Bundessozialgericht

Verhandlung B 4 AS 66/20 R

Grundsicherung für Arbeitsuchende - Ersatzanspruch - rechtswidrig erbrachte Leistungen - Betreuer - Kausalität

Verhandlungstermin 12.05.2021 10:45 Uhr

Terminvorschau

D. P. ./. Landkreis Wittmund, Jobcenter
Der 1949 geborene Kläger wurde zum Betreuer eines späteren Leistungsbeziehers bestellt. Sein Aufgabenkreis umfasste ua die Vermögenssorge. Der Betreute beantragte zusammen mit dem Kläger gegenüber dem Beklagten die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II. Einkommen oder Vermögen, insbesondere der Bezug von Alg I, wurden verneint, indessen angegeben, dass der Betreute vor Antragstellung zwei Jahre als Auszubildender sozialversicherungspflichtig beschäftigt gewesen sei. Tatsächlich wurde bei der BA Alg I beantragt und auch gezahlt. Ob der Kläger bei dieser Antragstellung ebenfalls mitgewirkt hatte oder hiervon wusste, konnte nicht geklärt werden.

Der Beklagte bewilligte dem Betreuten Alg II, ohne Einkommen zu berücksichtigen. Nachdem der Kläger den Beklagten später darüber informiert hatte, dass auch Alg I an den Betreuten gezahlt worden war, hob der Beklagte gegenüber dem Betreuten die Leistungsbescheide teilweise auf und machte Erstattungsansprüche in Höhe von 3824,81 Euro geltend. Da Rückzahlungen durch den Betreuten nicht erfolgten, machte der Beklagte gegenüber dem Kläger einen Ersatzanspruch in Höhe des Erstattungsbetrages geltend, weil dieser die Überzahlung herbeigeführt habe. Dessen Klage blieb ohne Erfolg. Im Berufungsverfahren hat das LSG das Urteil des SG und den angefochtenen Bescheid aufgehoben. Zwar habe der Kläger grob fahrlässig gehandelt, indem er die Kontoauszüge des S nicht zeitnah gesichtet und den Bezug von weiterem Einkommen dem Beklagten mitgeteilt habe. Ein Ersatzanspruch des Beklagten scheitere aber am fehlenden Kausalzusammenhang zwischen dem schuldhaften Verhalten des Klägers und dem Erhalt von rechtswidrigen SGB II-Leistungen. Wegen seiner bei Antragstellung mitgeteilten früheren sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung hätte der Betreute vom Beklagten aufgefordert werden müssen, den erforderlichen Antrag auf Alg I zu stellen. Der Verursachungsbeitrag des Klägers trete hinter den Verursachungsbeiträgen des Betreuten (falsche Angaben) und des Beklagten (fehlerhafte Sachbearbeitung) zurück.

Mit seiner vom LSG zugelassenen Revision rügt der Beklagte eine Verletzung des § 34a SGB II.

Vorinstanzen:
Sozialgericht Aurich - S 55 AS 722/15, 03.12.2019
Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen - L 13 AS 18/20, 08.07.2020

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Terminbericht

Die Revision des Beklagten hatte keinen Erfolg. Es besteht kein Ersatzanspruch des Beklagten gegenüber dem Kläger. Als quasi-deliktischer Anspruch setzt der Ersatzanspruch nach § 34a Abs 1 Satz 1 SGB II voraus, dass ein Verhalten der in Anspruch genommenen Person im Sinne der spezifisch sozialrechtlichen Theorie der wesentlichen Bedingung ursächlich für eine rechtswidrige Leistungserbringung gewesen ist. Hier ist weder ein aktives Tun (Mitwirkung bei der Antragstellung) noch ein Unterlassen (unterlassene Sichtung der Kontoauszüge und Information des Beklagten) des Klägers als wesentlich ursächlich für die rechtswidrige Leistungserbringung gewesen. Überragende Bedeutung hatte bei wertender Betrachtung das Verhalten des Beklagten. Wie vom LSG zu Recht angenommen, hätte dieser bei ordnungsgemäßer Bearbeitung des Leistungsantrags die Angabe einer zweijährigen beitragspflichtigen Beschäftigung, die auf einen Anspruch auf Alg I hindeutete, wegen § 12a Abs 1 Satz 1 SGB II und § 5 Abs 3 SGB II zum Anlass nehmen müssen, den Sachverhalt vor der endgültigen Bewilligung von Alg II weiter zu prüfen. Die rechtswidrige Leistungsbewilligung wäre dadurch vermieden worden. Dieses Fehlverhalten einer als fachkundig anzusehenden, zur Beratung (gemäß § 14 SGB I) und Ausführung von Sozialleistungen (gemäß § 17 SGB I) verpflichteten Behörde überragt ein mögliches Fehlverhalten des Klägers als ehrenamtlicher Betreuer.

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