Bundessozialgericht

Verhandlung B 5 RE 3/19 R

Verhandlungstermin 23.09.2020 13:30 Uhr

Terminvorschau

Rechtsanwältin C. B. ./. Deutsche Rentenversicherung Bund, 2 Beigeladene
Die Klägerin begehrt die rückwirkende Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung für ihre Tätigkeit als Syndikusrechtsanwältin in der Zeit vom 1.1.2014 bis zum 31.3.2014.

Die Klägerin war vom 1.1.2014 bis zum 30.9.2014 in der Rechtsabteilung der Rechtsvorgängerin der Beigeladenen zu 2. tätig. In dieser Zeit wurden für sie Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung abgeführt. Als zugelassene Rechtsanwältin war die Klägerin zugleich Pflichtmitglied in der berufsständischen Versorgungseinrichtung (Beigeladene zu 1.). Diese setzte mit Bescheid vom 5.8.2014 rückwirkend ab dem 1.1.2014 Beiträge in Höhe des Grundbeitrages als "niedrigst-möglichen einkommensbezogenen Beitrag für selbstständige Mitglieder" fest (monatlich 224,90 Euro). Einen Antrag der Klägerin auf Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung lehnte die Beklagte ab; das nachfolgende Klageverfahren wurde zum Ruhen gebracht. Zum 1.1.2015 begann die Klägerin eine Tätigkeit bei einem anderen Arbeitgeber. Nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Neuordnung des Rechts der Syndikusrechtsanwälte und zur Änderung der Finanzgerichtsordnung vom 21.12.2015 (BGBl I 2517) beantragte sie bei der Beklagten am 24.3.2016 die Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung für die Tätigkeit als Syndikusrechtsanwältin. Die Beklagte erteilte nach Zulassung der Klägerin als Syndikusrechtsanwältin durch die Rechtsanwaltskammer die Befreiung ab dem 13.8.2016.

Zugleich beantragte die Klägerin die rückwirkende Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung ab dem 1.1.2015 und darüber hinaus für ihre Tätigkeit bei der Rechtsvorgängerin der Beigeladenen zu 2. ab dem 1.1.2014. Die Beklagte erteilte die Befreiung rückwirkend für die Tätigkeit ab dem 1.1.2015 sowie für die Beschäftigung bei der Rechtsvorgängerin der Beigeladenen zu 2. vom 1.4.2014 bis zum 30.9.2014. Hingegen lehnte die Beklagte die rückwirkende Befreiung für den früheren Zeitraum ab, weil keine einkommensbezogenen Pflichtbeiträge an eine berufsständische Versorgungseinrichtung gezahlt worden seien.

Widerspruch, Klage und Berufung der Klägerin sind ohne Erfolg geblieben. Das LSG hat im Wesentlichen ausgeführt, die Zahlung eines Bruchteils einkommensabhängig festzusetzender Beiträge sei nicht gleichbedeutend mit der Entrichtung einkommensabhängiger Beiträge. Die Zahlung des Grundbeitrages, der im Sinne eines Mindestbeitrages einem Fünftel der Beitragsbemessungsgrenze der gesetzlichen Rentenversicherung entspreche, genüge nur dann als einkommensbezogener Pflichtbeitrag, wenn das sozialversicherungspflichtige Arbeitsentgelt aus der Syndikustätigkeit ein Fünftel der Beitragsbemessungsgrenze nicht übersteige.

Die Klägerin rügt mit ihrer Revision eine Verletzung von § 231 Abs 4b Satz 4 SGB VI. Sie nimmt Bezug auf die Nichtannahmeentscheidungen des BVerfG vom 19.7.2016 (1 BvR 2584/14) und vom 22.7.2016 (1 BvR 2534/14). Danach reiche zur Annahme von einkommensbezogenen Pflichtbeiträgen die Zahlung von in der Satzung der Versorgungswerke vorgesehenen Mindestbeiträgen aus. Auch müssten die einkommensbezogenen Pflichtbeiträge nicht für die Beschäftigung entrichtet worden sein.

Vorinstanzen:
Sozialgericht München - S 30 R 1473/17, 08.02.2018
Bayerisches Landessozialgericht - L 14 R 264/18, 07.02.2019

Sämtliche Vorschauen zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in der Terminvorschau 34/20.

Terminbericht

Auf die Revision der Klägerin wurden die angefochtenen Entscheidungen aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, die Klägerin für ihre Beschäftigung bei der Rechtsvorgängerin der Beigeladenen zu 2. für die Zeit vom 1.1.2014 bis zum 31.3.2014 von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung zu befreien.

