Bundessozialgericht

Verhandlung B 4 AS 70/20 R

Grundsicherung für Arbeitsuchende - sozialgerichtliches Verfahren - Beschwerdegegenstand - Überprüfungsverfahren - Bewilligungszeiträume

Verhandlungstermin 30.06.2021 12:00 Uhr

Terminvorschau

C. S. ./. Jobcenter Potsdam
Das beklagte Jobcenter bewilligte dem Kläger mit drei bestandskräftigen Bescheiden Alg II für verschiedene Zeiträume (Januar bis Februar 2013; März bis August 2013; März bis August 2014). Regelbedarfe erbrachte er in voller Höhe; Kosten der Unterkunft (KdU) übernahm er nur in aus seiner Sicht angemessener Höhe von 426,60 Euro, nicht jedoch die tatsächlichen KdU.

Auf den Antrag des Klägers zur Überprüfung dieser Bescheide bewilligte der Beklagte höhere KdU (433,24 Euro für Januar bis August 2013; 417,16 Euro für März bis August 2014). Das SG hat die Beklagte verurteilt, weitere KdU in Höhe von 28,80 Euro monatlich zu zahlen und die Klage im Übrigen abgewiesen. In seiner Rechtsmittelbelehrung ist das SG davon ausgegangen, dass die Berufung zulässig sei.

Das LSG hat die Berufung des Klägers als unzulässig verworfen. Der Wert des Beschwerdegegenstandes in Höhe von 750 Euro werde nicht erreicht. Die Voraussetzungen des § 144 Abs 1 Satz 2 SGG lägen nicht vor. Der Rechtsstreit betreffe drei Bewilligungszeiträume, die je für sich genommen den Zeitraum eines Jahres nicht überschreiten würden. Unerheblich sei, dass sich der Überprüfungsantrag sowie die hierzu ergangenen Bescheide auf alle drei Zeiträume bezögen. Dem Leistungsanspruch nach dem SGB II liege kein einheitliches Stammrecht zugrunde. Der Grundsatz, dass die Leistungsvoraussetzungen nach dem SGB II für jeden Bewilligungsabschnitt erneut und unabhängig von früheren Bewilligungsabschnitten zu prüfen seien, gelte auch im Überprüfungsverfahren.

Mit seiner vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung von § 144 Abs 1 Satz 2 SGG. Gegenstand des Verfahrens sei ein einheitlicher Bescheid bzw Widerspruchsbescheid, der einen Zeitraum von 14 Monaten umfasse. Das Berufungsgericht verkenne das mögliche Prozessziel. Die Gestaltung des Streitgegenstandes erfolge durch die Beteiligten, die mittels der Klagebegründung oder dem Klageantrag die Beschränkung vornehmen oder sich auf eine weitergehende Antragstellung einlassen würden. Zudem sei das "Stammrecht" nach dem SGB II nicht auf zwölf oder weniger Monate beschränkt, weil die Leistungen nachträglich oder rückwirkend für einen längeren Zeitraum festgesetzt werden könnten. Der Rechtsschutz im Überprüfungsverfahren trete nicht in jeder Hinsicht hinter dem Primärrechtsschutz zurück.

Vorinstanzen:
Sozialgericht Potsdam - S 45 AS 677/15, 31.01.2017
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg - L 14 AS 469/17, 20.04.2020

Sämtliche Vorschauen zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in der Terminvorschau 26/21.

Terminbericht

Der Senat hat die Revision des Klägers zurückgewiesen. Das LSG hat seine Berufung zu Recht als unzulässig verworfen. Der Wert des Beschwerdegegenstandes nach § 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG in Höhe von 750 Euro wird nicht erreicht, weil der Kläger mit seinem Antrag vor dem SG nur in Höhe der nicht übernommenen tatsächlichen Unterkunftskosten mit einem Betrag in Höhe von insgesamt 639,44 Euro unterlag. Die Rückausnahme des § 144 Abs 1 Satz 2 SGG, wonach eine Berufung auch bei einem Beschwerdewert unterhalb von 750 Euro zulässig ist, greift nicht ein. Die Berufung betrifft keine wiederkehrenden oder laufenden Leistungen für mehr als ein Jahr. Die zur Überprüfung gestellten Bescheide vom 26.7.2012, 1.2.2013 und 17.2.2014 betreffen Alg II, das nach § 41 Abs 1 Satz 4 SGB II aF für jeweils sechs Monate bewilligt worden ist. Im Streit sind daher höhere KdU für drei Bewilligungszeiträume. Der Umstand, dass die Beklagte über die Überprüfungsanträge des Klägers nicht durch getrennte Bescheide entschieden, sondern das Ergebnis der Überprüfungen in einen Bescheid aufgenommen hat, steht dem nicht entgegen.

Anders als bei der Ermittlung des Beschwerdewertes nach § 144 Abs 1 Nr 1 SGG können im Rahmen des § 144 Abs 1 Satz 2 SGG die Bezugszeiträume verschiedener materiell-rechtlicher Ansprüche nicht addiert werden. Zwar gilt der Grundsatz der gesonderten Prüfung der Statthaftigkeit eines Rechtsmittels für jeden Anspruch im Rahmen des § 144 Abs 1 Satz 2 SGG nicht uneingeschränkt. Besteht nach der materiell-rechtlichen Gestaltung der Rechtslage ein Zusammenhang zwischen den in Streit stehenden wiederkehrenden Leistungen derart, dass sie im Wesentlichen auf demselben Rechtsverhältnis (Stammrecht) beruhen bzw denselben Entstehungsgrund haben, macht es hinsichtlich der auf die Bezugsdauer abstellenden Beschwer keinen Unterschied, ob die Leistungen durch einen oder mehrere prozessuale Ansprüche geltend gemacht werden müssen oder ob die streitigen durch unstreitige Bezugszeiten unterbrochen sind. Eine derartige Ausgangslage liegt jedoch weder bei einer auf SGB II-Leistungen gerichteten Klage für mehrere Bewilligungszeiträume im Ausgangsverfahren noch im Überprüfungsverfahren vor.

Sämtliche Berichte zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 26/21.

Hinweis zur Verwendung von Cookies

Wir verwenden ausschließlich Sitzungs-Cookies, die für die einwandfreie Funktion unserer Webseite erforderlich sind. Mit der Nutzung unserer Dienste erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir diese Cookies einsetzen. Unsere Informationen zum Datenschutz erhalten Sie über den Link Datenschutz.

OK