Bundessozialgericht

Verhandlung B 3 KR 14/18 R

Verhandlungstermin 18.06.2020 10:00 Uhr

Terminvorschau

E. ./. Deutsche Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See als Trägerin der Krankenversicherung
Die 1995 geborene, bei der beklagten Krankenkasse (KK) versicherte Klägerin ist im Gesundheitswesen mit einer überwiegend stehenden Tätigkeit im Schichtdienst berufstätig. Sie ist an einem Lipödem mit Lymphödem (hereditäres Lipo-Lymphödem Grad II) beiderseits erkrankt. Die Klägerin beantragte am 22.11.2016 bei der Beklagten die Versorgung mit einem Lymphdrainagegerät unter Vorlage einer ärztlichen Verordnung und eines Kostenvoranschlags (Kosten insgesamt: 3345,09 Euro). Die Beklagte leitete den Antrag dem Sozialmedizinischen Dienst (SMD) zur Begutachtung der Notwendigkeit weiter, ohne die Klägerin hierüber zu informieren. Der SMD kam am 5.1.2017 zu der Einschätzung, dass aus medizinischer Sicht das verordnete Hilfsmittel nicht notwendig sei, da bereits eine ausreichende und zweckmäßige Versorgung erreicht sei. Er empfahl die Fortführung einer manuellen Lymphdrainage. Die Beklagte lehnte hierauf die beantragte Versorgung ab (Bescheid vom 24.1.2017). Während des Widerspruchsverfahrens hörte sie die Klägerin zur beabsichtigten Rücknahme einer fingierten Genehmigung an und nahm die Genehmigung (§ 13 Abs 3a SGB V) sodann mit Wirkung für die Zukunft zurück (§ 45 SGB X); die Genehmigung sei rechtswidrig, weil sie nicht mit der materiellen Rechtslage übereinstimme (Bescheid vom 13.4.2017). Den Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte zurück.

Das dagegen angerufene SG hat die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide vom 24.1.2017 und 13.4.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids verurteilt, die Kosten für ein Lymphdrainagegerät (lympha-mat 300 mit 12-Kammer-System und Ganzbeinmanschetten) zu übernehmen. Die beantragte Versorgung mit dem nicht selbstbeschafften Hilfsmittel gelte wegen des Ablaufs der in § 13 Abs 3a Satz 1 SGB V geregelten 3- bzw 5-Wochen-Frist für die Bescheidung des Antrags durch die Beklagte als genehmigt. Die eingetretene Genehmigungsfiktion sei nicht wirksam aufgehoben worden, da die Rücknahmevoraussetzungen nicht erfüllt seien. Zudem sei die medizinische Notwendigkeit des Hilfsmittels nicht fernliegend.

Mit ihrer Sprungrevision rügt die Beklagte die Verletzung von § 45 SGB X und §§ 2, 12 und 13 Abs 3a SGB V. Zwar sei die Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs 3a SGB V eingetreten, aber durch deren Rücknahme nach § 45 SGB X erloschen. Auf die von der Klägerin begehrte Hilfsmittelversorgung bestehe kein Anspruch, weil die Versorgung nicht dem Wirtschaftlichkeitsgebot entspreche.

Der Senat hat die Beteiligten im Vorfeld des Termins auf das am 26.5.2020 im Revisionsverfahren B 1 KR 9/18 R verkündete Urteil des 1. Senats des BSG hingewiesen, nach dem eine fingierte Genehmigung nach § 13 Abs 3a Satz 6 SGB V keinen eigenständigen Sachleistungsanspruch begründe und mangels Rechtsqualität als "Verwaltungsakt" eine Aufhebung einer fingierten Genehmigung nach § 45 SGB X nicht in Betracht komme (BSG-Terminvorschau 19/20 und Terminbericht 19/20, jeweils unter 1). Hierauf hat die Beklagte ihren Aufhebungsbescheid vom 13.4.2017 aufgehoben und die Revision insoweit zurückgenommen.

Vorinstanz:
Sozialgericht Düsseldorf - S 8 KN 1459/17 KR, 28.06.2018

Sämtliche Vorschauen zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in der Terminvorschau 21/20.

Terminbericht

Die Revision der beklagten Krankenkasse war im Sinne der Aufhebung der Entscheidung der Vorinstanz und Zurückverweisung der Sache an das LSG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung begründet.

Entgegen der Auffassung der Vorinstanz hat die Klägerin keinen Anspruch auf die Versorgung mit dem begehrten Hilfsmittel als Sachleistung aufgrund einer fingierten Genehmigung nach § 13 Abs 3a Satz 6 SGB V. Diese begründet ihrem Inhalt nach keinen Sachleistungsanspruch, sondern nur einen - hier nicht den Gegenstand des Rechtsstreits betreffenden - Kostenerstattungsanspruch. Ob die Klägerin einen Anspruch auf das Hilfsmittel nach Maßgabe des § 33 SGB V hat, konnte der Senat auf der Grundlage der Tatsachenfeststellungen der Vorinstanz nicht abschließend entscheiden.

