Bundessozialgericht

Verhandlung B 13 R 18/18 R

Verhandlungstermin 16.10.2019 11:30 Uhr

Terminvorschau

Ausführlich zum Hintergrund und Sachzusammenhang des Verfahrens siehe B 13 R 14/18 R.

V.H. ./. Deutsche Rentenversicherung Bund
Die 1951 geborene Klägerin ist Mutter zweier im Juli 1976 sowie im November 1979 geborener Kinder. Der RV-Träger bewilligte ihr ab Februar 2017 eine Regelaltersrente. Im Rahmen der Rentenberechnung begrenzte er bei 25 Monaten die zu berücksichtigenden EP (Ost) für KEZ wegen Erreichens des Höchstbetrags der Anlage 2b zum SGB VI nach Addition mit EP für sonstige Beitragszeiten.

Widerspruchs-, Klage- und Berufungsverfahren gegen die begrenzte Berücksichtigung der EP (Ost) sind erfolglos geblieben.

Vorinstanzen:
Sozialgericht Dresden - S 26 R 520/17, 04.09.2017
Sächsisches Landessozialgericht - L 4 R 761/17, 03.04.2018

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Terminbericht

In den Rechtsstreiten zu den Aktenzeichen B 13 R 14/18 R und B 13 R 18/18 R waren die Klägerinnen erfolglos. Der Senat hat ihre Revisionen zurückgewiesen. In den weiteren Verfahren haben sich die Beteiligten durch einen vorab geschlossenen Vergleich dem Ausgang der erst genannten Rechtsstreite unterworfen.

Die Klägerinnen haben keinen Anspruch auf höhere Regelaltersrente.

Zu Recht hat die Beklagte bei der Rentenberechnung Kindererziehungszeiten nicht oder nur in begrenztem Umfang rentenerhöhend berücksichtigt, soweit sie mit sonstigen Beitragszeiten zusammentreffen.

Einfachrechtlich ist dies nicht zu beanstanden. Denn nach § 70 Abs 2 SGB VI erhalten Kindererziehungszeiten für jeden Kalendermonat 0,0833 EP. Dies gilt grundsätzlich auch für Kindererziehungszeiten, die in einem Kalendermonat mit sonstigen Beitragszeiten - zB wegen Erwerbsarbeit - zusammenfallen. Dann werden die EP für sonstige Beitragszeiten zwar ebenfalls um 0,0833 EP für Kindererziehungszeiten erhöht, höchstens jedoch um die EP bis zum Erreichen der jeweiligen Höchstwerte nach Anlage 2b.

Von der Verfassungswidrigkeit dieser Regelung ist der Senat nicht überzeugt. Die höchstrichterliche Rechtsprechung hat sich bereits mehrfach mit der angegriffenen Regelung befasst und entschieden, dass die Ausgestaltung der Höchstwerte entsprechend der Beitragsbemessungsgrenze nicht verfassungswidrig ist (BSG Urteil vom 17.12.2002 - B 4 RA 46/01 R - SozR 3 2600 § 70 Nr 6; nachfolgend BVerfG Nichtannahmebeschluss vom 29.8.2007 - 1 BvR 858/03 - Juris; BSG Urteil vom 30.1.2003 - B 4 RA 47/02 R; BSG Urteil vom 18.5.2006 - B 4 RA 36/05 R - BSGE 96, 218 - 226 = SozR 4 2600 § 70 Nr 1; nachfolgend BVerfG Nichtannahmebeschluss vom 29.8.2007 - 1 BvR 2477/06 - unveröffentlicht und BSG Urteil vom 12.12.2006 - B 13 RJ 22/05 R = SozR 4 2600 § 70 Nr 2; BVerfG Nichtannahmebeschluss vom 16.12.2016 - 1 BvR 287/14 - Juris). Der Senat schließt sich dem aufgrund eigener Prüfung im Ergebnis an.

Die gegenteilige, insbesondere in den Vorlagebeschlüssen des SG Neubrandenburg an das BVerfG (SG Neubrandenburg vom 11.9.2008 und vom 12.1.2012 - S 4 RA 152/03 - Juris; nachfolgend BVerfG Beschluss vom 21.9.2016 - 1 BvL 6/12) vertretene Rechtsansicht, die von den Klägerinnen geteilt wird, veranlasst den Senat zu keiner Abkehr von dieser Rechtsprechung.

Die Regelung des § 70 Abs 2 Satz 2 SGB VI verstößt weder gegen Art 14 Abs 1 GG, noch gegen Art 6 Abs 1 GG iVm dem Sozialstaatsprinzip. Der Senat ist auch nicht davon überzeugt, dass ein Verstoß gegen Art 3 Abs 1 GG iVm Art 6 GG vorliegt. Dies gilt sowohl mit Blick auf die Ungleichbehandlung, weil sich die Kinderziehungszeiten wegen der Höchstwertbegrenzung nach § 70 Abs 2 Satz 2 SGB VI iVm Anlage 2b zum SGB VI nicht bei allen Elternteilen in gleicher Weise erhöhend auf den Rentenwert auswirken (1), als auch mit Blick auf die unterschiedliche Behandlung von Zugangsrentnern und sog Bestandsrentnern nach § 307d SGB VI (2).

