Bundessozialgericht

Verhandlung B 12 R 15/19 R

Versicherungspflicht - Versicherungsfreiheit - Vorstandsmitglied - gemeinnützige Stiftung bürgerlichen Rechts - ehrenamtliche Zuwendungen

Verhandlungstermin 23.02.2021 12:30 Uhr

Terminvorschau

M. u. W. B. ./. Deutsche Rentenversicherung Bund, beigeladen: 1. R.L., 2. Techniker Krankenkasse - Pflegeversicherung, 3. Bundesagentur für Arbeit, 4. Techniker Krankenkasse
Die Klägerin ist eine gemeinnützige Stiftung bürgerlichen Rechts. Ihr Zweck ist die Förderung wissenschaftlicher und sozialer Projekte. Einziges Organ ist der dreiköpfige Vorstand, der die Stiftung durch jeweils zwei Vorstandsmitglieder nach außen vertritt. Vorstandsbeschlüsse erfordern grundsätzlich die einfache Stimmenmehrheit. Der Beigeladene zu 1. war seit 12.11.2010 Vorstandsmitglied. Seine Aufgaben umfassten ua die Projektförderung sowie die Investition des Stiftungskapitals. Dazu traf er sich dreimal wöchentlich mit den anderen Vorstandsmitgliedern. Laut Satzung übten die Vorstandsmitglieder ihr Amt ehrenamtlich aus. Sie hatten Anspruch auf Erstattung von Aufwendungen einschließlich einer Vergütung ihres Zeitaufwands. Auf der Basis eines Stundensatzes von 75 Euro erhielt der Beigeladene zu 1. jährlich zwischen 20.000 Euro (2011) und 60.000 Euro (2016). Bis zum 31.7.2014 war er außerdem Beschäftigter einer GmbH, an deren Kapital die Stiftung beteiligt ist.

Im Statusfeststellungsverfahren stellte die Beklagte fest, dass der Beigeladene zu 1. aufgrund Beschäftigung bei der Klägerin im Zeitraum vom 13.11.2010 bis zum 31.12.2016 in verschiedenen Zweigen der Sozialversicherung versicherungspflichtig gewesen sei. Klage und Berufung sind erfolglos geblieben. Der Beigeladene zu 1. habe ohne hinreichende Rechtsmacht weisungsgebunden Aufgaben der Geschäftsführung ausgeübt. Nach den zum Ehrenamt aufgestellten Grundsätzen des BSG (Urteil vom 16.8.2017 - B 12 KR 14/16 R - BSGE 124, 37 = SozR 4 2400 § 7 Nr 31 <Kreishandwerksmeister>) sei er nicht unentgeltlich tätig gewesen. Die Zuwendungen überträfen alle für eine Parallelwertung heranziehbaren Grenzwerte ua für die Haftungsprivilegierung im Vereinsrecht oder für die Steuerfreiheit ehrenamtlicher Tätigkeit.

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des § 7 SGB IV sowie der §§ 86, 26 BGB. Der Beigeladene zu 1. sei ein weisungsfreies Organmitglied gewesen.

Vorinstanzen:
Sozialgericht Köln - S 22 R 749/16, 04.05.2017
Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen - L 8 R 398/17, 27.02.2019

Sämtliche Vorschauen zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in der Terminvorschau 6/21.

Terminbericht

Die Revision der Klägerin hatte keinen Erfolg. Das LSG ist bei der erforderlichen Abwägung der Gesamtumstände zu Recht zu dem Ergebnis gelangt, dass der Beigeladene in seiner Tätigkeit als Vorstandsmitglied der Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum in verschiedenen Zweigen der Sozialversicherung versicherungspflichtig beschäftigt war.

Maßgeblich für die Abgrenzung zu einer selbstständigen Tätigkeit ist die persönliche Abhängigkeit des Beigeladenen (§ 7 Abs 1 Satz 2 SGB IV). Auch wenn die Satzung hier keine ausdrücklichen Weisungsrechte regelt, konnte der Beigeladene nicht nach eigenem Gutdünken handeln. Bei seiner Aufgabenerfüllung war er an den Stifterwillen als oberste Richtschnur im Stiftungsrecht und vor allem an den Konsens mit den weiteren Vorstandsmitglieder gebunden. Er war in den Vorstand als "Willens- und Verwaltungsorgan" der Stiftung eingegliedert. Für sein rechtsgeschäftliches Handeln nach außen war der Beigeladene wegen der Gesamtvertretung durch jeweils zwei Vorstandsmitglieder zur wechselseitigen Absprache verpflichtet. Im Innenverhältnis finden auf die Geschäftsführung der Stiftung die Vorschriften des BGB zum - grundsätzlich weisungsgebundenen - Auftragsrecht Anwendung. Unabhängig davon, dass in der Stiftung kein anderes Organ existiert, das als Auftraggeber dem Vorstand Weisungen erteilen könnte, hatte der Beigeladene bei seiner eigenen operativen Tätigkeit die Beschlüsse des Vorstands zu beachten. Denn die Organbefugnisse stehen dem Gesellschaftsorgan insgesamt zu und nicht den einzelnen Organmitgliedern persönlich. An die Vorgaben des Vorstands zB im Wirtschaftsplan war der Beigeladene gebunden. Die Rechtsmacht, ihm nicht genehme Beschlüsse des Vorstands zu verhindern, hatte er als einfaches Vorstandsmitglied im dreiköpfigen Gremium nicht.

Die Tätigkeit des Beigeladenen erhielt ihr Gepräge auch nicht durch ihre ideellen Zwecke und Unentgeltlichkeit. Allein die satzungsmäßige Bezeichnung als "Ehrenamt" und die Verfolgung gemeinnütziger Interessen reichen hierfür nicht. Bei objektiver Betrachtung liegt vielmehr eine entgeltliche Tätigkeit zu Erwerbszwecken vor. Weder die Bemessung der Vergütung auf Basis eines Stundensatzes noch deren Höhe sprechen für eine ehrenamtliche Entschädigung "honoris causa". Ungeachtet dessen, dass der Gesetzgeber keine allgemeingültigen Obergrenzen zur Abgrenzung des Ehrenamts von der Beschäftigung geregelt hat und solche bei der gebotenen Einzelfallbetrachtung auch nicht von der Rechtsprechung vorgegeben werden können, ist die Anknüpfung des LSG an verschiedene normative Grenzbeträge als nachvollziehbare Evidenzkontrolle nicht zu beanstanden.

Die Berichte zu dem Verhandlungstermin des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 6/21.

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