Bundessozialgericht

Verhandlung B 4 AS 30/20 R

Grundsicherung für Arbeitsuchende - Einkommensberücksichtigung - Studienkredit

Verhandlungstermin 08.12.2020 12:00 Uhr

Terminvorschau

S. S. ./. Jenarbeit - Jobcenter der Stadt Jena
Die Klägerin war vom 1.11.2010 bis zum 4.5.2012 als Rechtsreferendarin, danach bis zum 31.5.2013 als wissenschaftliche Hilfskraft tätig und trat zum 1.8.2013 erneut in den juristischen Vorbereitungsdienst ein. Von Januar 2012 bis zum 31.12.2013 absolvierte sie ein berufsbegleitend konzipiertes postgraduales Fernstudium (Masterstudiengang "Kriminologie und Polizeiwissenschaft"). Im März 2012 hatte die Klägerin bei einer privaten Bank einen Kredit zur Finanzierung von Studiengebühren und des Lebensunterhalts aufgenommen. Daraus zahlte die Bank von April 2012 bis Dezember 2013 monatlich 800,00 Euro aus. Das Gesamtdarlehen war am 30.12.2014 zur Rückzahlung fällig.

Den Leistungsantrag der Klägerin für die Monate Juni und Juli 2013 lehnte die Beklagte mit der Begründung ab, der Bedarf der Klägerin sei durch die als Einkommen zu berücksichtigenden monatlichen Zahlungen aus dem Studienkredit vollständig gedeckt. Die gegen diesen Bescheid erhobene Klage blieb erfolglos. Auf die Berufung der Klägerin hat das LSG das Urteil des SG aufgehoben und die Beklagte zur Zahlung von Alg II verurteilt. Die Zahlungen aus dem Darlehensvertrag seien als nur vorübergehend zur Verfügung gestellte Mittel nicht anzurechnen. § 11 Abs 1 Satz 2 SGB II aF sehe allein die Berücksichtigung darlehensweise gewährter Sozialleistungen, nicht aber Kredite einer Privatbank als Einkommen vor.

Mit ihrer vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung von § 11 Abs 1 Satz 1 SGB II. Die förderungsrechtlichen Grundlagen des Kredits, bedingt durch die Vergabe mittels der KfW-Richtlinien, fußten im öffentlichen Recht. Es habe sich auch nicht um einen Kredit zur Überbrückung einer Notsituation gehandelt. Eine entscheidungserhebliche Relevanz komme zudem der Zweckbestimmung des Kredits zu, wie sie in § 11a Abs 3 Satz 1 SGB II explizit für öffentlich-rechtliche Leistungen normiert sei und zur Berücksichtigung als Einkommen führe.

Vorinstanzen:
Sozialgericht Altenburg - S 36 AS 3751/13, 14.10.2016
Thüringer Landessozialgericht - L 7 AS 1565/16, 23.10.2019

Sämtliche Vorschauen zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in der Terminvorschau 45/20.

Terminbericht

Die Revision des Beklagten hatte keinen Erfolg. Zu Recht hat das LSG ihn zur Zahlung von Alg II für Juni und Juli 2013 verurteilt. Die der Klägerin ausgezahlten Raten aus dem Studienkredit waren nicht als Einkommen zu berücksichtigen. Ein Darlehen stellt nach der ständigen Rechtsprechung des BSG als lediglich vorübergehend zur Verfügung gestellte Leistung kein Einkommen dar. Dem Leistungsberechtigten muss ein wertmäßiger Zuwachs zur endgültigen Verwendung verbleiben, da nur dann die Hilfebedürftigkeit dauerhaft entfällt. Nach § 11 Abs 1 Satz 2 SGB II aF (jetzt § 11 Abs 1 Satz 3 SGB II) sind zwar "auch Zuflüsse aus darlehensweise gewährten Sozialleistungen, soweit sie dem Lebensunterhalt dienen", als Einkommen zu berücksichtigen. An einer entsprechenden Regelung für Privatdarlehen fehlt es indessen. Die der Klägerin hier zugeflossenen Darlehenszahlungen sind schon keine öffentlich-rechtlichen Leistungen, also auch keine darlehensweise gewährte Sozialleistungen. § 11a Abs 3 Satz 1 SGB II bestimmt ebenfalls allein für öffentlich-rechtliche Leistungen, dass diese bei einer von dem Zweck der Leistungen nach dem SGB II abweichenden Zweckbestimmung nicht als Einkommen zu berücksichtigen sind. Deshalb kommt auch der Zweckbestimmung des Darlehens entgegen der Auffassung des Beklagten keine Bedeutung zu. Träfe diese Auffassung des Beklagten zu, wäre für Bezieher von Leistungen nach dem SGB II ein Verbraucherkredit in der Regel wirtschaftlich sinnlos. Sie setzten sich, ohne mehr Mittel zur Verfügung zu haben, persönlich einer Rückzahlungspflicht aus, und ein Darlehen würde letztlich nur eine Entlastung des Grundsicherungsträgers bewirken. Im Rahmen der Eigenverantwortung (§ 1 Abs 2 Satz 1, § 20 Abs 1 Satz 4 SGB II) ist es jedoch auch für Hilfebedürftige nicht ausgeschlossen, ihren Lebensstandard für die Übergangszeit des Leistungsbezugs durch Darlehen, für die sie später selbst einzustehen haben, auf einem Niveau zu erhalten, das unabhängig von der Höhe der Grundsicherungsleistungen ist.

Sämtliche Berichte zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 45/20.

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