(1) Anders als bei der früheren für verfassungswidrig erklärten Rechtslage (BVerfG Beschluss vom 12.3.1996 - 1 BvR 609/90 - BVerfGE 94, 241-267) liegt ein hinreichender Rechtfertigungsgrund für die Ungleichbehandlung infolge der Höchstwertbegrenzung durch Anlage 2b zum SGB VI vor. Die geltende Rechtslage unterscheidet sich von den Vorgängerregelungen bereits dadurch, dass Kindererziehungszeiten damals nur einen deutlich unterhalb dieser Grenze liegenden, spezifischen Wert erhielten (nur 75 % des Durchschnittseinkommens im Jahr = 6,25 Werteinheiten bzw 0,0625 EP mtl). Sonstige Beitragszeiten, zB auf Grund von Erwerbstätigkeit, konnten nur bis zu diesem Wert aber nicht um diesen Wert aufgestockt werden. Demgegenüber liegt dem geltenden Recht das additive Modell zugrunde; dies bedeutet eine zusätzliche Berücksichtigung der Kindererziehung mit dem (gegenüber der Vorgängerregelung höheren) Wert von 0,0833 EP auch für Erwerbstätige. Differenzierungskriterium ist nicht mehr die versicherte Erwerbstätigkeit als solche, sondern eine systemimmanente Grenze. Die Höchstwerte der Anlage 2b zum SGB VI entsprechen der Zahl an EP, die Versicherte mit einem Arbeitsentgelt in Höhe der Beitragsbemessungsgrenze jährlich maximal erzielen können. Die Beitragsbemessungsgrenze stellt ein sachgerechtes und angemessenes Differenzierungskriterium dar. Denn bei ihr handelt es sich um ein grundlegendes Strukturelement der gesetzlichen Rentenversicherung. Ihr immanent ist - quasi als Kehrseite - eine Leistungsbemessungsgrenze im Sinne einer Versicherungsschutzgrenze, die in Anlage 2b zum SGB VI abgebildet wird.

Daran ändert auch der Hinweis der Klägerinnen nichts, die Kindererziehung könne als nicht monetärer (Natural-)Beitrag durch die Beitragsbemessungsgrenze nicht begrenzt werden, weshalb nach dem versicherungsrechtlichen Prinzip der Äquivalenz von tatsächlich erbrachter Vorleistung und zu beanspruchender Gegenleistung ein höherer Rentenwert als bei kinderlosen Erwerbstätigen resultieren müsse. Die Vorleistung der Kindererziehung ist rechtlich völlig anders geartet als die entgeltliche Beschäftigung bzw pflichtversicherte selbständige Tätigkeit oder die Zahlung freiwilliger Beiträge. Denn sie kann im Unterschied zu den monetären Beiträgen nicht sogleich wieder in Form von Rentenzahlungen an die ältere Generation ausgeschüttet werden.

Auch aus der "Beitragszahlung" für Kindererziehungszeiten des Bundes nach § 177 SGB VI lässt sich nach dem Äquivalenzprinzip kein höherer Leistungsanspruch begründen. Denn dabei handelt es sich bereits nicht um Rentenversicherungsbeiträge, die nach dem Beitragsrecht (§§ 158 bis 167 SGB VI) bemessen sind und sich individuell zuordnen ließen.

Soweit die Klägerinnen die Auffassung vertreten, dass die Beitragsbemessungsgrenze wesentlich die Finanzierbarkeit der gesetzlichen Rentenversicherung bezwecke und diese nicht als Rechtfertigungsgrund für die Ungleichbehandlung herangezogen werden könne, weil die Beiträge für Kindererziehungszeiten durch Steuern finanziert würden (§ 177 SGB VI), führt auch dies den Senat zu keiner anderen Bewertung. Das Argument berücksichtigt bereits nicht, dass die Beitragsbemessungsgrenze bzw die Höchstwertbegrenzung über die Finanzierbarkeit hinaus auch die Stellung der Versicherten im Gesamtgefüge sichert und generell den Umfang des versicherten Schutzes bestimmt.

(2) Auch die unterschiedliche Behandlung von Zugangs- und Bestandsrentnern auf Grundlage von § 307d SGB VI veranlasst den Senat nicht zur Annahme der Verfassungswidrigkeit. Bei Bestandsrentnern wird die Zeit der Kindererziehung im zweiten Lebensjahr eines vor 1992 geborenen Kindes zwar pauschal durch einen Zuschlag an persönlichen EP und damit immer ungekürzt berücksichtigt. Es handelt sich für Bestandsrentner ausgehend vom gesetzlichen Normalfall des § 70 Abs 2 Satz 2 SGB VI damit um eine bevorzugende Pauschalierung. Eine gleichheitswidrige Benachteiligung der Zugangsrentner, wie der Klägerin, liegt jedoch nicht vor, weil die Differenzierung zwischen Bestands- und Zugangsrentnern insbesondere aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung gerechtfertigt ist.

Es liegt bei der Ungleichbehandlung von Bestands- und Zugangsrentnern auch keine Diskriminierung wegen der Herkunft vor (Art 3 Abs 3 GG). Es mag zwar zutreffen, dass es, bedingt durch unterschiedliches Erwerbsverhalten, Unterschiede bei der Häufigkeit der Höchstwertbegrenzung in Ost- und Westdeutschland gibt. § 70 Abs 2 Satz 2 SGB VI knüpft aber nicht - wie bei Art 3 Abs 3 GG erforderlich - unmittelbar an die Herkunft, sondern an systembedingte Berechnungskriterien an.

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