Bundessozialgericht

Verhandlung B 14 AS 33/20 R

Grundsicherung für Arbeitsuchende - Einkommensberücksichtigung - Schülereinkommen

Verhandlungstermin 11.11.2021 13:00 Uhr

Terminvorschau

1. D. R., 2. S. R. ./. Jobcenter Oberhausen
Streitig ist die Berechnung von Alg II bzw Sozialgeld der Klägerinnen zu 1 und 2 im November 2017 unter der Anrechnung von im Oktober 2017 erzieltem Schülereinkommen.

Die Klägerin zu 1 lebt mit ihren zwei Töchtern gemeinsam in einer Wohnung. Die minderjährige Tochter ist die Klägerin zu 2. Die volljährige Tochter absolvierte im Jahr 2017 eine schulische Ausbildung zur Sozialpädagogin. Sie erhielt im streitigen Monat November 2017 Leistungen der Ausbildungsförderung. Allen drei erbrachte das beklagte Jobcenter Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II.

Durch einen Datenabgleich erlangte der Beklagte im November 2017 Kenntnis von einem geringfügigen, auf vier Monate befristeten Beschäftigungsverhältnis der volljährigen Tochter, beginnend am 15.7.2017. Davon arbeitete sie an 13 Tagen - vom 19.7. bis 26.8.2017 - in den Sommerferien und an 6 Arbeitstagen - vom 25.10. bis 30.10.2017 - in den Herbstferien. Die Vergütung für Oktober 2017, zugeflossen im November 2017, belief sich auf rund 534 Euro.

Der Beklagte hob die Leistungsbewilligung für November 2017 gegenüber der Klägerin zu 1 teilweise in Höhe von rund 110 Euro und gegenüber der Klägerin zu 2 teilweise in Höhe von rund 52 Euro auf und forderte von ihnen jeweils die Erstattung dieser Beträge. Das der volljährigen Tochter zugeflossene Entgelt führe dazu, dass das für sie gezahlte Kindergeld als Einkommen auf die Klägerinnen zu verteilen sei.

Das SG hat die im Streit stehenden Bescheide aufgehoben (Urteil vom 31.5.2019). Zur Begründung hat es ausgeführt, das von der volljährigen Tochter in den Schulferien erzielte Einkommen aus der zuvor benannten Erwerbstätigkeit sei nach § 1 Abs 4 Satz 1 Alg II-V aF privilegiert. Danach sind nicht als Einkommen zu berücksichtigen Einnahmen von Schülerinnen und Schülern allgemein- oder berufsbildender Schulen, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, aus Erwerbstätigkeiten, die in den Schulferien für höchstens vier Wochen je Kalenderjahr ausgeübt werden, soweit diese einen Betrag in Höhe von 1 200 Euro kalenderjährlich nicht überschreiten. Zur Vermeidung unbilliger Ergebnisse sei die zeitliche Grenze von vier Wochen gleichzusetzen mit 20 Arbeitstagen. Diese 20 Arbeitstage könnten auf alle Schulferien im Kalenderjahr verteilt werden. Das LSG hat auf die Berufung des Beklagten das Urteil des SG geändert und die Klagen abgewiesen. Es verneint die Privilegierung des Erwerbseinkommens aus Oktober 2017. Das Tatbestandsmerkmal "vier Wochen" sei nicht im Sinne von 20 Tagen auszulegen. Da die volljährige Tochter der Klägerin zu 1 bereits in den Sommerferien vier Wochen gearbeitet habe, sei die im November 2017 zugeflossene Vergütung in voller Höhe als Einkommen zu berücksichtigen (Urteil vom 27.2.2020).

Mit ihren vom LSG zugelassenen Revisionen rügen die Klägerinnen eine Verletzung des § 1 Abs 4 Alg II-V sowie des Art 3 Abs 1 GG.

Vorinstanzen:
Sozialgericht Duisburg -S 49 AS 2391/18, 31.05.2019
Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen - L 7 AS 1212/19, 27.02.2020

Die Vorschau zu dem Verhandlungstermin des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in der Terminvorschau 40/21.

Terminbericht

Die Klägerinnen waren zum Teil erfolgreich. Die Urteile des LSG und des SG sind ebenso wie der Bescheid des Beklagten über die Rücknahme der Bewilligung und im Hinblick auf die Höhe des Erstattungsbetrags geändert worden. Der Beklagte darf nicht mehr als 33,99 Euro von der Klägerin zu 1 und 16,29 Euro von der Klägerin zu 2 zurückfordern. Insoweit sind die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des SG und für den übersteigenden Betrag die Revisionen der Klägerinnen zurückgewiesen worden.

