Bundessozialgericht

Verhandlung B 1 KR 21/20 R

Krankenversicherung - Krankenhausvergütung - geriatrische frührehabilitative Komplexbehandlung - Mindestalter

Verhandlungstermin 17.12.2020 11:30 Uhr

Terminvorschau

AOK Rheinland/Hamburg ./. A. gGmbH
Die Beklagte ist Trägerin eines nach § 108 SGB V zugelassenen Krankenhauses. Dort wurde 2011 ein seinerzeit 55 Jahre alter, bei der klagenden Krankenkasse versicherter Patient vollstationär behandelt. Die Beklagte stellte der Klägerin im März 2011 für diese Behandlung einen Betrag von 6 305,07 Euro in Rechnung. Dem lag die Fallpauschale (DRG) K44Z zugrunde, die sich auf der Grundlage der Kodierung insbesondere des Operationen- und Prozedurenschlüssels (OPS) 8-550.1 (geriatrische frührehabilitative Komplexbehandlung <…>) ergab. Die Klägerin bezahlte die Rechnung zunächst in voller Höhe und beanstandete sie nicht. Mit Urteil vom 23.6.2015 (B 1 KR 21/14 R) hielt der 1. Senat des BSG für geriatrische frührehabilitative Komplexbehandlung ein Mindestalter der Versicherten von 60 Jahren für erforderlich. Daraufhin bat die Klägerin die Beklagte mit Schreiben vom 14.12.2015 um eine Rechnungskorrektur, weil diese den OPS 8-550.1 fehlerhaft kodiert habe. Die Beklagte lehnte eine Neuabrechnung ab. Das SG hat die Klage abgewiesen. Die Geltendmachung eines Erstattungsanspruchs erst viereinhalb Jahre nach Rechnungsstellung sei verwirkt gewesen sei (Urteil vom 23.1.2018). Das LSG hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Zwar liege Verwirkung nicht vor. Die Beklagte habe jedoch zu Recht die DRG K44Z abgerechnet. Die Klägerin könne nicht mit Erfolg einwenden, eine geriatrische Behandlung des seinerzeit nur 55-jährigen Versicherten sei schon wegen seines Alters ausgeschlossen. Der Senat folge der Entscheidung des BSG vom 23.6.2015 (B 1 KR 21/14 R) nicht, weil der OPS 8-550.1 ein Mindestalter für die Abrechnung einer geriatrischen Behandlung nicht vorgebe (Urteil vom 28.5.2020).

Die Klägerin rügt mit ihrer Revision die Verletzung von § 109 Abs 4 Satz 3 SGB V, § 17b Abs 1 Satz 10 KHG, § 7 Nr 1, § 9 Abs 1 Nr 1 KHEntgG iVm OPS (2011) 8-550.1.

Vorinstanzen:
Sozialgericht Hamburg - S 8 KR 2154/15, 23.01.2018
Landessozialgericht Hamburg - L 1 KR 25/18, 28.05.2020

Sämtliche Vorschauen zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in der Terminvorschau 49/20.

Terminbericht

Der Senat hat die Urteile der Vorinstanzen aufgehoben und die beklagte Klinikträgerin zur Zahlung von 2236,50 Euro verurteilt. Die Klinik hat diesen Betrag zu erstatten, weil sich die Vergütung für die stationäre Behandlung des seinerzeit erst 55-jährigen Versicherten nicht nach DRG (2011) K44Z richtet. Die dafür erforderlichen Voraussetzungen lagen nicht vor; eine Prozedur nach OPS (2011) 8-550 (geriatrische frührehabilitative Komplexbehandlung) war nicht zu kodieren. Für deren Kodierung ist regelmäßig ein Alter von 70 Jahren, zumindest aber ein Alter von 60 Jahren in Verbindung mit plausibilisierenden Angaben erforderlich (Festhalten an BSG Urteil vom 23.6.2015 - B 1 KR 21/14 R). Mangels klarer definitorischer Vorgaben kann eine „Altersbehandlung“ nur Personen betreffen, die in einem gesamtgesellschaftlichen Konsens als „alt“ angesehen werden können. Unter der Mindestgrenze von 60 Jahren ist davon nicht auszugehen. Einwendungen und Einreden gegen den Erstattungsanspruch greifen nicht durch. Der Forderung stand nicht der Einwand unzulässiger Rechtsausübung entgegen. Weder der bloße Zeitablauf noch die vorbehaltlose Zahlung der Vergütung der DRG (2011) K44Z stellen ein die Verwirkung begründendes Verhalten dar. Krankenkassen haben grundsätzlich Anspruch auf Erstattung innerhalb der Verjährungsfrist vorbehaltlos, aber zu Unrecht gezahlter Vergütungen. Ein Vertrauen der Beklagten in die Kodierung des OPS 8-550 (geriatrische frührehabilitative Komplexbehandlung) auch bei Unter-60-Jährigen konnte sich auch nicht ausnahmsweise bilden. Es gab weder eine langjährige gemeinsame Praxis von Krankenhäusern und Krankenkassen zur Kodierung und Anerkennung des OPS (2011) 8-550 auch bei Unter-60-Jährigen. Noch war eine solche Praxis durch höchstrichterliche Rechtsprechung gebilligt worden. Die Entscheidung des BSG vom 23.6.2015 war die erste Entscheidung, die zu den Voraussetzungen einer geriatrischen frührehabilitativen Komplexbehandlung ergangen ist. Zudem enthielten bereits die ersten Auslegungshinweise des Kompetenz-Centrums Geriatrie des MDK zur Auslegung des Begriffs „geriatrisch“ im OPS 8-550 eine Altersuntergrenze von 60 Jahren. Dies zeigt, dass die Frage nach einem Mindestalter zur Kodierung der OPS 8-550 frühzeitig adressiert und aufgeworfen war.

Sämtliche Berichte zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 49/20.

Hinweis zur Verwendung von Cookies

Wir verwenden ausschließlich Sitzungs-Cookies, die für die einwandfreie Funktion unserer Webseite erforderlich sind. Mit der Nutzung unserer Dienste erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir diese Cookies einsetzen. Unsere Informationen zum Datenschutz erhalten Sie über den Link Datenschutz.

OK