Bundessozialgericht

Verhandlung B 3 KR 4/19 R

Verhandlungstermin 07.05.2020 10:00 Uhr

Terminvorschau

B. ./. AOK Sachsen-Anhalt - Die Gesundheitskasse
Die im Jahr 1953 geborene Klägerin (Grad der Behinderung <GdB> 100; Merkzeichen B, G, H) ist bei der beklagten KK versichert. Sie lebt in einer stationären Einrichtung der Behindertenhilfe. Die behandelnde Ärztin verordnete der Klägerin am 20. und 25.1.2016 als Leistungen der häuslichen Krankenpflege (HKP) das einmal tägliche Anziehen von Kompressionsstrümpfen für die Zeit vom 1.2.2016 bis 2.2.2017. Die Anträge der Klägerin auf Kostenübernahme der HKP lehnte die Beklagte ab. Es handele sich um einfachste, medizinisch notwendige Leistungen der Behandlungspflege, die von der Einrichtung der Behindertenhilfe und nicht von der Beklagten zu erbringen seien.

Das SG hat die Klage abgewiesen. Das LSG hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen: Zwar sei das Wohnheim, in dem die Klägerin lebe, ein geeigneter Ort für die Erbringung von HKP iS von § 37 Abs 2 Satz 1 SGB V. Allerdings sei der Anspruch beschränkt, weil die Einrichtung zur Erbringung medizinischer Behandlungspflege verpflichtet sei, wenn sie diese aufgrund sächlicher und personeller Ausstattung selbst erbringen könne (Hinweis auf BSGE 118, 122 = SozR 4-2500 § 37 Nr 13). Da das BSG in seinem Urteil das An- und Ausziehen von Thrombosestrümpfen den einfachsten Maßnahmen der medizinischen Behandlungspflege zugeordnet habe, müsse damit auch das Anziehen von Kompressionsstrümpfen der Klasse II gemeint sein. Nach der HKP-Richtlinie seien Kompressionsstrümpfe nur bei Versicherten mit schweren gesundheitlichen Einschränkungen verordnungsfähig. Daraus folge, dass ansonsten jeder Laie in der Lage sei, sich Kompressionsstrümpfe anzuziehen. Dem stehe der zwischen der Klägerin und dem Heimträger abgeschlossene Wohn- und Betreuungsvertrag nicht entgegen, obwohl danach die Behandlungspflege ausgeschlossen sei; die Verpflichtung des Wohnheims dazu ergebe sich aus vorrangigem Recht.

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung von § 37 Abs 2 SGB V. Das Anziehen von Kompressionsstrümpfen stelle keine "einfachste Maßnahme" der Behandlungspflege im Sinne der Rechtsprechung des BSG dar. Daher sei die begehrte Leistung auch nicht von Einrichtungen der Eingliederungshilfe zu erbringen, wenn die Einrichtung ihrer Zweckbestimmung nach nicht selbst dafür ausgestattet sei, das fachgerechte Anziehen von ärztlich verordneten Kompressionsstrümpfen zu leisten. Aus der angeführten BSG-Rechtsprechung lasse sich keine Gleichsetzung des Anziehens von Kompressionsstrümpfen mit Thrombosestrümpfen herleiten.

Vorinstanzen:
Sozialgericht Dessau-Roßlau - S 21 KR 123/16, 14.6.2017
Landessozialgericht Sachsen-Anhalt - L 6 KR 56/17, 31.01.2018

Sämtliche Vorschauen zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in der Terminvorschau 13/20.

Terminbericht

Die Revision der Klägerin war im Sinne der Aufhebung des Beschlusses des LSG und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht zur erneuten Verhandlung und Entscheidung begründet. Der Senat konnte auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen des LSG nicht beurteilen, ob die Klägerin Anspruch auf Kostenübernahme für häusliche Krankenpflege (§ 37 Abs 2 Satz 1 SGB V) beim Anziehen von Kompressionsstrümpfen gegen die Beklagte hat oder ob die Einrichtung der Behindertenhilfe, in der die Klägerin lebt, diese Sachleistung als einfachste Maßnahme der Behandlungspflege selbst zu erbringen hatte. Der Ansicht des LSG, dass das Anziehen von Kompressionsstrümpfen mit dem von Thrombosestrümpfen gleichzusetzen sei, ist nicht zu folgen. Diese pauschale Schlussfolgerung kann weder dem Urteil des BSG vom 25.2.2015 (B 3 KR 11/14 R, BSGE 118, 122 = SozR 4 2500 § 37 Nr 13) entnommen werden noch entspricht sie der seinerzeit geltenden Häusliche Krankenpflege-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses. Dort wurde das An- und/oder Auskleiden von Antithrombose- und von Kompressionsstrümpfen der Kompressionsklasse I bei den Leistungen der "Grundpflege" im Bereich der Körperpflege (Nr 4 der Leistungsbeschreibung) verortet, während das An- oder Ausziehen von Kompressionsstrümpfen mit den höheren Kompressionsklassen II bis IV (Nr 31 der Leistungsbeschreibung) den Leistungen der "Behandlungspflege" zugeordnet war.

Welcher Leistungsträger den Anspruch auf Behandlungspflege zu erfüllen hatte, richtet sich entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen nach dem Aufgabenprofil, der Zweckrichtung, der personellen und sächlichen Ausstattung der Einrichtung (s dazu BSG aaO). Das LSG wird daher unter Beiladung des Trägers der Einrichtung feststellen müssen, ob die der Klägerin verordnete Hilfe beim Anziehen der Kompressionsstrümpfe unter Berücksichtigung ihrer gesundheitlichen Einschränkungen und der Kompressionsklasse noch vom vorhandenen Personal des Wohnheims zu erbringen war, oder ob diese nur durch medizinisch bzw pflegerisch ausgebildetes Personal fachgerecht erfolgen konnte.

Sämtliche Berichte zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 13/20.

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