Die Klägerinnen haben einen höheren Anspruch auf Alg II und Sozialgeld als von dem Beklagten in seinem Aufhebungsbescheid errechnet. Denn soweit die volljährige Tochter der Klägerin zu 1 Erwerbseinkommen innerhalb der Herbstferien erzielt hat, führt dieses nicht zu einem Kindergeldüberhang, der in der Folge als Einkommen bei der Berechnung der Leistungen der Klägerinnen zu berücksichtigen wäre. Das Erwerbseinkommen der volljährigen Tochter ist insoweit bei der Berechnung ihres Alg II-Anspruchs ausgenommen. Es ist nach § 1 Abs 4 Satz 1 Alg II-V aF privilegiert.

Danach sind nicht als Einkommen zu berücksichtigende Einnahmen von Schülerinnen und Schülern allgemein- oder berufsbildender Schulen, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, aus Erwerbstätigkeiten, die in den Schulferien für höchstens vier Wochen je Kalenderjahr ausgeübt werden, soweit diese einen Betrag in Höhe von 1200 Euro kalenderjährlich nicht überschreiten.

Die Privilegierung des Einkommens aus einer Erwerbstätigkeit ist mithin durch drei zeitliche Parameter begrenzt. Die Erwerbstätigkeit darf 1) höchstens vier Wochen, 2) innerhalb eines Kalenderjahres und muss 3) in den Ferien verrichtet werden. Die Regelung knüpft an § 5 Abs 4 Satz 1 JArbSchG an. Sie soll sicherstellen, dass die schulischen Belange der leistungsberechtigten Person durch die Ausübung einer oder mehrerer Erwerbstätigkeiten nicht beeinträchtigt werden und die Schulferien ihren Erholungscharakter nicht einbüßen. Da nach § 15 Satz 1 JArbSchG Jugendliche an fünf Tagen in der Woche beschäftigt werden dürfen, ist durch die vom Verordnungsgeber gewollte Parallele zum JArbSchG auch im Anwendungsbereich des § 1 Abs 4 Satz 1 Alg II-V aF davon auszugehen, dass Jugendliche in der Summe an 20 Tagen in den Ferienzeiten beschäftigt werden dürfen. Für volljährige Schüler, die nicht den Beschränkungen des JArbSchG unterliegen, gelten zwar die Vorschriften des ArbZG. Dies bedeutet jedoch nur, dass eine Arbeitswoche nach §§ 3 und 10 Abs 1 Satz 1 ArbZG mit sechs Werk- bzw Arbeitstagen gleichzusetzen ist. Bei ihnen umfasst der "Vierwochenzeitraum" des § 1 Abs 4 Satz 1 Alg II-V aF demnach nicht 20, sondern 24 Tage im Kalenderjahr.

Wird eine Erwerbstätigkeit sowohl innerhalb als auch außerhalb der Ferien ausgeübt bleibt allein privilegiert das in den Ferien erarbeitete Einkommen.

Vorliegend war die volljährige Tochter der Klägerin zu 1 während der Schulferien im Jahr 2017 in der Summe an 22 Tagen erwerbstätig. Damit ist die zuvor benannte zeitliche Grenze nicht überschritten. Die in der Summe 1200 Euro nicht übersteigenden Einnahmen sind daher nach § 1 Abs 4 Satz 1 Alg II-V aF privilegiert und nicht als Einkommen nach § 11 Abs 1 Satz 1 SGB II bei ihr zu berücksichtigen. Anderes gilt nur für die außerhalb der Ferienzeiten erwirtschafteten Einnahmen im streitigen Zeitraum. Nach Abzug der Absetz- und Freibeträge übersteigen diese zusammen mit den Leistungen zur Ausbildungsförderung und dem Kindergeld den Bedarf der volljährigen Tochter. Der hieraus folgende Kindergeldüberhang ist als Einkommen bei den Klägerinnen zu berücksichtigen. Insoweit hat der Beklagte die Leistungsbewilligungen zu Recht aufgehoben und die Erstattung von Alg II und Sozialgeld verlangt.

Sämtliche Berichte zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 40/21.

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