige Tätigkeit etwa vorliegen können, wenn ein Geschäftsführer aufgrund seiner Stellung in der Familie die Geschäfte der Gesellschaft wie ein Alleingesellschafter nach eigenem Gutdünken geführt und die Ordnung des Betriebes geprägt habe, er "Kopf und Seele" des Unternehmens gewesen sei oder er - wirtschaftlich gesehen - seine Tätigkeit nicht wie für ein fremdes, sondern wie für ein eigenes Unternehmen ausgeübt habe.

Die klagenden Gesellschaften machen geltend, dass mindestens bis zu den Urteilen des Senats vom 29.8.2012 (B 12 KR 25/10 R und B 12 R 14/10 R) eine ständige und gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung bestanden habe, von der sie als Familiengesellschaften auch insofern profitiert hätten, als ihre Geschäftsführer nicht als abhängig beschäftigt und versicherungspflichtig zu beurteilen gewesen wären. Erst im Jahr 2012 habe der Senat Zweifel an einer Anwendbarkeit der "Kopf und Seele"-Rechtsprechung im Versicherungs- und Beitragsrecht geäußert. Die beklagte Deutsche Rentenversicherung Bund habe ihre Weisungslage im Jahr 2014 an die Änderung dieser Rechtsprechung angepasst.

Autohaus K. GmbH ./. Deutsche Rentenversicherung Bund und Beigeladene
Die klagende GmbH wurde mit Gesellschaftsvertrag vom 27.12.2002 gegründet. Gesellschafter sind die Beigeladenen zu 1. und 2., die miteinander verheiratet sind, sowie der Bruder der Beigeladenen zu 2. Alle Gesellschafter sind zu Geschäftsführern bestellt. Vom Stammkapital der Gesellschaft halten der Bruder der Beigeladenen zu 2. 51 vH, die Beigeladene zu 2. 26 vH und der Beigeladene zu 1. 23 vH. Der Gesellschaftsvertrag sieht für die Beschlussfassung grundsätzlich die einfache Mehrheit und ausnahmsweise Mehrheiten von 75 vH der abgegebenen Stimmen vor. Der Bruder der Beigeladenen zu 1. ist als "Werkstattleiter, After Sales" tätig, der Beigeladene zu 1. verantwortet den Geschäftsbereich "Leiter Neu- und Gebrauchtfahrzeuge" und die Beigeladene zu 2. die "Kaufmännische Abteilung/Buchhaltung".

Im jeweils geschlossenen Geschäftsführervertrag ist unter anderem geregelt, dass die Beigeladenen zu 1. und 2. Anspruch auf eine jährliche feste Vergütung, zahlbar in 13 gleichen Monatsraten, zuzüglich einer erfolgsabhängigen Tantieme, Reisekostenerstattung, einen auch privat nutzbaren PKW, Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall für sechs Monate und Erholungsurlaub von 30 Arbeitstagen für das Kalenderjahr haben. Die Beigeladenen zu 1. und 2. haben Bürgschaften zu Gunsten der klagenden GmbH übernommen.

Beiträge zur Sozialversicherung führte die klagende GmbH seit Aufnahme der Tätigkeit der Beigeladenen zu 1. und 2. nicht ab. In den turnusgemäß durchgeführten Betriebsprüfungen beanstandete die beklagte Deutsche Rentenversicherung Bund dies für die bis zum 31.12.2010 reichenden Prüfungszeiträume zunächst nicht. Für den Prüfzeitraum 1.1.2011 bis 31.12.2014 stellte sie mit Bescheid vom 25.4.2016 die Versicherungspflicht der Beigeladenen zu 1. und 2. in der gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) und nach dem Recht der Arbeitsförderung aufgrund Beschäftigung fest und forderte Beiträge in Höhe von insgesamt 115.325,53 Euro nach.

Vorinstanzen:
Sozialgericht Köln - S 40 R 1235/16, 20.09.2017
Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen - L 8 R 884/17, 27.06.2018

Sämtliche Vorschauen zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in der Terminvorschau 41/19.

Terminbericht

Die vier Revisionen (B 12 R 25/18 R, B 12 KR 21/19 R, B 12 R 7/19 R und B 12 R 9/19 R) der klagenden GmbHs sind zwar ausnahmslos ohne Erfolg geblieben. Der Senat hat die Verfahren allerdings zum Anlass genommen, seine Rechtsprechung zu beanstandungslosen Betriebsprüfungen im Hinblick auf die grundrechtsrelevante Indienstnahme der Arbeitgeber für Zwecke der Sozialversicherung fortzuentwickeln, um mehr Rechtssicherheit zu schaffen. Künftig ist auch bei beanstandungsfreien Betriebsprüfungen das Verfahren gemäß § 28p Abs 1 Satz 5 SGB IV durch einen Verwaltungsakt abzuschließen, der insbesondere den Umfang, die geprüften Personen und das Ergebnis der Betriebsprüfung festhält. Dies ergibt sich insbesondere aus der Einführung von § 7 Abs 4 S 2 BVV zum 1.1.2017, wonach der Arbeitgeber durch den Prüfbescheid oder das Abschlussgespräch zur Prüfung Hinweise zu den festgestellten Sachverhalten erhalten soll, um in den weiteren Verfahren fehlerhafte Angaben zu vermeiden.