Die Voraussetzungen der Übergangsregelung in § 231 Abs 4b Satz 4 SGB VI sind erfüllt. Für die Zeit vor dem 1.4.2014 wurden "einkommensbezogene Pflichtbeiträge an ein berufsständisches Versorgungswerk gezahlt". Bereits der Wortlaut der Vorschrift "einkommensbezogen" legt eine weniger strikte Relation zwischen der Höhe des erzielten Einkommens und der Beitragshöhe nahe als die von einzelnen Gerichten synonym verwendeten Begriffe "einkommensabhängig" oder "einkommensgerecht". Aufgrund der systematischen Zusammenhänge, in denen die Regelung steht, ist jedoch auch ein Mindest- oder Grundbeitrag zum Versorgungswerk als "einkommensbezogen" anzusehen. § 6 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB VI verlangt als Befreiungsvoraus-setzung unter Buchstabe b ebenfalls, dass "nach näherer Maßgabe der Satzung einkommens-bezogene Beiträge unter Berücksichtigung der Beitragsbemessungsgrenze zur berufsständischen Versorgungseinrichtung zu zahlen sind". In praktisch allen Satzungen der Versorgungswerke ist eine Beitragserhebung in pauschalierter Höhe durch Festlegung sowohl eines Regelpflichtbeitrags als auch eines Mindestbeitrags vorgesehen. Beiträge in Höhe eines Prozentsatzes der individuellen beitragspflichtigen Einnahmen werden allenfalls nur auf besonderen Antrag und nach Vorlage entsprechender Nachweise festgesetzt. Pauschalierte Beiträge kennt auch das Beitragsrecht der gesetzlichen Rentenversicherung in § 165 SGB VI in Form des Regelbeitrags und des Mindestbeitrags für versicherungspflichtige Selbstständige sowie des halben Regelbeitrags. Die Einkommensbezogenheit dieser pauschalen Beiträge ist in der Rechtsprechung bislang nicht in Frage gestellt worden.

Auch der Sinn und Zweck des § 231 Abs 4b SGB VI spricht dafür, Mindest- oder Grundbeiträge zum Versorgungswerk als einkommensbezogen im Sinne des Satzes 4 anzusehen. Der Gesetzgeber wollte nach den Entscheidungen des Senats vom 3.4.2014 im Hinblick auf das Befreiungsrecht von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht den bisherigen Status quo weitestgehend aufrechterhalten bzw wiederherstellen. Dazu sollten Syndikusrechtsanwälte unter angemessener Berücksichtigung des aufgrund der bisherigen Rechtspraxis geschaffenen schutz-würdigen Vertrauens wie bisher von der Rentenversicherungspflicht befreit werden und in den anwaltlichen Versorgungswerken verbleiben können. Dieses auch vom BVerfG in seinen Kammerbeschlüssen vom Juli 2016 (1 BvR 2534/14 und 1 BvR 2584/14) hervorgehobene Ziel wird am effektivsten erreicht, wenn auch die Grund- oder Mindestbeiträge nach den beitragsrechtlichen Regelungen der Versorgungswerke als einkommensbezogene Pflichtbeiträge im Sinne des § 231 Abs 4b Satz 4 SGB VI angesehen werden. Das verdeutlicht gerade der Fall der Klägerin, die ohne Befreiung von der Rentenversicherungspflicht für nur drei Monate ihrer Beschäftigung bei der Rechtsvorgängerin der Beigeladenen zu 2. in der gesetzlichen Rentenversicherung versichert gewesen wäre. Die Rückwirkung einer Befreiung für Zeiträume vor dem 1.4.2014 erfordert auch nicht, dass einkommensbezogene Pflichtbeiträge an das Versorgungswerk gerade für das Einkommen aus der Beschäftigung gezahlt wurden, für welche die rückwirkende Befreiung begehrt wird. Nach dem Gesetzestext genügt es, wenn Pflichtbeiträge "für diese Zeiten" gezahlt wurden. Erfasst wird auch die Zahlung von Beiträgen zum Versorgungswerk, wenn diese nach den Satzungsbestimmungen nur für Einkünfte aus selbstständiger Tätigkeit zu entrichten waren, solange für die abhängige Beschäftigung als Syndikusrechtsanwalt keine Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung erteilt wurde.

Sämtliche Berichte zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 34/20.

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