Bundessozialgericht

Verhandlung B 4 AS 26/20 R

Grundsicherung für Arbeitsuchende - Maßregelvollzug - Beurlaubung - eigene Wohnung - Probewohnen

Verhandlungstermin 05.08.2021 10:45 Uhr

Terminvorschau

D. G. ./. Jobcenter Krefeld, 2 Beigeladene
Der Kläger war seit Ende 2015 im Maßregelvollzug einer Klinik in Trägerschaft des beigeladenen überörtlichen Sozialhilfeträgers und befand sich seit August 2017 in der höchsten Lockerungsstufe, die eine Langzeitbeurlaubung in eine eigene Wohnung ("Probewohnen") ermöglicht. Ab März 2018 wurde er in eine von ihm angemietete Wohnung beurlaubt und schloss eine Betreuungsvereinbarung mit dem Beigeladenen, die ua Ausgangs- und Besuchsregelungen, den Konsum von Alkohol und Drogen, die Arbeitssituation und Informationspflichten während der Beurlaubung betraf. Vom 25.5.2018 bis 22.6.2018 war die Beurlaubung durch erneute stationäre Aufnahme des Klägers in den Maßregelvollzug des Beigeladenen unterbrochen. Ab August 2018 erhielt der Kläger vorläufig Alg II.

Den Antrag des Klägers auf Alg II für die Zeit des Probewohnens lehnte das beklagte Jobcenter ab. Der Kläger sei weiterhin in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung untergebracht. Nachdem das SG SGB II-Leistungen nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zugesprochen und der Kläger im Berufungsverfahren sein Begehren auf Alg II für die Monate April und Juli 2018 beschränkt hatte, hat das LSG die insoweit aufrecht erhaltene Berufung des Beklagten zurückgewiesen. Obgleich das Maßregelvollzugsverhältnis als besonderes Gewaltverhältnis fortbestehe, sei der Betreffende während des Aufenthalts in einer eigenen Wohnung im Rahmen einer Dauerbeurlaubung aus dem Maßregelvollzug nicht nach § 7 Abs 4 Satz 2 SGB II von Leistungen ausgeschlossen. Aus der entsprechenden Heranziehung der Vorschriften zur Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit des Sozialhilfeträgers lasse sich ableiten, dass eine Unterbringung außerhalb der Justizvollzugseinrichtung nur dann als fortdauernder Einrichtungsaufenthalt zum Vollzug einer richterlich angeordneten Freiheitsentziehung gelte, wenn weiterhin eine Betreuung durch die Einrichtung erfolge. Dies sei hier nicht der Fall.

Mit seiner vom LSG zugelassenen Revision rügt der Beklagte eine Verletzung von § 7 Abs 4 Satz 2 SGB II. Während des Probewohnens im Rahmen des Maßregelvollzugs sei weiterhin vom Aufenthalt in einer Vollzugseinrichtung auszugehen. Die Betreuungsvereinbarung zeige, dass weiterhin eine enge Bindung an den Therapieträger bestehe. Lockerungen beim Vollzug einer richterlich angeordneten Freiheitsentziehung änderten nichts am Leistungsausschluss nach dem SGB II.

Vorinstanzen:
Sozialgericht Duisburg - S 35 AS 97/18, 16.07.2018
Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen - L 19 AS 1492/18, 23.01.2020

Sämtliche Vorschauen zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in der Terminvorschau 30/21.

Terminbericht

Der Senat hat die Revision des Beklagten zurückgewiesen. Das LSG ist zu Recht davon ausgegangen, dass der Kläger in den Monaten April und Juli 2018 Anspruch auf Alg II dem Grunde nach hatte. Während dieser Monate erfüllte er die Leistungsvoraussetzungen nach dem SGB II und war nicht nach § 7 Abs 4 SGB II von Leistungen ausgeschlossen. Für den Ausschluss während des Aufenthalts in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung nach § 7 Abs 4 Satz 2 SGB II ist in gleicher Weise wie bei dem Ausschlusstatbestand des § 7 Abs 4 Satz 1 SGB II wegen der Unterbringung in einer stationären Einrichtung der sozialhilferechtliche Einrichtungsbegriff des § 13 SGB XII zuberücksichtigen. Eine Einrichtung im Sinne von § 7 Abs 4 Satz 2 SGB II liegt nur vor, wenn die Unterkunft des Berechtigten der Rechts- und Organisationssphäre des Einrichtungsträgers so zugeordnet ist, dass sie als Teil des Einrichtungsganzen anzusehen ist, wobei die Bindung an ein Gebäude gegeben sein muss. Eine derart enge Bindung lag bei dem "Probewohnen" des Klägers in einer von ihm angemieteten Wohnung, die räumlich keinem Träger zugeordnet werden konnte, nicht mehr vor.

Die Berichte zu dem Verhandlungstermin des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 30/21.

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