Bundessozialgericht

Verhandlung B 6 A 1/20 R

Vertrag zur Besonderen Versorgung nach § 140a SGB V - ambulante Operationen - häusliche Krankenpflege

Verhandlungstermin 27.01.2021 11:00 Uhr

Terminvorschau

Bahn-BKK ./. Bundesrepublik Deutschland
Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit eines aufsichtsrechtlichen Bescheides, mit dem das Bundesversicherungsamt (heute Bundesamt für Soziale Sicherung) die klagende Krankenkasse verpflichtete, einen Vertrag über eine besondere Versorgung nach § 140a SGB V zu kündigen.

Die Klägerin hatte mit einer sog Managementgesellschaft einen "Vertrag zur Besonderen Versorgung nach § 140a SGB V" geschlossen, dessen Gegenstand die Erbringung stationärer und ambulanter Operationen ist. Der Vertrag beinhaltet einen Leistungskatalog, enthält aber keine Regelung darüber, welche der dort aufgeführten Leistungen ambulant und welche stationär durchzuführen sind. Zudem enthält der Vertrag eine Regelung, wonach häusliche Krankenpflege zu Lasten der Klägerin ausgeschlossen und mit der Vergütung der Komplexpauschale für die Operation abgegolten ist. Nach diversem Schriftwechsel und einer aufsichtsrechtlichen Beratung verpflichtete das Bundesversicherungsamt die Klägerin mit Bescheid vom 28.8.2018, den zwischen ihr und der Managementgesellschaft geschlossenen Vertrag zu kündigen. Der Vertrag sei rechtswidrig und verstoße gegen § 87 Abs 2 SGB V und § 115b Abs 2 SGB V, da er die Erbringung ambulanter Operationen ermögliche, die in der "Regelversorgung" nur stationär durchgeführt werden dürften, weil sie weder im Leistungskatalog des Kapitels 31.2 iVm Anhang 2 des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs für vertragsärztliche Leistungen (EBM-Ä) noch im Leistungskatalog des Vertrags nach § 115b Abs 1 SGB V (AOP-Vertrag) vorgesehen seien. Darüber hinaus schränke der Vertrag die Verordnungshoheit des Arztes und die Versorgung der Versicherten mit häuslicher Krankenpflege unrechtmäßig ein.

Das LSG hat die hiergegen erhobene Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass der Vertrag gegen § 87 Abs 1 SGB V und § 115b Abs 2 SGB V verstoße. Die Abweichungsbefugnis in § 140a Abs 2 Satz 1 SGB V erfasse lediglich die Vergütungsregelungen des EBM-Ä, nicht aber das hierdurch vorgegebene Leistungsspektrum. Zudem verfügten die am Vertrag teilnehmenden Fachärzte und Krankenhäuser nicht über die Zulassung, stationär zu erbringende Operationen ambulant durchzuführen. Die Zulassung sei auf die im Leistungskatalog des EBM-Ä bzw AOP-Vertrag Abs 1 SGB V aufgeführten Operationen beschränkt. Die Regelung hinsichtlich des Ausschlusses von häuslicher Krankenpflege sei hingegen nicht rechtswidrig, da die Teilnahme am Vertrag freiwillig sei und der Anspruch der Versicherten unberührt bleibe.

Die Klägerin trägt mit ihrer Revision vor, dass die Vertragspartner von der in § 140a Abs 2 Satz 1 SGB V vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch gemacht hätten, abweichende Regelungen zu den auf dem Vierten Kapitel des SGB V beruhenden Vorschriften zu treffen. Die Zulassung eines Vertragsarztes beziehe sich auf die Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung im Rahmen des jeweiligen Fachgebietes und betreffe nicht die Frage, welche Leistungen er erbringen und abrechnen dürfte. Im Übrigen sei die Überführung von stationären Leistungen in den ambulanten Bereich darauf ausgerichtet, die Qualität, Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit der Versorgung zu verbessern.

Vorinstanz:
Hessisches Landessozialgericht - L 1 KR 644/18 KL, 18.07.2019

Die Vorschau zu dem Verhandlungstermin des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in der Terminvorschau 3/21.

Terminbericht

Die Revision der Klägerin hatte Erfolg. Der Senat hat das Urteil des LSG geändert und den aufsichtsrechtlichen Verpflichtungsbescheid aufgehoben.

Dass nach dem von der Klägerin geschlossenen Vertrag über eine besondere Versorgung Operationen ambulant durchgeführt werden können, die in der Regelversorgung nur stationär durchgeführt werden könnten, ist rechtlich nicht zu beanstanden. Die in § 140a Abs 2 Satz 1 und 2 SGB V geregelte Befugnis, Abweichendes von den Vorschriften des Dritten und Vierten Kapitels des SGB V zu regeln, erfasst auch den EBM-Ä in seiner Funktion als Katalog abrechenbarer Leistungen. Die Vereinbarung eigenständiger Vergütungsstrukturen und der Verzicht auf die Vorgaben des EBM-Ä ist wesentlicher Teil des Gestaltungsspielraums der Partner eines Vertrages nach § 140a SGB V. Die Möglichkeit, Operationen in weiterem Umfang als in der Regelversorgung ambulant durchzuführen, widerspricht auch nicht Sinn und Eigenart der besonderen Versorgung. Deren Ziel besteht gerade darin, die Entwicklung abweichender Versorgungsstrukturen zu ermöglichen und so Impulse für die Fortentwicklung der Regelversorgung zu geben. Mit der Erbringung der ambulanten Operationen überschreiten die am Vertrag teilnehmenden Ärzte auch nicht ihren Zulassungsstatus. Die vertragsärztliche Zulassung ist grundsätzlich Voraussetzung für die Erbringung ambulanter vertragsärztlicher Leistungen, sie legt aber nicht die erbringbaren bzw abrechenbaren Leistungen fest. Soweit die teilnehmenden Krankenhäuser ambulante Leistungen erbringen, ist es nach § 140a Abs 3 Satz 2 SGB V ausreichend, dass die Leistungserbringung vom Zulassungsstatus der teilnehmenden Vertragsärzte gedeckt ist. Soweit Gegenstand der aufsichtsrechtlichen Beanstandung die Regelung zur häuslichen Krankenpflege ist, hatte der Senat hierüber nicht zu entscheiden. Die Entscheidung des LSG, nach der die vertragliche Regelung insoweit rechtmäßig und die Beanstandung deshalb zu Unrecht erfolgt ist, ist rechtskräftig geworden, da die Beklagte keine Revision eingelegt hat. Im Übrigen setzt die getroffene selektivvertragliche Regelung zwar gewichtige Anreize, von einer Verordnung häuslicher Krankenpflege abzusehen; solch eine das Versorgungsgeschehen steuernde Regelung, mit der das Ziel einer gegenüber der Regelversorgung wirtschaftlich effizienteren Versorgung verfolgt wird, kann aber Gegenstand von Verträgen über eine besonderen Versorgung sein.

Die Berichte zu dem Verhandlungstermin des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 3/21.

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