Bundessozialgericht

Verhandlung B 1 KR 15/20 R

Krankenversicherung - Elektronische Gesundheitskarte - Telematikinfrastruktur - Recht auf informationelle Selbstbestimmung

Verhandlungstermin 20.01.2021 12:00 Uhr

Terminvorschau

In den Fällen B 1 KR 7/20 R und B 1 KR 15/20 R streiten die Beteiligten jeweils über die Obliegenheit Versicherter, die Berechtigung zur Inanspruchnahme von Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) mittels elektronischer Gesundheitskarte (eGK) nachzuweisen.

Um Leistungen der GKV in Anspruch nehmen zu können, müssen die Versicherten ihre Berechtigung grundsätzlich mit der eGK nachweisen. Auf der eGK ist bei Versicherten, die älter als 14 Jahre sind, ein Lichtbild aufgebracht. Außerdem enthält sie auf dem "Chip" verschiedene Verwaltungsdaten der Versicherten, wie Name, Geschlecht, Anschrift, Versichertenstatus und Krankenversicherungsnummer. Diese Daten werden im Rahmen von Arztbesuchen online mit den bei der Krankenkasse vorliegenden Daten abgeglichen und gegebenenfalls aktualisiert. Dafür wird ein eigenes Netz, die sogenannte Telematikinfrastruktur (TI) genutzt. Die eGK dient daher auch als "Schlüssel" für die Authentifizierung beim Zugang zur TI. Die TI vernetzt die Akteure der GKV und ermöglicht den Austausch digitaler Informationen, unter anderem im Zusammenhang mit der elektronischen Patientenakte.

S. ./.  AOK NORDWEST - Die Gesundheitskasse
Der bei der beklagten Krankenkasse versicherte, taubstumme Kläger, der zuvor mit einer auf unbefristete Weiternutzung seiner bisherigen Krankenversichertenkarte gerichteten Klage erfolglos geblieben war, beantragte für den Besuch eines Zahnarztes die Ausstellung eines Versicherungsnachweises in papiergebundener Form. Er wünsche nicht die Ausstellung der eGK und sei auch nicht zur Einsendung eines Fotos zu diesem Zwecke verpflichtet. Die Beklagte lehnte den Antrag ab und verwies den Kläger auf die Möglichkeit der Kostenerstattung nach § 13 Abs 2 SGB V.

Die hiergegen gerichtete Klage, mit der der Kläger insbesondere datenschutz- und datensicherheitsrechtliche Einwände geltend gemacht hat, ist erfolglos geblieben (Gerichtsbescheid des SG vom 8.8.2016). Im Berufungsverfahren hat der Kläger vorgetragen, die gesetzlichen Regelungen zur eGK und zur TI seien wegen Verstoßes gegen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung nicht mit dem Grundgesetz vereinbar. Die auf der eGK unverschlüsselt und nicht löschbar gespeicherten Daten könnten jederzeit unzulässig erweitert und damit ganze Persönlichkeitsprofile erstellt werden. Es bestehe eine erhebliche Missbrauchsgefahr. Ein den Eingriff rechtfertigender Nutzen der eGK sei demgegenüber nicht belegt. Es würden auch aktuell bereits Gesundheitsdaten ohne Kenntnis der Betroffenen auf der eGK gespeichert. Eine Beurteilung der Probleme, die sich aus der Erweiterung und Verarbeitung der Versichertendaten mit XML und XSD sowie neuer angepasster Software ergäben, sei ohne Hinzuziehung spezialisierter Gutachter nicht möglich.

Das LSG hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen (Urteil vom 28.3.2019). Er habe keinen Anspruch auf Ausstellung eines papiergebundenen Ausweises zum Nachweis seiner Anspruchsberechtigung nach dem SGB V anstelle der eGK. Diese diene verpflichtend weiterhin lediglich dem Zweck der Identitätsfeststellung und dem Versicherungsnachweis. Eine maßgebliche Änderung zur Sachlage im Zeitpunkt der Entscheidung des BSG vom 18.11.2014 (B 1 KR 35/13 R) sei nicht eingetreten. Der Kläger habe keine Umstände vorgetragen, aus denen sich aktuell für ihn eine darüber hinausgehende, aus der Verpflichtung zur Nutzung der eGK folgende, konkrete Betroffenheit und Rechtsverletzung ergeben könnte. Soweit er ungeachtet des Regelungsgegenstandes der angefochtenen Bescheide und seines von der Beklagten beschiedenen Antrages die TI als solche inzidenter rechtlich überprüft wissen wolle, sei die gegen die Beklagte als gesetzliche Krankenkasse gerichtete Klage hierfür von vornherein ein untaugliches Instrument. Hinsichtlich der Verarbeitung der ihn betreffenden Daten als Folge der Digitalisierung sei der Kläger in zumutbarer Weise insbesondere auf den Sozialdatenschutz zu verweisen.

Mit seiner Revision rügt der Kläger eine Verletzung von § 124 Abs 1 SGG, § 103 SGG, Art Abs 1 GG sowie des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung. Das LSG habe nicht ohne vorherige Nachfrage in seiner Abwesenheit einseitig mündlich verhandeln dürfen. Er habe mehrfach auf einer mündlichen Verhandlung unter Hinzuziehung eines Gebärdendolmetschers bestanden. Infolge einer kurzfristigen Magen-Darm-Erkrankung sei er an der Teilnahme an der anberaumten mündlichen Verhandlung gehindert gewesen. Er habe alles in seiner Macht stehende getan, dies dem LSG noch rechtzeitig vor der Verhandlung mitzuteilen. Die von ihm sinngemäß gestellten Beweisanträge zum Stand der konkreten Entwicklung der TI und zu den behaupteten Datensicherheitsmängeln habe das LSG nicht unberücksichtigt lassen dürfen.

Im Übrigen entspricht sein Vorbringen dem der Klägerin in dem Verfahren B 1 KR 7/20 R.

Vorinstanzen:
Sozialgericht Dortmund - S 8 KR 504/15, 08.08.2016
Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen - L 16 KR 676/16, 28.03.2019

Die Vorschau zu dem Verhandlungstermin des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in der Terminvorschau 2/21.

Terminbericht

Der Senat hat die Revision des Klägers im Wesentlichen aus denselben Gründen wie im Fall B 1 KR 7/20 R zurückgewiesen.

Soweit der Kläger zusätzlich eine Verletzung des Grundsatzes der mündlichen Verhandlung und damit zugleich seines Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend gemacht hat, hat er nicht hinreichend dargelegt, dass er seinerseits alles getan hat, um sich rechtliches Gehör zu verschaffen.

Die Berichte zu dem Verhandlungstermin des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 2/21.

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