Bundessozialgericht

Verhandlung B 14 AS 37/19 R

Verhandlungstermin 03.09.2020 11:00 Uhr

Terminvorschau

1. A. G., 2. I. S., 3. S. S. ./. Jobcenter Berlin-Mitte
Umstritten ist die Höhe der Leistungen für Unterkunft und Heizung von April bis September 2011.

Der Kläger zu 1 und die Klägerin zu 2 sind Lebenspartner, der 1995 geborene Kläger zu 3. ist der Sohn der Klägerin. Sie wohnten gemeinsam in einer Wohnung, für die insgesamt 724,47 Euro Bruttowarmmiete zu zahlen waren. Das beklagte Jobcenter bewilligte ihnen entsprechend einem vorherigen Hinweis Alg II unter Anerkennung von nur 542 Euro für Unterkunft und Heizung und lehnte eine Änderung im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens ab.

Das SG hat die Bescheide geändert und den Beklagten verurteilt, den Klägern weitere Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe von insgesamt monatlich 53,79 Euro zu bewilligen. Das LSG hat die Berufungen der Kläger zurückgewiesen. Die Kläger hätten Anspruch auf Leistungen für Unterkunft und Heizung nur in angemessener Höhe. Die angemessene Quadratmetermiete ergebe sich nicht aus den Festlegungen des Beklagten, sondern aus dem qualifizierten Berliner Mietspiegel für das Jahr 2011. Der Angemessenheitswert sei nach einem am SG Berlin entwickelten Modell zu ermitteln, indem das gewichtete arithmetische Mittel der mittleren Mieten der verschiedenen Baualtersklassen in einfacher Wohnlage für die Wohnfläche von 60 bis unter 90 qm errechnet werde. Die Daten seien auch angesichts der Marktentwicklung aktuell. Die konkrete Berechnung des SG sei nicht zu beanstanden.

Mit ihren Revisionen rügen die Kläger eine Verletzung von § 22 SGB II und tragen ua vor: Das LSG hätte nicht vermuten dürfen, dass ausreichend Wohnraum zu Preisen verfügbar sei, die aus einem qualifizierten Mietspiegel abgeleitet wurden. Die Vermutung sei verfassungswidrig und ihre Voraussetzungen seien nicht gegeben. Es handele sich nicht um einen qualifizierten Mietspiegel und es seien keine Durchschnittswerte des gesamten Mietspiegels zugrunde gelegt worden. Im Übrigen sei jedenfalls die Vermutungswirkung aufgrund der Marktentwicklung erschüttert. Das Vorgehen des LSG erfülle nicht die Anforderungen, die an ein schlüssiges Konzept zu stellen seien. Insbesondere sei nicht ersichtlich, weshalb die einfache Wohnlage dem einfachen Standard entspreche. Das LSG habe ihren Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, indem es sich nicht ausreichend mit ihrem Sachvortrag auseinandergesetzt habe. Außerdem habe das LSG Beweisanträge zur Verfügbarkeit des Wohnraums und zur Frage, ob der Mietspiegel qualifiziert sei, nicht ablehnen dürfen.

Vorinstanzen:
Sozialgericht Berlin - S 116 AS 11041/12, 22.01.2015
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg - L 34 AS 724/15, 15.03.2018

Sämtliche Vorschauen zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in der Terminvorschau 31/20.

Terminbericht

Das Urteil des LSG wurden aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.

Ist der vom Jobcenter seiner Entscheidung zugrunde gelegte Angemessenheitswert für den Bedarf für die Unterkunft nach § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II zu beanstanden und sieht sich das Jobcenter nicht in der Lage, diese Beanstandungen auszuräumen, so hat das Gericht zur Herstellung der Spruchreife der Sache und Bestimmung eines lokalen Angemessenheitswerts den Rückgriff auf einen Mietspiegel zu prüfen, wenn ein solcher vorliegt. Es darf aber kein eigenes schlüssiges Konzept aufstellen (BSG vom 30.1.2019 - B 14 AS 24/18 R - SozR 4-4200 - § 22 Nr 101 RdNr 29 f). Zudem muss das Gericht sich die Überzeugung davon verschaffen, dass zu dem von ihm so festgesetzten abstrakten Angemessenheitswert Wohnungen im Vergleichsraum tatsächlich verfügbar sind. Der Rückgriff des LSG ist nur eingeschränkt revisionsgerichtlich dahingehend überprüfbar, ob ein Rechtsfehler vorliegt oder die Grenzen der freien Beweiswürdigung nach § 128 Abs 1 Satz 1 SGG verkannt wurden.

Die unter Hinweis auf eine Veröffentlichung von Richterinnen und Richtern des SG Berlin getroffene Setzung des LSG, die Angemessenheitswerte aufgrund der Mittelwerte der Tabellenfelder des Berliner Mietspiegels zu bestimmen, hält dieser Überprüfung nicht stand. Aus der angeführten "Überzeugung, dass mit der Einbeziehung der mittleren durchschnittlichen Mietspiegelwerte in gewichteten Anteilen die potenziell zumutbare und damit abstrakt angemessene Kaltmiete am gerechtesten bestimmt werden kann" (ArchsozArb 2010, 28, 34), kann nicht auf die Häufigkeit geschlossen werden, mit der die dem Mittelwert zugrunde liegende durchschnittliche Wohnung zur Verfügung steht. Auch früheren Urteilen des Senats kann derartiges nicht entnommen werden (vgl BSG vom 19.10.2010 - B 14 AS 2/10 R - RdNr 27; BSG vom 13.4.2011 - B 14 AS 85/09 R - RdNr 28).

Da andererseits nicht ausgeschlossen ist, dass das LSG lokale Angemessenheitswerte aus dem angewandten Mietspiegel im Rahmen der ihm vorbehaltenen tatrichterlicher Beweiswürdigung ableiten kann, ist der Rechtsstreit zurückzuverweisen.

Sämtliche Berichte zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 31/20.

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