Nach wie vor sind zwar die betriebsprüfenden Rentenversicherungsträger bei der Definition des Gegenstands einer Betriebsprüfung grundsätzlich frei (vgl § 11 Abs 1 S 1 BVV). Aus dem systematischen Zusammenspiel der Regelungen über die Statusfeststellung und der vom Gesetzgeber festgestellten Schutzbedürftigkeit des in § 7a Abs 1 S 2 SGB IV genannten Personenkreises folgt aber, dass sich die Betriebsprüfung zwingend auf die im Betrieb tätigen Ehegatten, Lebenspartner, Abkömmlinge des Arbeitgebers sowie geschäftsführenden GmbH-Gesellschafter erstreckt, sofern ihr sozialversicherungsrechtlicher Status nicht bereits durch Verwaltungsakt festgestellt ist.

Bei in der Vergangenheit abgeschlossenen beanstandungsfreien Betriebsprüfungen, die nicht durch einen hinsichtlich der Angabe von Gegenstand und Ergebnis der Prüfung hinreichend bestimmten Verwaltungsakt beendet wurden, mag zwar möglicherweise noch ein Anspruch auf Bescheidung des Arbeitgebers in Frage kommen. Damit kann aber kein Bestands- und Vertrauensschutz für die Vergangenheit begründet werden. Auch ist der Rentenversicherungsträger nicht verpflichtet, für vergangene Zeiträume zwischenzeitlich als rechtswidrig erkannte Feststellungen in dem zu erlassenden Verwaltungsakt zu treffen. Eine Selbstbindung der beklagten Deutschen Rentenversicherung Bund aufgrund einer früheren Verwaltungspraxis konnte schon deshalb nicht eintreten, weil den Behörden kein Spielraum bei der Beurteilung eingeräumt ist, ob eine Beschäftigung vorliegt.

Die in den vier Revisionen jeweils beigeladenen Geschäftsführer waren im Streitzeitraum entsprechend der gefestigten Rechtsprechung des Senats zu Fremd- und Gesellschafter-Geschäftsführern von GmbHs jeweils abhängig beschäftigt und daher versicherungspflichtig. Vertrauensschutz aufgrund vorangegangener Betriebsprüfungen bestand nicht, denn in den Verfahren, in denen es im Vorfeld des Streitzeitraumes beanstandungslose Betriebsprüfungen gegeben hatte, waren lediglich pauschal gehaltene sogenannte Prüfmitteilungen übersandt worden. Solche Schreiben stellen mangels Regelungsgehalts keinen Verwaltungsakt dar, der Grundlage für Vertrauensschutz sein könnte.

Die klagenden GmbHs können keinen Vertrauensschutz nach Art 20 Abs 3 GG aufgrund einer Änderung der sogenannten Kopf-und-Seele-Rechtsprechung beanspruchen. Im Grundsatz besteht kein schutzwürdiges Vertrauen in den Fortbestand höchstrichterlicher Rechtsprechung, sondern nur bei Hinzutreten weiterer Umstände, insbesondere bei einer in jeder Hinsicht gefestigten und langjährigen Rechtsprechung. Zwar haben die Leistungssenate des BSG in der Vergangenheit zur Beurteilung von Ansprüchen auf Sozialleistungen als Ausnahme von der Regel der Maßgeblichkeit der Rechtsmacht Personen trotz fehlender Mehrheit an der GmbH als selbständig und deshalb nicht leistungsberechtigt angesehen, wenn sie "Kopf und Seele" des Unternehmens waren. Auf diese als Ausnahme und nur nach Prüfung der Umstände des Einzelfalls entwickelte Rechtsprechung hat der für das Mitgliedschafts- und Beitragsrecht zuständige erkennende Senat nur sehr vereinzelt zurückgegriffen und die familiären Umstände lediglich als Teilaspekt in die Gesamtwürdigung der typusbildenden Kriterien einbezogen. Eine gefestigte "Kopf-und-Seele"-Rechtsprechung bestand nicht.

Die Revision der klagenden GmbH hatte keinen Erfolg. Die beigeladenen Gesellschafter-Geschäftsführer sind Minderheitsgesellschafter und verfügen über keine echte Sperrminorität. Der Beigeladene zu 1) verfügte über 26 %, die Beigeladene zu 2) über 23 % der Gesellschaftsanteile. Der Gesellschaftsvertrag sieht für eine Beschlussfassung grundsätzlich die einfache und nur für einzelne Geschäfte ein Mehrheit von 75 % vor. In diesen Fällen kommt eine Beschlussfassung zwar nur mit dem Einverständnis des Beigeladenen zu 1) in Betracht. Eine solche "unechte" Sperrminorität vermittelt aber nicht die für eine selbstständige Tätigkeit notwendige umfassende Rechtsmacht. Die vom LSG in Bezug genommenen Prüfmitteilungen für vorangegangene Betriebsprüfungen enthielten lediglich die Aussage, die stichprobenweise durchgeführte Prüfung habe keine Feststellungen ergeben. Mangels Regelungswirkung liegt damit kein Verwaltungsakt vor, der Anknüpfungspunkt für Bestands- und Vertrauensschutz hinsichtlich der Statusfrage der beigeladenen Geschäftsführer auch für die Zukunft sein könnte.

Sämtliche Berichte zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 41/19.

Hinweis zur Verwendung von Cookies

Wir verwenden ausschließlich Sitzungs-Cookies, die für die einwandfreie Funktion unserer Webseite erforderlich sind. Mit der Nutzung unserer Dienste erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir diese Cookies einsetzen. Unsere Informationen zum Datenschutz erhalten Sie über den Link Datenschutz.

OK