Bundessozialgericht

Verhandlung B 12 KR 29/19 R

Sozialversicherungspflicht - Sozialversicherungsfreiheit - Rettungsdienst - Notarzt - Honorarvereinbarung

Verhandlungstermin 19.10.2021 10:00 Uhr

Terminvorschau

Landkreis Fulda ./. DRV Bund, 4 Beigeladene
Der klagende Landkreis ist öffentlich-rechtlicher Träger des bodengebundenen Rettungsdienstes einschließlich der notärztlichen Versorgung (Rettungsdienstträger) sowie Leistungserbringer im Rettungsdienst in Hessen. Der bei der Malteser Hilfsdienst gGmbH seit Januar 2017 vollzeitbeschäftigte Beigeladene war seit August 2016 als Notarzt im Rettungsdienst für den Kläger tätig. Die insoweit abgeschlossene "Honorarvereinbarung" sieht ua vor, dass der Beigeladene "freiberuflich tätig", "nicht in die Arbeitsorganisation des Auftraggebers eingebunden" und "in seiner Verantwortung in Diagnostik und Therapie unabhängig" ist, die von der Leitstelle angezeigten Rettungseinsätze zu leisten hat und eine Vergütung von brutto 35 Euro je geleistete Stunde erhält. Die Dienste wurden auf einem Online-Portal ausgeschrieben und konnten vom Beigeladenen frei ausgewählt werden. Während einer übernommenen Schicht hielt er sich in der von der Stadt Fulda unterhaltenen Rettungswache auf. Nach Alarmierung durch die zentrale Leitstelle, die den gesamten Einsatz lenkte, wurde er von einem Fahrer in einem Notarztfahrzeug der Stadt Fulda an den Einsatzort gebracht. Die Einsätze hatte der Beigeladene nach einheitlichen Vorgaben zu dokumentieren.

Die beklagte DRV Bund stellte die Versicherungspflicht des Beigeladenen in den Zweigen der Sozialversicherung aufgrund seiner abhängigen Beschäftigung als Notarzt fest. Das SG hat die Klage abgewiesen. Das LSG hat dieses Urteil sowie die Verwaltungsentscheidung aufgehoben und festgestellt, dass keine Versicherungspflicht bestehe. Der Beigeladene sei zwar engmaschig in die Organisation des Rettungsdienstes eingegliedert gewesen und habe hierbei zahlreiche Vorgaben beachten müssen. Das ergebe sich jedoch aus regulatorischen Bestimmungen. Wegen dieser Regularien habe der Beigeladene arbeitsteilig mit weiteren, am Rettungseinsatz beteiligten Personen zusammenwirken müssen und fehle es an einem unternehmerischen Risiko. Die übrigen beteiligten Personen seien zudem nicht bei dem Kläger, sondern der Stadt Fulda beschäftigt gewesen, die auch die Betriebsmittel (Rettungswache, Fahrzeuge, Ausrüstung) gestellt habe. Damit scheide auch die Eingliederung des Beigeladenen in die betriebliche Organisation des Klägers aus.

Mit ihrer Revision rügt die Beklagte einen Verstoß gegen § 7 Abs 1 SGB IV. Die Einsätze des Beigeladenen dienten der Erfüllung einer eigenen Verpflichtung des Klägers als Leistungserbringer für die notärztliche Versorgung und gehörten mithin zu dessen regulärem Betrieb. In diesen sei der Beigeladene eingegliedert gewesen. Die Vorgaben durch regulatorische Bestimmungen änderten daran nichts.

Vorinstanzen:
Sozialgericht Fulda - S 1 R 103/17, 22.11.2017
Hessisches Landessozialgericht - L 8 KR 487/17, 11.04.2019

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Terminbericht

Die Revision der Beklagten ist erfolgreich gewesen. Der beigeladene Arzt war als Notarzt im Rettungsdienst abhängig beschäftigt und damit versicherungspflichtig. Für die Beurteilung gelten keine anderen Maßstäbe als der Senat bereits zur vergleichbaren Tätigkeit von Honorarärzten im Krankenhaus entschieden hat (zB BSG Urteil vom 4.6.2019 - B 12 R 11/18 R - BSGE 128, 191 = SozR 4-2400 § 7 Nr 42). Danach ist eine Gesamtwürdigung maßgeblich, in der insbesondere die Eingliederung in die Arbeitsorganisation in den Blick zu nehmen ist. Denn auch bei eingeschränktem Weisungsrecht kann die Dienstleistung fremdbestimmt sein, wenn sie ihr Gepräge von der Ordnung des Betriebes erhält, in deren Dienst die Arbeit verrichtet wird und sich daher als "funktionsgerecht dienende Teilhabe am Arbeitsprozess" darstellt. Bei Vertragsgestaltungen, in denen - wie hier - die Übernahme einzelner Dienste jeweils frei vereinbart wird, ist dabei auf die jeweiligen Einzelaufträge abzustellen. Das Weisungsrecht bestand zumindest insoweit, als die Leitstelle den Einsatz lenkte und dem Notarzt den Einsatzort zuwies, an den er sich so schnell wie möglich zu begeben hatte. In die Arbeitsorganisation des klagenden Landkreises war er eingegliedert, weil er zur Erbringung der Notarzttätigkeit Arbeitsmittel nutzte und mit Personal arbeitsteilig zusammenwirkte, das zu dessen Rettungsdienstbetrieb gehörte. Der Landkreis beschaffte als Träger und Erbringer des bodengebundenen Rettungsdienstes (§ 5 Abs 1 HRDG) zum einen die dazu notwendigen Einrichtungen, Betriebsmittel und das weitere Personal bei der Stadt Fulda und erbrachte zum anderen die notärztlichen Leistungen durch den Beigeladenen. Dass diese Einbindung des Notarztes in die "Rettungskette" zum einen "in der Natur der Sache" des Notarzteinsatzes liegt und zum anderen den regulatorischen Vorgaben entspricht, führt nicht dazu, dass diese Aspekte bei der Gesamtwürdigung außer Acht zu lassen sind.

Von der aufgrund abhängiger Beschäftigung bestehenden Versicherungspflicht in der GKV, GRV und sPV sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung war der beigeladene Arzt auch nicht befreit. Da die Tätigkeit systematisch und strukturell auf ständige Wiederholung angelegt war, handelte es sich um eine regelmäßige Beschäftigung (ohne zeitliche Begrenzung), die allein der Fallgruppe der Entgeltgeringfügigkeit nach § 8 Abs 1 Nr 1 SGB IV zuzuordnen ist. Die danach entscheidende Entgeltgrenze wurde überschritten, sodass keine Versicherungsfreiheit aufgrund geringfügiger Beschäftigung bestand. Eine Versicherungsfreiheit aufgrund einer berufsmäßig ausgeübten unständigen Beschäftigung nach § 27 Abs 3 Nr 1 SGB III schied aus, weil die Tätigkeit als Notarzt im Rettungsdienst gegenüber der ebenfalls ausgeübten Angestelltentätigkeit nicht den zeitlichen oder wirtschaftlichen Schwerpunkt der Erwerbstätigkeit bildete und daher keine Berufsmäßigkeit vorlag. Die ab 11. April 2017 geltende Vorschrift des § 23c Abs 2 Satz 1 Nr 1 SGB IV regelt ausschließlich die Beitragspflicht, die hier nicht Streitgegenstand ist.

Die Berichte zu dem Verhandlungstermin des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 37/21.

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