Bundessozialgericht

Verhandlung B 3 KR 6/19 R

Verhandlungstermin 18.06.2020 10:00 Uhr

Terminvorschau

G. ./. DAK-Gesundheit
Die 1952 geborene, bei der beklagten KK versicherte Klägerin ist an einem Lymphödem und einem Lipödem erkrankt. Sie beantragte am 15.10.2013 bei der Beklagten die Versorgung mit einem Kompressionstherapiegerät unter Vorlage einer ärztlichen Verordnung und eines Kostenvoranschlags (Kosten insgesamt: 2589,44 Euro). Die Beklagte leitete den Antrag dem Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Nord (MDK) zur Begutachtung der Notwendigkeit weiter, ohne die Klägerin hierüber zu informieren. Der MDK kam am 27.2.2014 zu der Einschätzung, dass das verordnete Hilfsmittel aus medizinischer Sicht nicht notwendig sei, da dessen Nutzen bei Lipödemen nicht hinreichend belegt sei. Die Beklagte lehnte hierauf die beantragte Versorgung ab (Bescheid vom 5.3.2014; Widerspruchsbescheid vom 5.11.2014).

Das dagegen angerufene SG hat die Beklagte unter Aufhebung der genannten Bescheide verurteilt, die Klägerin mit dem Kompressionstherapiegerät SLK Pulse Press Multi 12 inklusiv passender Kompressionshose zu versorgen. Die beantragte Hilfsmittelversorgung gelte nach § 13 Abs 3a SGB V wegen Fristablaufs als genehmigt.

Während des Berufungsverfahrens hat die Beklagte die Klägerin zur beabsichtigten Rücknahme einer fingierten Genehmigung angehört und die "vermeintliche" fingierte Genehmigung (§ 13 Abs 3a SGB V) sodann "vorsorglich und hilfsweise" mit gesondertem Bescheid und Widerspruchsbescheid mit Wirkung für die Zukunft zurückgenommen (§ 45 SGB X); diese sei rechtswidrig, weil die Genehmigungsfiktion nicht für Hilfsmittel der medizinischen Rehabilitation - wie hier - anwendbar sei und auch nicht mit der materiellen Rechtslage übereinstimme. Eine hiergegen beim SG erhobene Klage ist ruhend gestellt worden.

Nach dem Hinweis der Klägerin im Berufungsverfahren, dass das vom SG zugesprochene Kompressionstherapiegerät nicht mehr im Handel zu beziehen sei und ein Äquivalenzgerät begehrt werde, hat das LSG die Berufung der Beklagten mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Versorgung mit einem AIK-Gerät mit 12-Kammer-System und Hosenmanschette zu erfolgen habe; es hat auf die Klage ferner den Aufhebungsbescheid in der Gestalt des Widerspruchsbescheids aufgehoben: Die Genehmigungsfiktion für die Versorgung mit einem Hilfsmittel zur Krankenbehandlung sei eingetreten. Der Anspruch auf die beantragte Versorgung mit dem nicht selbstbeschafften Hilfsmittel beziehe sich nun auf ein mit dem vom SG zugesprochenen Gerät vergleichbares Gerät. Die in das Berufungsverfahren einzubeziehende (§ 96 Abs 1 SGG) Rücknahme der fingierten Genehmigung sei mit Blick auf die Regelung in § 13 Abs 3a SGB V rechtswidrig.

Mit ihrer Revision rügt die Beklagte die Verletzung von § 13 Abs 3a SGB V. Zwar sei die Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs 3a SGB V eingetreten, aber durch deren Rücknahme nach § 45 SGB X erloschen. Auf die von der Klägerin begehrte Hilfsmittelversorgung bestehe kein Anspruch, weil sie medizinisch nicht notwendig sei.

Der Senat hat die Beteiligten in diesem Fall im Vorfeld des Termins ebenfalls auf das am 26.5.2020 verkündete Urteil des 1. Senats des BSG - B 1 KR 9/18 R - hingewiesen. Die Beklagte hat daraufhin ihren Aufhebungsbescheid aufgehoben und die Revision bezogen darauf zurückgenommen.

Vorinstanzen:
Sozialgericht Schleswig - S 5 KR 321/14, 12.12.2016
Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht - L 5 KR 163/16, 14.02.2019

Sämtliche Vorschauen zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in der Terminvorschau 21/20.

Terminbericht

Die Revision der beklagten Krankenkasse war im Sinne der Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen und Zurückverweisung der Sache an das LSG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung begründet.

Entgegen der Auffassung der Vorinstanzen hat die Klägerin keinen Anspruch auf die Versorgung mit dem begehrten Hilfsmittel als Sachleistung aufgrund einer fingierten Genehmigung nach § 13 Abs 3a Satz 6 SGB V. Diese begründet ihrem Inhalt nach keinen Sachleistungsanspruch, sondern nur einen - hier nicht den Gegenstand des Rechtsstreits betreffenden - Kostenerstattungsanspruch. Ob die Klägerin einen Anspruch auf das Hilfsmittel nach Maßgabe des § 33 SGB V hat, konnte der Senat auf der Grundlage der Tatsachenfeststellungen der Vorinstanz nicht abschließend entscheiden.

