Bundessozialgericht

Verhandlung B 14 AS 40/19 R

Verhandlungstermin 03.09.2020 11:30 Uhr

Terminvorschau

1. N. R., 2. M. R., 3. L. R., 4. K. R. ./. Jobcenter Berlin-Mitte
Umstritten ist die Höhe der anzuerkennenden Bedarfe für Unterkunft und Heizung von August 2014 bis Januar 2015.

Die Klägerin zu 1 und Kläger zu 2 sind Eheleute, die Klägerin zu 3 und der Kläger zu 4 sind ihre minderjährigen Kinder. Sie lebten in einer 81,81 qm großen Mietwohnung, für die insgesamt 965,61 Euro zu zahlen waren. Nachdem das beklagte Jobcenter sie Mitte Februar 2013 zur Senkung der Aufwendungen auf insgesamt 669 Euro aufgefordert hatte, berücksichtigte es ab September 2013 unter Einbeziehung eines Härtefallzuschlags nur noch einen abgesenkten Betrag, der sich nach Fortschreibungen für die strittige Zeit auf 777,70 Euro belief.

Das SG hat die Klagen, mit denen die Zahlung von höherem Alg II bzw Sozialgeld unter Berücksichtigung der gesamten Aufwendungen für Unterkunft und Heizung begehrt wurde, abgewiesen. Das LSG hat die Berufungen zurückgewiesen. Zwar sei die Wohnaufwendungen-Verordnung unwirksam, das Gericht könne aber abstrakte Angemessenheitsgrenzen selbst bestimmen und greife dazu auf den Berliner Mietspiegel für 2013 und ein am SG Berlin entwickeltes Modell zurück. Ob der Mietspiegel qualifiziert sei, könne dahinstehen, weil die angemessene Miete auch anhand eines einfachen Mietspiegels bestimmt werden könne. Ausgangspunkt der Angemessenheitsberechnung seien die Mittelwerte des Mietspiegels für Wohnungen von 60 bis unter 90 qm in einfacher Wohnlage und der Wert sei mit 5,01 Euro/ qm zu bestimmen. Für die Betriebskosten sei von 1,55 Euro/ qm auszugehen und die abstrakt angemessene Bruttokaltmiete betrage 590,40 Euro. Die angemessenen Heizkosten lägen auf der Grundlage des Bundesweiten Heizspiegels 2014 bei 151,50 Euro. Den Klägern sei eine Kostensenkung möglich und zumutbar.

Mit ihren Revisionen rügen die Kläger insbesondere die Verletzung von § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II und führen ua aus: Gerichte dürften keine eigenen schlüssigen Konzepte erstellen. Zwar könnten sie zur Bestimmung angemessener Aufwendungen für die Unterkunft auf Daten eines qualifizierten Mietspiegels zurückgreifen. Das vom LSG genutzte Modell interpretiere diese Daten aber und greife nicht nur auf sie zurück. Ein einfacher Mietspiegel genüge nicht, um Spruchreife durch die Gerichte herstellen zu können. Die Heizkosten seien voll zu berücksichtigen, weil erst nach Zugang der ersten Abrechnung nach der Kostensenkungsaufforderung das Heizverhalten angepasst werden könne.

Vorinstanzen:
Sozialgericht Berlin - S 96 AS 27946/14, 09.05.2016
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg - L 34 AS 1650/16, 15.03.2018

Sämtliche Vorschauen zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in der Terminvorschau 31/20.

Terminbericht

Das Urteil des LSG wurden aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.

Ist der vom Jobcenter seiner Entscheidung zugrunde gelegte Angemessenheitswert für den Bedarf für die Unterkunft nach § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II zu beanstanden und sieht sich das Jobcenter nicht in der Lage, diese Beanstandungen auszuräumen, so hat das Gericht zur Herstellung der Spruchreife der Sache und Bestimmung eines lokalen Angemessenheitswerts den Rückgriff auf einen Mietspiegel zu prüfen, wenn ein solcher vorliegt. Es darf aber kein eigenes schlüssiges Konzept aufstellen (BSG vom 30.1.2019 - B 14 AS 24/18 R - SozR 4-4200 - § 22 Nr 101 RdNr 29 f). Zudem muss das Gericht sich die Überzeugung davon verschaffen, dass zu dem von ihm so festgesetzten abstrakten Angemessenheitswert Wohnungen im Vergleichsraum tatsächlich verfügbar sind. Der Rückgriff des LSG ist nur eingeschränkt revisionsgerichtlich dahingehend überprüfbar, ob ein Rechtsfehler vorliegt oder die Grenzen der freien Beweiswürdigung nach § 128 Abs 1 Satz 1 SGG verkannt wurden.

Die unter Hinweis auf eine Veröffentlichung von Richterinnen und Richtern des SG Berlin getroffene Setzung des LSG, die Angemessenheitswerte aufgrund der Mittelwerte der Tabellenfelder des Berliner Mietspiegels zu bestimmen, hält dieser Überprüfung nicht stand. Aus der angeführten "Überzeugung, dass mit der Einbeziehung der mittleren durchschnittlichen Mietspiegelwerte in gewichteten Anteilen die potenziell zumutbare und damit abstrakt angemessene Kaltmiete am gerechtesten bestimmt werden kann" (ArchsozArb 2010, 28, 34), kann nicht auf die Häufigkeit geschlossen werden, mit der die dem Mittelwert zugrunde liegende durchschnittliche Wohnung zur Verfügung steht. Auch früheren Urteilen des Senats kann derartiges nicht entnommen werden (vgl BSG vom 19.10.2010 - B 14 AS 2/10 R - RdNr 27; BSG vom 13.4.2011 - B 14 AS 85/09 R - RdNr 28).

Da andererseits nicht ausgeschlossen ist, dass das LSG lokale Angemessenheitswerte aus dem angewandten Mietspiegel im Rahmen der ihm vorbehaltenen tatrichterlicher Beweiswürdigung ableiten kann, ist der Rechtsstreit zurückzuverweisen.

Sämtliche Berichte zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 31/20.

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