Die gesetzlich fingierte Genehmigung begründet keinen eigenständig durchsetzbaren Sachleistungsanspruch. Sie vermittelt nur eine vorläufige Rechtsposition, die zur Selbstbeschaffung berechtigt, und kann nur zu einem Anspruch auf Kostenerstattung bzw Kostenfreistellung führen. Der erkennende 3. Senat schließt sich insoweit der kürzlich geänderten Rechtsprechung des 1. Senats des BSG an (BSG Urteil vom 26.5.2020 - B 1 KR 9/18 R -; BSG-Terminvorschau 19/20 und Terminbericht 19/20, jeweils unter 1). Soweit der 3. Senat bisher - im Anschluss an die frühere Rechtsprechung des 1. Senats - ebenfalls von einem Sachleistungsanspruch bei Hilfsmitteln zur Sicherung des Erfolgs der Krankenbehandlung als Rechtsfolge einer fingierten Genehmigung ausgegangen ist (Urteil vom 15.3.2018 - B 3 KR 18/17 R - BSGE 125, 189 = SozR 4-2500 § 13 Nr 41, RdNr 15), hält er in diesem Punkt an seiner Rechtsprechung nicht mehr fest. Gegen einen eigenständig durchsetzbaren Sachleistungsanspruch als Rechtsfolge einer Genehmigungsfiktion sprechen die Systematik der Kostenerstattungsregelungen des § 13 SGB V, in die § 13 Abs 3a SGB V seit 2013 eingebettet ist, und die zur Entstehung des § 13 Abs 3a SGB V führenden Gesetzesmaterialien (vgl zB Regierungsentwurf BT-Drucks 17/10488 S 32). In diese Argumentation fügt sich ein, dass auch der seit 2018 geltenden Regelung einer Genehmigungsfiktion in § 18 SGB IX ("Erstattung selbstbeschaffter Leistungen") im Recht der Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen die Konzeption einer Kostenerstattungsregelung zu entnehmen ist, für die § 13 Abs 3a SGB V Vorbildcharakter haben sollte (vgl Regierungsentwurf BT-Drucks 18/9522 S 238).

Verfassungsrecht steht dieser Auslegung von § 13 Abs 3a SGB V nicht entgegen. Insbesondere folgt aus dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG nicht, dass eine fingierte Genehmigung nach nicht fristgemäßer Entscheidung über einen Leistungsantrag deshalb einen Anspruch auf die beantragte Sachleistung zur Rechtsfolge haben muss, damit (auch) mittellose Versicherte sich Leistungen zulasten der GKV verschaffen können, auf die materiell-rechtlich nach dem Leistungsrecht des SGB V kein Anspruch besteht. Entscheidend bleibt, dass alle Versicherten nach den gleichen rechtlichen Grundsätzen Zugang zu den Sachleistungsansprüchen der GKV haben. Dass finanziell besser gestellte Versicherte sich eine (umstrittene) Leistung grundsätzlich einfacher auf ihre Kosten beschaffen können, war schon bisher auch bei der Anwendung des § 13 Abs 3 SGB V (= Kostenerstattung für selbstbeschaffte Leistungen in einem Notfall bzw bei nach vorherigem Antrag zu Unrecht erfolgter Ablehnung) möglich, ohne dass die Rechtsprechung des BSG dies als verfassungswidrig eingestuft hat.

Eine Kostenerstattung oder auch nur Kostenfreistellung wurde vorliegend von der Klägerin nicht begehrt. Nach den für den Senat maßgeblichen Feststellungen der Vorinstanz war auch Selbstbeschaffungen der beantragten Hilfsmittel bis dahin nicht erfolgt. Der Senat konnte deshalb offenlassen, ob jeweils eine Genehmigungsfiktion eingetreten ist.

Ein Sachleistungsanspruch der Klägerin auf das Hilfsmittel kann jedoch nach Maßgabe des § 33 SGB V bestehen. Der sachliche Anwendungsbereich des § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V ist eröffnet, weil es sich nach den bindenden Feststellungen der Vorinstanzen bei den beantragten Leistungen nach deren allgemeiner Einordnung jeweils um Hilfsmittel handelt. Ob nach Maßgabe der weiteren Leistungsvoraussetzungen des § 33 SGB V ein Anspruch der Klägerin auf Versorgung mit diesen Hilfsmitteln besteht, konnte der Senat nicht abschließend selbst entscheiden. Die Vorinstanzen haben - nach ihrer von einem Sachleistungsanspruch aufgrund fingierter Genehmigung ausgehenden Rechtsauffassung folgerichtig - hierzu keine Feststellungen getroffen. Das LSG wird jeweils die fehlenden Feststellungen im Berufungsverfahren nachzuholen haben und muss gestützt hierauf über den geltend gemachten Anspruch der Klägerin auf Hilfsmittelversorgung neu entscheiden.

Sämtliche Berichte zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 21/20.

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