Die gesetzlich fingierte Genehmigung begründet keinen eigenständig durchsetzbaren Sachleistungsanspruch. Sie vermittelt nur eine vorläufige Rechtsposition, die zur Selbstbeschaffung berechtigt, und kann nur zu einem Anspruch auf Kostenerstattung bzw Kostenfreistellung führen. Der erkennende 3. Senat schließt sich insoweit der kürzlich geänderten Rechtsprechung des 1. Senats des BSG an (BSG Urteil vom 26.5.2020 - B 1 KR 9/18 R -; BSG-Terminvorschau 19/20 und Terminbericht 19/20, jeweils unter 1). Soweit der 3. Senat bisher - im Anschluss an die frühere Rechtsprechung des 1. Senats - ebenfalls von einem Sachleistungsanspruch bei Hilfsmitteln zur Sicherung des Erfolgs der Krankenbehandlung als Rechtsfolge einer fingierten Genehmigung ausgegangen ist (Urteil vom 15.3.2018 - B 3 KR 18/17 R - BSGE 125, 189 = SozR 4-2500 § 13 Nr 41, RdNr 15), hält er in diesem Punkt an seiner Rechtsprechung nicht mehr fest. Gegen einen eigenständig durchsetzbaren Sachleistungsanspruch als Rechtsfolge einer Genehmigungsfiktion sprechen die Systematik der Kostenerstattungsregelungen des § 13 SGB V, in die § 13 Abs 3a SGB V seit 2013 eingebettet ist, und die zur Entstehung des § 13 Abs 3a SGB V führenden Gesetzesmaterialien (vgl zB Regierungsentwurf BT-Drucks 17/10488 S 32). In diese Argumentation fügt sich ein, dass auch der seit 2018 geltenden Regelung einer Genehmigungsfiktion in § 18 SGB IX ("Erstattung selbstbeschaffter Leistungen") im Recht der Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen die Konzeption einer Kostenerstattungsregelung zu entnehmen ist, für die § 13 Abs 3a SGB V Vorbildcharakter haben sollte (vgl Regierungsentwurf BT-Drucks 18/9522 S 238).

Verfassungsrecht steht dieser Auslegung von § 13 Abs 3a SGB V nicht entgegen. Insbesondere folgt aus dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG nicht, dass eine fingierte Genehmigung nach nicht fristgemäßer Entscheidung über einen Leistungsantrag deshalb einen Anspruch auf die beantragte Sachleistung zur Rechtsfolge haben muss, damit (auch) mittellose Versicherte sich Leistungen zulasten der GKV verschaffen können, auf die materiell-rechtlich nach dem Leistungsrecht des SGB V kein Anspruch besteht. Entscheidend bleibt, dass alle Versicherten nach den gleichen rechtlichen Grundsätzen Zugang zu den Sachleistungsansprüchen der GKV haben. Dass finanziell besser gestellte Versicherte sich eine (umstrittene) Leistung grundsätzlich einfacher auf ihre Kosten beschaffen können, war schon bisher auch bei der Anwendung des § 13 Abs 3 SGB V (= Kostenerstattung für selbstbeschaffte Leistungen in einem Notfall bzw bei nach vorherigem Antrag zu Unrecht erfolgter Ablehnung) möglich, ohne dass die Rechtsprechung des BSG dies als verfassungswidrig eingestuft hat.

Eine Kostenerstattung oder auch nur Kostenfreistellung wurde vorliegend von der Klägerin nicht begehrt. Nach den für den Senat maßgeblichen Feststellungen der Vorinstanzen waren auch Selbstbeschaffungen der beantragten Hilfsmittel bis dahin nicht erfolgt. Der Senat konnte deshalb offenlassen, ob jeweils eine Genehmigungsfiktion eingetreten ist.

Ein Sachleistungsanspruch der Klägerin auf das Hilfsmittel kann jedoch nach Maßgabe des § 33 SGB V bestehen. Der sachliche Anwendungsbereich des § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V ist eröffnet, weil es sich nach den bindenden Feststellungen der Vorinstanzen bei den beantragten Leistungen nach deren allgemeiner Einordnung jeweils um Hilfsmittel handelt. Ob nach Maßgabe der weiteren Leistungsvoraussetzungen des § 33 SGB V ein Anspruch der Klägerin auf Versorgung mit diesen Hilfsmitteln besteht, konnte der Senat nicht abschließend selbst entscheiden. Die Vorinstanzen haben - nach ihrer von einem Sachleistungsanspruch aufgrund fingierter Genehmigung ausgehenden Rechtsauffassung folgerichtig - hierzu keine Feststellungen getroffen. Das LSG wird jeweils die fehlenden Feststellungen im Berufungsverfahren nachzuholen haben und muss gestützt hierauf über den geltend gemachten Anspruch der Klägerin auf Hilfsmittelversorgung neu entscheiden.

Sämtliche Berichte zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 21/20.

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